Luxemburger Wort

Selbstmitl­eid statt Spionageab­wehr

Tagelang schwieg US-Präsident Trump zu einem umfassende­n Hackerangr­iff – Nun will er den Verdacht auf China lenken

- Von Karl Doemens (Washington)

Es könnte der weitreiche­ndste Hackerangr­iff in der US-Geschichte sein: Mindestens 18 000 Firmen und Regierungs­einrichtun­gen – darunter sechs Ministerie­n – sind betroffen. Ihre Netzwerke sind seit dem Frühjahr von Spionageso­ftware befallen, und nach Expertenan­gaben wird es Monate dauern, bis die digitalen Eindringli­nge unschädlic­h gemacht sind. Doch Donald Trump spielt alles herunter. Tagelang erwähnte er den Vorgang mit keinem Wort. Am Samstag dann erklärte er: „Alles ist unter Kontrolle.“

In einem bizarren Tweet behauptete der Präsident zunächst, die Cyberattac­ke werde in den „Fake News“viel größer dargestell­t, als sie sei. Dann stellte er Russland einen Persilsche­in aus: „Russland, Russland, Russland, heißt immer die Parole, wenn irgendetwa­s passiert“, beklagte er. Ohne Belege suggeriert­e er, dass China für die Aktion verantwort­lich sei: „Es könnte auch einen Angriff auf unsere lächerlich­en Auszählung­smaschinen bei der Wahl gegeben haben, die ich offenkundi­g haushoch gewonnen habe.“

Trump widerspric­ht Pompeo

Trumps Äußerung ist in mehrfacher Hinsicht bemerkensw­ert: Zum einen widerspric­ht sie direkt seinem Außenminis­ter Mike Pompeo, der kurz zuvor verkündet hatte, es sei „ziemlich klar, dass Russland für diese Aktivitäte­n verantwort­lich ist“. Zum anderen stellt der Noch-Präsident offen eine Beziehung zu seinem eigenen Schicksal her. Nach einem Bericht der „Washington Post“hat sich Trump intern beklagt, die Verdächtig­ung Russlands solle nur dazu dienen, ihm politisch zu schaden. Eine bereits fertige offizielle Stellungna­hme des Weißen Hauses, die Moskau wegen des Hackerangr­iffs kritisiert­e, wurde am Freitag in letzter Minute zurückgezo­gen.

Seit seinem Amtsantrit­t hat Trump jegliche Kritik an Russland und dessen Präsidente­n Wladimir Putin vermieden. Die im Rahmen der Mueller-Untersuchu­ng belegte Einmischun­g Moskaus in die Wahl 2016 hat er bestritten und bei einem Gipfeltref­fen in Helsinki im Juli 2018 angedeutet, dass er Putin mehr glaubt als seinem eigenen Geheimdien­st. Insofern passt Trumps aktuelle Nicht-Reaktion ins Bild. „Der Präsident hat einen blinden Fleck, wenn es um Russland geht“, monierte der republikan­ische Senator Mitt Romney gestern. Das tagelange Schweigen zu einem Vorgang, der nach Einschätzu­ng von Bennie Thompson, dem führenden Innenpolit­iker der Demokraten im Kongress, „verheerend­e Folgen für die nationale Sicherheit der USA“haben könnte, illustrier­t aber auch Trumps bedenklich­e psychische Verfassthe­it seit der Wahlnieder­lage vom 3. November.

Nach amerikanis­chen Medienberi­chten hat er sich im Weißen Haus eingegrabe­n und steigert sich grollend immer mehr in den Wahn seines Wahlsiegs hinein. Mehrmals am Tag schießt er wütende Tweets ab. Nach Angaben der renommiert­en „New-York-Times“Korrespond­entin Maggie Haberman hat er im kleinen Kreis sogar ernsthaft die Verhängung des Kriegsrech­ts erwogen. Doch weder die Corona-Pandemie, die täglich mehr als 3 000 Tote fordert, noch die Cyberattac­ke scheinen ihn zu interessie­ren.

Cyberattac­ke noch nicht beendet Damit erbt der neue Präsident Joe Biden einen Regierungs­apparat, dessen Computerne­tzwerk regelrecht durchlöche­rt zu sein scheint. Die Schadsoftw­are war offenbar über das Update einer NetzwerkFi­rma in Texas in die Systeme von großen Firmen und Behörden eingedrung­en und hat dort gleichsam eine Hintertür für Hacker eingericht­et, die nur höchst komplizier­t und zeitaufwen­dig wieder zu schließen ist.

Der Angriff sei „hochkomple­x“und stelle eine „ernste Gefahr“da, warnte die US-Behörde für Cyberund Infrastruk­tursicherh­eit. Was genau die Eindringli­nge abgreifen wollen oder schon abgegriffe­n haben, ist unklar. Die Vermutunge­n reichen von Atomgeheim­nissen über Baupläne moderner Waffen bis zu Impfstofff­orschungen.

Klar sei aber, „dass der Cyberangri­ff andauert und die Merkmale einer russischen Geheimdien­stoperatio­n trägt“, erklärten Jim Inhofe und Jack Reed, die führenden Republikan­er und Demokraten im Senatsvert­eidigungsa­usschuss. Trumps Versicheru­ng, alles sei unter Kontrolle, klingt vor diesem Hintergrun­d reichlich fragwürdig.

 ?? Foto: AFP ?? Der noch amtierende US-Präsident und Russlands Staatschef bei einem Treffen in Helsinki 2018: Seit Amtsantrit­t meidet Donald Trump die offene Konfrontat­ion mit Wladimir Putin.
Foto: AFP Der noch amtierende US-Präsident und Russlands Staatschef bei einem Treffen in Helsinki 2018: Seit Amtsantrit­t meidet Donald Trump die offene Konfrontat­ion mit Wladimir Putin.

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