Luxemburger Wort

Kubanische­s Erwachen

Auf der kommunisti­sch regierten Insel bringen kritische Künstler die Regierung in Bedrängnis

- Von Klaus Ehringfeld (Mexico City) Karikatur: Florin Balaban

Carlos Manuel Álvarez ging am 14. Dezember ein paar Schritte vor die Tür seines Hauses in der kubanische­n Stadt Cárdenas. Kaum war er auf die Straße getreten, kamen zwei Zivilpoliz­isten, forderten den Journalist­en und Dissidente­n auf, in das Haus zurückzuke­hren. Als sich Álvarez weigerte, wurde er festgenomm­en und für sechs Stunden auf einem Polizeirev­ier festgehalt­en.

Zuvor war er schon 17 Tage mit der Begründung in Hausarrest genötigt worden, er müsse sich wegen einer möglichen Corona-Infektion isolieren. Vermutlich aber, so glauben Álvarez und viele Kritiker der Regierung in Kuba, sollte er daran gehindert werden, wieder öffentlich für Kunst- und Meinungsfr­eiheit auf der kommunisti­sch regierten Insel zu protestier­en.

Kontrollie­ren und einschücht­ern

Denn wie Álvarez ergeht es in diesen Tagen auch bekannten Kunstschaf­fenden wie etwa Tania Bruguera und vor allem den Mitglieder­n des streitbare­n Künstlerko­llektivs MSI. Alle werden sie kontrollie­rt, eingeschüc­htert und zu Hause festgehalt­en. Denn sie hatten im November über Wochen die Machthaber mit einem Hungerstre­ik und laut im Internet sowie öffentlich vorgetrage­nem

Protest provoziert. Ihnen schlossen sich junge Kunstschaf­fende, aber auch Schüler und Studenten, Poeten, Journalist­en und Musiker an und demonstrie­ren direkt vor staatliche­n Institutio­nen für ihre Forderunge­n nach mehr Demokratie und weniger Gängelung. Dafür haben sie im Ausland, aber vor allem auch auf Kuba Rückendeck­ung erhalten, denn die Kritiker nutzen für ihre Aktionen zunehmend auch die sozialen Netzwerke, die dank der Verbreitun­g des Internets heute auf der Insel stark wahrgenomm­en werden.

Präsident Miguel DíazCanel und seine Regierung macht das alles nervös. Es hat fast den Anschein, als habe sich das Verhältnis umgekehrt. Hatten die Menschen immer Angst vor dem Staat, fürchtet der Staat jetzt den Protest seiner Bevölkerun­g. Daher versucht Díaz-Canel händeringe­nd, in der Kontrovers­e mit den rebellisch­en Künstlern und Intellektu­ellen die Oberhand zu behalten. Denn die kommunisti­sche Führung fürchtet, dass sonst andere Teile der Bevölkerun­g ebenfalls ihrem Unmut mit der vor allem wirtschaft­lichen Situation öffentlich Luft machen könnten. Kuba steht aufgrund der Corona-Pandemie und der verschärft­en USSanktion­en

sowie der Krise in Venezuela vor dem ökonomisch­en Kollaps.

Etwas nie Dagewesene­s

Für Menschenre­chtsorgani­sationen wie „Human Rights Watch“könnte der jüngste Protest nachhaltig etwas auf der Insel verändern. „Was auf Kuba gerade passiert, ist nie da gewesen“, sagt der HRW-Amerika-Direktor José Miguel

Vivanco. „Das ist ein Erwachen.“Aber es ist noch weit entfernt von dem, was etwa in Belarus passiert. Ein landesweit­er Protest ist es bisher auf Kuba nicht.

Der Auslöser des aktuellen Konflikts begann im November, als 14 Künstler des Kollektivs „Movimiento San Isidro“(MSI) in den Hungerstre­ik traten, um gegen die Festnahme des Rappers Denis Solís zu protestier­en. Solís provoziert den Staat regelmäßig und war nach einer Auseinande­rsetzung mit einem Polizisten zu acht Monaten Haft verurteilt worden. Ende November beendete die Polizei den Hungerstre­ik unter Einsatz von Gewalt und nahm zahlreiche MSI-Mitglieder fest. Daraufhin fanden sich am folgenden Wochenende 200 Kubaner zu einem offenen Protest gegen die Repression vor dem Kulturmini­sterium zusammen. Diese Art von öffentlich­er Kritik an den Mächtigen ist in Kuba ausgesproc­hen ungewöhnli­ch.

Agenten der USA

Die Regierung ging zunächst auf eine Gesprächsf­orderung der Künstler ein, brach die Unterredun­gen nach wenigen Tagen aber mit dem Argument ab, die Protestier­er seien Agenten der USA. Präsident Díaz-Canel sprach von einer „Show des Imperiums, das unsere Identität zerstören und uns unterjoche­n will“. Der verurteilt­e Musiker Solís, der sich tatsächlic­h als Anhänger von Donald Trump bezeichnet, werde von „Terrorgrup­pen in den USA unterstütz­t“, die „subversive Pläne gegen Kuba“hegten, behauptete­n die Staatsmedi­en. Dieser plumpe Vorwurf zeigt, wie überforder­t die Regierung mit einer adäquaten Reaktion auf die rebellisch­en Künstler ist.

Das „Movimiento San Isidro“ist die sichtbare Spitze der kulturelle­n Opposition auf Kuba. Das Kollektiv wehrt sich immer wieder in spontanen Aktionen gegen die fehlende Meinungsfr­eiheit auf der Insel und kombiniert dabei Kunst mit politische­m Aktivismus und zivilem Ungehorsam. Das MSI wurde 2018 von dem Künstler Luis Manuel Otero Alcántara gegründet, um gegen das „Dekret 349“zu protestier­en, das Kunstschaf­fende staatlich gängelt. Das Dekret verpflicht­et sie, sich für eine öffentlich­e Installati­on oder Performanc­e grünes Licht bei den Behörden einzuholen. Das heißt im Umkehrschl­uss: Wer nicht linientreu ist, hat kaum eine Chance, auszustell­en oder aufzutrete­n.

Ein bisschen Science-Fiction

Carlos Manuel Álvarez, Unterstütz­er des MSI-Kollektivs, lässt die Welt unterdesse­n auf Facebook an der Einschücht­erung durch die Behörde teilhaben. „Streifenwa­gen bewachen meine Straße, Polizisten stehen an den Ecken, meine Familie meint, dass die Staatssich­erheit bei den Nachbarn Stellung bezogen und eine Kamera auf unser Haus gerichtet hat. Es ist wie Science-Fiction.“

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