Konsensmodell in Gefahr
Das Thema ist zu wichtig, um es einfach abzuhaken. In seiner Antwort auf eine parlamentarische Frage reagiert Bildungsminister Claude Meisch (DP) erzürnt auf einen kritischen Artikel in dieser Zeitung zum Covid-Bericht in den Schulen – und erklärt den Bürgern, es sei gefährlich, wenn das Vertrauen in die staatlichen Institutionen unbegründet infrage gestellt wird. Betrachten wir die Dinge doch mal von der anderen Seite: Was tut die staatliche Institution „Bildungsministerium“, um sich das Vertrauen, auf das der Minister sich hier bezieht, zu verdienen?
Ist es etwa vertrauensbildend, wenn Claude Meisch die Arbeitsbedingungen des edukativen und psychosozialen Personals ändert, ohne mit den Gewerkschaften und Personalvertretern zu verhandeln? Wie viel Vertrauen kann man einem Ministerium entgegenbringen, das die Schulverantwortlichen anweist, ein Kind, dessen Wohl in Gefahr ist, nicht der Staatsanwaltschaft zu melden? Warum sollten die Menschen einem Minister vertrauen, der jede Woche Infektionszahlen präsentiert, die niemand nachvollziehen und niemand überprüfen kann?
Wie viel Vertrauen hat ein Minister verdient, der über Monate behauptet, die Schulen würden in der Verbreitung des Virus kaum eine Rolle spielen und der nun – einen Tag vor den Weihnachtsferien – wie aus dem Nichts die Schulgemeinschaft anweist, sich auf Homeschooling einzustellen und damit seine bisherige Position zur Rolle der Schulen infrage stellt?
Wie viel Vertrauen kann ein Minister von mündigen und aufgeklärten Bürgern erwarten, wenn er die CoronaKrise nutzt, um einen verborgenen Privatisierungsprozess durchzuführen und Reformgesetze durchs Parlament zu schleusen, die nicht im Koalitionsabkommen stehen – wie der Gesetzentwurf 7662 über die spezialisierten Lyzeen? „Sou wichteg ass dee Projet de loi guer net“, sagte der Minister in der RTL-Sendung „Kloertext“. Für einen unbedeutenden Gesetzentwurf hatte die DP es am 9. November aber erstaunlich eilig, die Vorlage auf die parlamentarische Tagesordnung zu nehmen – Auslöser waren Fragen, die das „Luxemburger Wort“am Tag zuvor an das Bildungsministerium geschickt hatte. Claude Meisch wollte das Ding in trockenen Tüchern haben, bevor ein Artikel erscheint und schlafende Hunde geweckt werden.
Es ist nicht die Presse, sondern der Minister, der mit seinem Covid-Bericht zu den Schulen das Vertrauen der Menschen aufs Spiel setzt. Eine staatliche Institution muss sich bei Datenanalysen an dieselben Regeln halten wie die Wissenschaft, vor allem wenn – wie in diesem Fall – epidemiologische Schlüsse gezogen und daraus Maßnahmen abgeleitet werden, die das Leben der Menschen beeinflussen.
Claude Meisch hat in seiner Antwort auf die parlamentarische Frage sein wahres Gesicht gezeigt und sich geoutet als jemand, der keine Kritik, keine Widerrede duldet und demokratische Grundprinzipien mit Füßen tritt. Politiker von diesem Schlag bringen das Luxemburger Konsensmodell, das darauf beruht, alle Partner in Entscheidungen einzubinden, in Gefahr.
Es ist der Minister selbst, der das Vertrauen der Menschen aufs Spiel setzt.
Kontakt: michele.gantenbein@wort.lu