Luxemburger Wort

Schwimmen mit Rosemary

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Ihr Leben war durchsetzt mit seinem Lächeln, das sie auffing, wenn er aus dem Wasser auftauchte, und seinem beruhigend­en Schnarchen. Nachts hielt es sie wach, und manchmal wurde sie deswegen ärgerlich. Sie vermisst es, ärgerlich zu werden wegen der Laute, die er beim Schlafen neben ihr von sich gab.

„Aber wissen Sie, die Wahrheit ist: Ich vermisse ihn.“

Sie holt tief Luft und fummelt an den Knöpfen ihres Jacketts herum, knöpft sie auf und wieder zu und dann wieder auf. Einer der Knöpfe ist schon lose. Er hängt von seinem Faden wie eine Blume an einem gebrochene­n Stiel. Sie glättet ihren Rock, wischt sich über das Gesicht und blickt auf.

„Es mag andere Schwimmbäd­er geben, aber sie können nie dasselbe sein. Mein George ist nicht in diesen Schwimmbäd­ern, er ist in unserem Freibad.“

Die anderen beobachten sie, aber sie nimmt sie nun kaum mehr wahr.

„Als er gestorben ist, habe ich mich in seinen Sessel gesetzt und versucht, ihn zu spüren. Es klingt jetzt albern, ich weiß, aber ich schäme mich nicht dafür. Aber na ja, es hat nicht richtig geklappt. Ich habe mich bemüht, aber es ging nicht. Er war einfach nicht mehr da. Aber wenn ich im Freibad bin, spüre ich ihn. Alles erinnert mich an ihn.“

George ist in dem Nebel, der morgens über dem Wasser hängt, er ist auf der nassen Terrasse und in den leuchtend bunten Schließfäc­hern und in dem scharfen Atemzug, mit dem sie ins Wasser steigt und der sie daran erinnert, dass sie noch am Leben ist. Er erinnert sie daran, dass sie am Leben bleiben muss.

„Vielleicht stimmt es, dass Schwimmbäd­er kein Geld einbringen. Vielleicht bin ich eine alberne alte Frau. Aber ich kann das Freibad nicht loslassen. Ich kann meinen George nicht loslassen.“

Ahmed legt Rosemary seinen Arm um die Schultern und hält sie fest. Sie atmet tief aus, die Stärke ihrer Gefühle erschöpft sie. Eine Weile ist es still, dann steht ein Mann auf.

„Wir werden in Erwägung ziehen, im Freibad zu werben. Aber wir müssen uns zuerst besprechen. Wir rufen Sie heute noch an.“Die anderen erheben sich ebenfalls. „Aber danke, dass Sie gekommen sind, Rosemary. Und Sie ebenfalls, Ahmed.“

Rosemary sieht sich die Gruppe ihr gegenüber zum ersten Mal, seit sie zu sprechen begonnen hat, genau an. Torys Gesicht ist rot. Andere blinzeln heftig, als hätten sie etwas in die Augen bekommen.

Ahmed schüttelt allen die Hand und verabschie­det sich. An der Tür wartet die Rezeptioni­stin und führt sie zurück zum Eingang.

„Sollen wir uns ein Taxi nehmen?“, fragt Ahmed. „Ich glaube, du hast es dir verdient.“

Sie nickt, und er winkt eines heran; sie ist zu erschöpft, um zu sprechen. Sobald ich wieder in meiner Wohnung bin, lege ich mich hin, denkt sie. Sie weiß, sie sollte ins Freibad gehen und Kate auf den neuesten Stand bringen, aber aus irgendeine­m Grund spürt sie, dass sie zuerst nach Hause gehen und für sich allein sein muss. Sie fühlt sich völlig verausgabt und wünscht sich nichts mehr, als in ihrem Bett zu liegen, immer noch auf der Seite, auf der sie immer lag, als George noch am Leben war. Auf der Rückbank des Taxis betrachtet Ahmed wieder durch das Fenster das vorüberzie­hende London, während Rosemary den Kopf an seine Schulter lehnt und die Augen schließt.

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