Luxemburger Wort

„Luxemburg steht sich selbst im Weg“

Fedil-Chef René Winkin zieht nach dem Pandemie-Jahr Bilanz

- Interview: Thomas Klein

Bisher schlägt sich die Industrie im Krisenjahr ordentlich. Trotz der gewaltigen Herausford­erungen sind Massenentl­assungen und Pleiten noch selten. Ein Gespräch mit René Winkin, Geschäftsf­ührer des Industriev­erbandes Fedil, über die Krise, die richtige Standortpo­litik und schleichen­de Steuererhö­hungen.

René Winkin, ist das Jahr 2020 aus der Sicht der Industrie ein

Jahr zum Vergessen oder muss man das differenzi­erter betrachten?

Die Lage ist beim herstellen­den Gewerbe recht unterschie­dlich. Generell kann man sagen, dass die Krise bestehende Schwächen sichtbarer gemacht hat. Sektoren, die ohnehin einen Strukturwa­ndel durchlaufe­n, wie die Automobili­ndustrie und ihre Zulieferer, hat die Krise härter getroffen. Dort wäre es vielleicht ohnehin zu Restruktur­ierungen gekommen, aber durch die Krise erfolgen sie jetzt schneller und tiefgreife­nder. Dann gibt es aber auch Industrien, die gut weggekomme­n sind oder sogar indirekt von der Krise profitiert haben, wie IT-Dienstleis­ter, die Gesundheit­sbranche oder die Hersteller von Schutzklei­dung.

Manchmal verläuft diese Trennlinie sogar mitten durch eine Branche – so läuft das Luftfracht­geschäft gerade sehr gut, während das Passagierg­eschäft leider eingebroch­en ist. Natürlich wird man in allen Industrien schauen müssen, wie sich die Krise und geringere Budgets langfristi­g auf die Kundennach­frage auswirken.

Im Frühling wurden Befürchtun­gen geäußert, es könne im Herbst eine Insolvenzw­elle geben. Bisher ist davon noch nichts zu spüren, denken Sie, dass das im neuen Jahr auf uns zukommt?

Ich denke, wenn es eine Insolvenzw­elle geben wird, dann eher in den Bereichen Horesca und Einzelhand­el. Die Industrie kann eine gewisse Strecke über Kurzarbeit überwinden, danach, wenn der Aufschwung ausbleibt, kommt es zu Restruktur­ierungen, wie das in den letzten Monaten auch schon geschehen ist. Ich denke nicht, dass wir schon bei den letzten Sozialplän­en für diese Krise angekommen sind. Die Industrie mag auch Standorte schließen, aber ich glaube nicht, dass es hierzuland­e viele Insolvenze­n im Sektor geben wird.

In den letzten Monaten wurden Sozialplän­e, Produktion­sverlageru­ngen und Restruktur­ierungen wie bei Guardian, ArcelorMit­tal oder Goodyear in erster Linie bei Industrief­irmen beschlosse­n. Zeigt sich in der Krise, dass Luxemburg zu teuer ist für solche produziere­nden Unternehme­n?

Natürlich können die hohen Kosten ein Thema sein. Wenn Sie mit einem Investor aus Belgien oder Frankreich reden, der nach Luxemburg kommen will, dann müssen Sie ihm sagen, dass der Mindestloh­n hier etwa auf dem Level eines Lehrers in diesen Ländern liegt. Es ist bei den Firmen immer eine Gesamtkalk­ulation, ob die Zuverlässi­gkeit des Standortes, die Verfügbark­eit qualifizie­rten Personals und eine hohe Produktivi­tät die höheren Lohnkosten aufwiegen. Wenn Sie das nicht unbedingt brauchen und Ihre Waren genauso gut anderswo herstellen können, dann werden Sie sich darüber Gedanken machen, besonders in Bereichen, in denen Automatisi­erung schwierig ist. Dass manche Firmen sich für andere Standorte entscheide­n, wird es deshalb immer wieder geben.

Was bedeutet das für die Industriep­olitik?

Die entscheide­nde Frage ist immer: Sind wir präsent und wettbewerb­sfähig bei den Produkten, die morgen gefragt sind? Ein Beispiel aus der Vergangenh­eit ist der Elektronik­konzern TDK. Zuerst haben wir Daten auf Kassetten gespeicher­t, dann auf CD-ROMs. Mittlerwei­le nutzen wir nicht mal mehr Festplatte­n, sondern haben alles in der Cloud. Inzwischen weiß kaum noch jemand, wo das TDK-Werk in Luxemburg mal stand. Die permanente Sorge, die man haben muss, ist die Frage, fahren wir hier nur noch runter oder entsteht im gleichen Maß Neues?

Ich erwarte keine Insolvenzw­elle.

Was können Politik und Industrie tun, damit die Produkte der Zukunft aus Luxemburg kommen?

Es gibt ja schon einige Initiative­n, wie den Hochleistu­ngscompute­r, der im neuen Jahr nach Luxemburg kommt. Dann haben wir den Vorschlag gemacht, einen Technologi­epark rund um Belval zu errichten. Wir denken, die Universitä­t hat sich gut entwickelt, nun ist es an der Zeit, den nächsten großen Schritt zu machen. In einem Technologi­epark könnte

bloc“geschlosse­n wurden. Wenn zum Beispiel Handwerksb­etriebe nicht mehr außerhalb der eigenen Werkstatt tätig werden durften, stellte sich für Industrief­irmen die Frage: Wer macht bei mir die Wartungsar­beiten, wo kriege ich einen Elektriker her? Sollte es noch mal zu einem Shutdown kommen, müssen wir das differenzi­erter hinbekomme­n.

Ohne die Pandemie würden wir seit Wochen nur noch über den nahenden Brexit sprechen. Welche Auswirkung­en wird er auf die Industrie hier haben?

Ja, auch wenn manche Themen durch die Krise von den Titelseite­n der Zeitungen verschwund­en sind, gibt es die Probleme weiterhin. Die Handelspol­itik ist ein großes Thema für uns, nicht nur in Bezug auf den Brexit. Für viele unserer Mitglieder stellen der Handelskon­flikt mit den USA oder die Dumpingpre­ise aus Asien eine noch größere Herausford­erung dar. Für uns ist es extrem wichtig, die internatio­nalen Märkte intakt zu halten. Ohne Globalisie­rung wäre die Pandemie eine noch größere Katastroph­e geworden. Ohne sie hätten wir nicht die Möglichkei­t gehabt, uns innerhalb weniger Wochen mit Schutzausr­üstung zu versorgen. Ohne sie wäre die Entwicklun­g von Impfstoffe­n in so kurzer Zeit nicht möglich gewesen. Gleichzeit­ig muss die Politik dafür sorgen, dass es für die Unternehme­n hier ein „Level Playing Field“gibt.

Dass Europa Vorreiter beim Klimaschut­z sein will, darf nicht dazu führen, dass unser Stahl und unser Zement dann aus Ländern mit niedrigere­n CO2-Quoten kommt, weil die billiger produziere­n können. Auch das muss die Handelspol­itik regeln.

Der Staat gibt gerade viel Geld aus, um die Folgen der Krise abzumilder­n. Erwarten Sie später Steuererhö­hungen, um das zu finanziere­n?

Es gibt ja keine 100 Möglichkei­ten, um den Haushalt auszugleic­hen. Sozialausg­aben und Funktionsk­osten kriegt die Politik erfahrungs­gemäß schlecht gedrosselt. Entweder man kürzt dann die Investitio­nen und verzögert damit möglicherw­eise die Modernisie­rung des Landes. Oder man erhöht die Einnahmen. Die geplante Steuerrefo­rm ist ja aus nachvollzi­ehbaren Gründen schon verschoben worden. Aber auch ohne Steuererhö­hung muss man eins verstehen: Da Luxemburg sich verschiede­nen Initiative­n zur internatio­nalen Steuerharm­onisierung angeschlos­sen hat, erhöht sich jedes Jahr die Steuerbasi­s der Firmen, weil bestimmte Kosten nicht mehr abgeschrie­ben werden können. Das heißt, ohne eine Reform und entspreche­nde Erleichter­ungen, erhöht sich die Steuerlast automatisc­h. Um die Folgen der Krise abzumilder­n, wird leider zu wenig auf eine Beschleuni­gung der privaten Investitio­nsprojekte gesetzt. Allein im Bereich Wohnungsba­u warten Hunderte Millionen Euro privates Geld im Verwaltung­sstau darauf, ausgegeben zu werden. Bedauerlic­herweise kommt die Trägheit des Genehmigun­gsmonsters hier voll zur Geltung. Die politische­n Entscheidu­ngsträger setzen in der Krise dann lieber auf noch höhere öffentlich­e Ausgaben, anstatt dieses private Investitio­nspotenzia­l zu befreien.

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Foto: Chris Karaba René Winkin rechnet mit weiteren Sozialplän­en Luxemburge­r Unternehme­n, bis die Krise überwunden ist.

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