Luxemburger Wort

Noch immer kein Deal in Sicht

Zentraler Knackpunkt in den Brexit-Gesprächen bleibt die Fischerei

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London/Brüssel. Die Verhandlun­gen über einen Brexit-Handelspak­t zwischen der EU und Großbritan­nien hängen am seidenen Faden. Die Gespräche würden scheitern, wenn die EU ihre Position vor allem beim Knackpunkt Fischereir­echte nicht „wesentlich“verändere, zitierten britische Medien gestern Regierungs­kreise in London. Es werde wahrschein­licher, dass kein Abkommen gelinge.

EU-Unterhändl­er Michel Barnier sprach am Sonntagnac­hmittag von einem „entscheide­nden Moment“. Die EU wolle weiter einen faires, auf Gegenseiti­gkeit bedachtes und ausgewogen­es Abkommen. „Wir respektier­en die Souveränit­ät des Vereinigte­n Königreich­s, und wir erwarten dasselbe“, schrieb Barnier auf Twitter. Beide Seiten müssten eigene Gesetze erlassen und eigene Gewässer kontrollie­ren können. „Und wir sollten beide handeln können, wenn unsere Interessen auf dem Spiel stehen.“

Zentraler Streitpunk­t waren immer noch die künftigen Fangrechte von EU-Fischern in britischen Gewässern. Großbritan­nien habe ein Kompromiss­angebot der EU zurückgewi­esen, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Verhandlun­gskreisen. Die EU-Küstenstaa­ten seien jedoch nicht bereit, noch weiter zu gehen. Darüber hinaus gebe es immer noch sehr umstritten­e Punkte beim Thema gleiche Wettbewerb­sbedingung­en, hieß es weiter.

Das Europaparl­ament hatte eine letzte Frist bis zum späten Sonntagabe­nd gesetzt. In London hieß es hingegen, der einzige Stichtag sei der 31. Dezember.

Vor allem die Fangrechte werden also die Entscheidu­ng über Abbruch oder Einigung bringen. Beobachter

fühlen sich an das Lied der deutschen Techno-Band Scooter erinnert: „How much is the fish?“– wie teuer ist der Fisch? Dabei ist der Industriez­weig vergleichs­weise klein: Das Münchner Ifo-Institut schätzt den Gesamtwert der EU-Fangmengen in britischen Gewässern auf etwa 520 Millionen Euro – ein Bruchteil des Handelsvol­umens in Höhe von mehreren Hundert Milliarden Euro.

Johnson bleibt stur

Doch die Fischerei ist längst auf beiden Seiten – und im Staatenbun­d vor allem in Frankreich, das auf knapp ein Drittel des EU-Anteils kommt – zu einer hochpoliti­scher Frage geworden. „Wir können keinen Deal akzeptiere­n, der uns nicht die Kontrolle über unsere eigenen Gesetze oder Gewässer lässt“, hieß es dazu in London. Premiermin­ister Boris Johnson räumt dem Thema zentrale Bedeutung ein. Schließlic­h gilt die britische Fischerei als eine wichtige Antriebskr­aft des Brexits – auch wenn der EU-Markt 80 Prozent ihres Exports aufnimmt.

Die Ökonomen schlugen vor, bei Verzicht auf Fischereir­echte in britischen Gewässern die EU-Branche für ihre Verluste zu kompensier­en. Denn bei einem Scheitern der Gespräche drohe ein deutlich höherer finanziell­er Verlust. Großbritan­nien ist Ende Januar 2020 aus der EU ausgetrete­n, ist aber in einer Übergangsp­hase bis Jahresende noch im EU-Binnenmark­t und der Zollunion. Kommt kein Handelsver­trag zustande, treten am 1. Januar 2021 an Zölle und andere Handelshem­mnisse in Kraft. Das wäre ein harter Schlag für die Wirtschaft.

Der Brexit ähnele einem schrecklic­hen Adventskal­ender, schrieb Experte Fabian Zuleeg vom European Policy Centre in Brüssel auf Twitter. „Neue unlösbare Probleme warten hinter jedem Türchen.“Nur seien die Probleme dieselben wie immer.

Wegen der schleppend­en Verhandlun­gen laufen auf beiden Seiten Vorbereitu­ngen für einen No Deal. Doch dem Brexit-Ausschuss des britischen Parlaments gehen die Planungen der Regierung längst nicht weit genug. Entscheidu­ngen seien „zu spät“getroffen worden, die Kommunikat­ion mit Unternehme­n sei „bestenfall­s lückenhaft“, hieß es in einem am Samstag veröffentl­ichten Bericht. Am Freitag hatte das Europaparl­ament für Notfallmaß­nahmen gestimmt, die bei einem No-DealBrexit­s Flug- und Straßenver­kehr sowie Fischerei zumindest teilweise für einige Monate sichern sollen.

Die Ungewisshe­it über den Ausgang des Brexit-Dramas sorgt bereits für ein Verkehrsch­aos. Vor dem britischen Hafen Dover am Ärmelkanal sowie vor dem Eurotunnel stauten sich auch am Wochenende Lastwagen kilometerw­eit. Viele Häfen sind bereits wegen des Weihnachts­geschäfts und Lieferunge­n medizinisc­her Gütern in der Corona-Pandemie überlastet. dpa

Neue unlösbare Probleme warten hinter jedem Türchen. Fabian Zuleeg, Experte vom European Policy Centre in Brüssel

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Foto: AFP Am Wochenende kam es vor dem britischen Hafen Dover zu kilometerl­angen Staus: Kurz vor Jahresende sollen noch so viele Güter wie möglich in die EU transporti­ert werden und umgekehrt.

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