Von Kohärenz keine Spur
Mehr als 300 Vertreter von Forschungszentren, Krankenhäusern, öffentlichen Gesundheitseinrichtungen, Universitäten und Unternehmen aus Luxemburg und aus ganz Europa haben in einer gemeinsamen Erklärung die politischen Entscheidungsträger dazu aufgerufen, ihre Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie besser zu koordinieren. Die Idee hinter dem Aufruf, der am Samstag in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“veröffentlicht wurde: Nur entschlossenes und vor allem synchrones Handeln kann die Zahl der Infektionen EU-weit auf ein niedriges Niveau senken und auch langfristig halten. Dies komme sowohl der öffentlichen Gesundheit als auch der Gesellschaft und der Wirtschaft zugute. Andernfalls drohten Anfang 2021 weitere Infektionswellen.
Soweit die wünschenswerte Theorie. In der Praxis kann von Kohärenz aber keine Rede sein, sondern eher von einem Zickzackkurs der nationalen Entscheidungsträger. Kurz und knapp: Es fehlt die Vision und auch der politische Wille für ein gemeinsames, koordiniertes Handeln auf EUEbene. Jeder Staat verfolgt seit Beginn der Pandemie seine eigene Strategie zu deren Bekämpfung. Das Ergebnis sind nationale Alleingänge wie kurzfristige Grenzkontrollen und ein Wust an unterschiedlichen Regelungen und Maßnahmen in den EU-Mitgliedsstaaten, die sich ständig ändern und kaum noch nachvollziehbar sind.
Dabei ist es illusorisch zu glauben, die Corona-Pandemie wie auf einer Insel rein national eindämmen zu können, gerade auf einem Kontinent, auf dem offene Grenzen in Zeiten der Globalisierung zur Lebensader nationaler Volkswirtschaften geworden sind, wie das Beispiel der erst kürzlich mutierten Corona-Virus-Variante aus Großbritannien eindrücklich zeigt. Das gilt freilich aber nicht nur für den freien Warenverkehr. Kein Land weiß das besser als Luxemburg, dessen Gesundheitssystem ohne die zahlreichen Grenzgänger kollabieren würde. Hinzu kommen die freundschaftlichen und familiären Bande, die – wie das Corona-Virus – nicht an Grenzen halt machen.
Doch trotz aller Bemühungen von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratschef Charles Michel, die Covid-Maßnahmen auf EU-Ebene besser zu koordinieren, sind diese weitgehend gescheitert. Immerhin konnte man sich auf die gemeinsame Beschaffung von Impfstoffen einigen. Aber wenn es hart auf hart kommt, wird nun mal kurzfristig und national entschieden. Dies gilt auch und insbesondere für den Gesundheitsbereich. Denn er gehört zur nationalen Kernkompetenz der Mitgliedsstaaten und in den wollen sie sich nicht von Brüssel reinreden lassen. Die Entwicklung von langfristigen, grenzübergreifenden Exit-Strategien zur Eliminierung, zum Screening, zur Impfung und zum Schutz von Hochrisikogruppen bleibt dabei aber auf der Strecke, obwohl die Grenzen einer solch rein nationalen Betrachtung des Gesundheitswesens gerade in Pandemie-Zeiten deutlich aufgezeigt werden. Bis gestern sind laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) 525 925 Menschen in Europa an den Folgen einer Covid-19-Infektion gestorben. Europa gehört nicht zufällig zu den am ärgsten gebeutelten Kontinenten.
Wenn es hart auf hart kommt, wird kurzfristig und national entschieden.