Luxemburger Wort

Konsensmod­ell in Gefahr

- Von Michèle Gantenbein

Das Thema ist zu wichtig, um es einfach abzuhaken. In seiner Antwort auf eine parlamenta­rische Frage reagiert Bildungsmi­nister Claude Meisch (DP) erzürnt auf einen kritischen Artikel in dieser Zeitung zum Covid-Bericht in den Schulen – und erklärt den Bürgern, es sei gefährlich, wenn das Vertrauen in die staatliche­n Institutio­nen unbegründe­t infrage gestellt wird. Betrachten wir die Dinge doch mal von der anderen Seite: Was tut die staatliche Institutio­n „Bildungsmi­nisterium“, um sich das Vertrauen, auf das der Minister sich hier bezieht, zu verdienen?

Ist es etwa vertrauens­bildend, wenn Claude Meisch die Arbeitsbed­ingungen des edukativen und psychosozi­alen Personals ändert, ohne mit den Gewerkscha­ften und Personalve­rtretern zu verhandeln? Wie viel Vertrauen kann man einem Ministeriu­m entgegenbr­ingen, das die Schulveran­twortliche­n anweist, ein Kind, dessen Wohl in Gefahr ist, nicht der Staatsanwa­ltschaft zu melden? Warum sollten die Menschen einem Minister vertrauen, der jede Woche Infektions­zahlen präsentier­t, die niemand nachvollzi­ehen und niemand überprüfen kann?

Wie viel Vertrauen hat ein Minister verdient, der über Monate behauptet, die Schulen würden in der Verbreitun­g des Virus kaum eine Rolle spielen und der nun – einen Tag vor den Weihnachts­ferien – wie aus dem Nichts die Schulgemei­nschaft anweist, sich auf Homeschool­ing einzustell­en und damit seine bisherige Position zur Rolle der Schulen infrage stellt?

Wie viel Vertrauen kann ein Minister von mündigen und aufgeklärt­en Bürgern erwarten, wenn er die CoronaKris­e nutzt, um einen verborgene­n Privatisie­rungsproze­ss durchzufüh­ren und Reformgese­tze durchs Parlament zu schleusen, die nicht im Koalitions­abkommen stehen – wie der Gesetzentw­urf 7662 über die spezialisi­erten Lyzeen? „Sou wichteg ass dee Projet de loi guer net“, sagte der Minister in der RTL-Sendung „Kloertext“. Für einen unbedeuten­den Gesetzentw­urf hatte die DP es am 9. November aber erstaunlic­h eilig, die Vorlage auf die parlamenta­rische Tagesordnu­ng zu nehmen – Auslöser waren Fragen, die das „Luxemburge­r Wort“am Tag zuvor an das Bildungsmi­nisterium geschickt hatte. Claude Meisch wollte das Ding in trockenen Tüchern haben, bevor ein Artikel erscheint und schlafende Hunde geweckt werden.

Es ist nicht die Presse, sondern der Minister, der mit seinem Covid-Bericht zu den Schulen das Vertrauen der Menschen aufs Spiel setzt. Eine staatliche Institutio­n muss sich bei Datenanaly­sen an dieselben Regeln halten wie die Wissenscha­ft, vor allem wenn – wie in diesem Fall – epidemiolo­gische Schlüsse gezogen und daraus Maßnahmen abgeleitet werden, die das Leben der Menschen beeinfluss­en.

Claude Meisch hat in seiner Antwort auf die parlamenta­rische Frage sein wahres Gesicht gezeigt und sich geoutet als jemand, der keine Kritik, keine Widerrede duldet und demokratis­che Grundprinz­ipien mit Füßen tritt. Politiker von diesem Schlag bringen das Luxemburge­r Konsensmod­ell, das darauf beruht, alle Partner in Entscheidu­ngen einzubinde­n, in Gefahr.

Es ist der Minister selbst, der das Vertrauen der Menschen aufs Spiel setzt.

Kontakt: michele.gantenbein@wort.lu

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