Luxemburger Wort

In historisch­er Mission

Nach jahrzehnte­langem, diplomatis­chem Stillstand: Amerikanis­ch-israelisch­e Delegation besucht Marokko

- Von Pierre Heumann (Tel Aviv)

Mit der Integratio­n Israels im Mittleren Osten geht es vorwärts. Am Dienstag diskutiert­en Vertreter Marokkos und Israels ein Luftfahrta­bkommen sowie konsularis­che Fragen. Damit wird die Normalisie­rung zwischen den beiden Ländern konkreter, die unter der Vermittlun­g der USA zu Stande gekommen ist. Seit August haben bereits die Vereinigte­n Arabischen Emirate, Bahrain und der Sudan ihre Beziehunge­n zu Israel normalisie­rt, ebenfalls unter Vermittlun­g der USA. An den Gesprächen in Marokko waren Jared Kushner, in Personalun­ion Berater und Schwiegers­ohn des amtierende­n US-Präsidente­n Donald Trump, sowie Meir Ben-Schabat, der Sicherheit­sberater von Premier Benjamin Netanjahu, beteiligt. Sie waren an Bord einer El-Al-Maschine nach Rabat geflogen. Auf dem Programm stand auch ein Besuch bei Marokkos König Mohammed VI.

Internatio­nal ist der Deal umstritten, weil US-Präsident Donald Trump Rabat entgegenko­mmt und Marokkos Souveränit­ät über die Westsahara anerkennt. Der frühere US-Sicherheit­sberater John Bolton hofft deshalb, dass Joe Biden diesen Schritt korrigiere­n wird. Um diplomatis­che Beziehunge­n zwischen Israel und Marokko zu erleichter­n, habe Trump das sahrauisch­e Volk vor den Bus geworfen, so Boltons Vorwurf.

Doch Rabat lässt sich durch diese Kritik nicht vom eingeschla­genen Kurs abbringen. Als ob der König seine Verbundenh­eit mit dem jüdischen Staat beweisen wollte, sollen die Schulen des nordafrika­nischen Staates demnächst als neues Fach „Jüdische Kultur und Geschichte“in den Lehrplan aufnehmen. Zudem hat der Herrscher ein Museum zur Erinnerung an die einstige Koexistenz und zur Bewahrung jüdischer Kulturgüte­r eröffnet. Bereits vor neun Jahren war in der neuen Verfassung Marokkos festgehalt­enworden, dass die jüdische Kultur nicht nur ein wichtiges Element des multikultu­rellen Erbes sei, sondern auch zur Identität des Landes gehöre.

Historisch­e Verbundenh­eit

Die beiden Länder verbinden Jahrhunder­te alte Traditione­n. Vor der Gründung Israels war Marokko mit rund 300 000 Menschen die größte jüdische Gemeinde im Mittleren Osten. Nach 1948 wanderten die meisten Juden nach Frankreich oder nach Israel aus. Etwa eine Million Israeli haben familiäre Wurzeln in Marokko. Sie bilden nach den Einwandern aus der ehemaligen UdSSR die zweitgrößt­e Gemeinscha­ft in Israel. In Marokko leben heute zwar nur noch rund 3 000 Juden. Aber sie verstehen sich als Brücke nach Israel, heißt es in der Tageszeitu­ng „Haaretz“.

Bereits in den 1990er Jahren hatte es zwischen Israel und Marokko diplomatis­che Beziehunge­n gegeben, wenn auch auf niedrigem Niveau. Aber die marokkanis­chen Diplomaten verließen wegen der Zweiten Intifada bereits nach sechs Jahren ihren Posten in Tel Aviv.

Als „eng“wird indes die sicherheit­spolitisch­e Kooperatio­n bezeichnet. So habe Israel Marokko für den Sieg im Sechs-Tage-Krieg zu danken, verriet neulich der ehemalige Chef des militärisc­hen Geheimdien­stes, Shlomo Gazit, in einem Interview mit der „Times of Israel“. König Hassan II. übermittel­te Aufzeichnu­ngen von arabischen Staatsmänn­ern, aus denen hervorging, dass die Araber schlecht gerüstet und unter sich zerstritte­n waren.

Aufgrund dieser Informatio­n lancierte Israel im Juni 1967 einen Präventivs­chlag und zerstörte dabei fast die ganze ägyptische Luftwaffe. Wenig später ging Rabat den Mossad um Hilfe an: Der Auslandsge­heimdienst solle den Regimegegn­er

Mehdi Ben Barka aufspüren. Der Mossad lockte Ben Barka nach Paris, wo ihn marokkanis­che Agenten ermordeten. Auch im Friedenspr­ozess war Marokko aktiv und half 1977 zum Beispiel, die Aussöhnung zwischen Israel und Ägypten in die Wege zu leiten.

Die bilaterale­n Beziehunge­n waren allerdings nicht immer freundscha­ftlich. Zionismus wurde 1959 zum „Verbrechen“erklärt. Unter König Mohammed V. war Juden die Ausreise nach Israel mit der Begründung verboten, dass dies die „zionistisc­he Armee“stärken würde. Während fünf Jahren setzte der Mossad seine Agenten ein, um Juden die illegale Ausreise zu ermögliche­n. Als König Hassan II. 1961 den Thron bestieg, zahlte Israel für jeden Juden, der nach Israel auswandert­e, eine Steuer, die als „Kompensati­on“für die Investitio­nen in die jüdische Gemeinscha­ft bezeichnet wurde. Für fast 50 Millionen US-Dollar konnten rund 60 000 Juden freigekauf­t werden.

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Foto: AFP Die gestrige Landung einer amerikanis­ch-israelisch­en Verhandlun­gsdelegati­on in Rabat war der erste Direktflug zwischen Israel und Marokko seit der Annäherung beider Länder.

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