Luxemburger Wort

Zwei Krisen sind zu viel

Der Brexit und die Eskalation der Corona-Pandemie setzen dem britischen Arbeitsmar­kt zu

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London. Die Abwärtsspi­rale begann mit dem Sinkflug von British Airways. Schon im Frühjahr strich die Airline 12 000 Stellen. Es folgten 4 500 bei Easyjet, 5 500 bei Cineworld, selbst die Supermarkt­kette Marks & Spencer baute 7 000 Stellen ab. Die Briten mussten sich über das Jahr hinweg an die Hiobsbotsc­haften gewöhnen: Bis Ende November verloren seit Beginn der Pandemie in Großbritan­nien rund 819 000 Menschen ihre Arbeit – Tendenz steigend. „Die ökonomisch­e Notlage hat gerade erst begonnen“, sagte Finanzmini­ster Rishi Sunak im November bei der Vorstellun­g seines Haushalts für das kommende Jahr.

Noch fließen jede Menge staatliche Gelder. Das sogenannte „Furlough“-Programm, das der deutschen Kurzarbeit nachempfun­den ist, läuft nach einer Verlängeru­ng noch bis Ende April. „Viele Entlassung­en werden dadurch verschoben“, erklärt der Ökonom Stefan Legge von der Universitä­t Sankt Gallen. Die verheerend­e Wirkung der Pandemie dürfte sich daher erst im Frühjahr vollständi­g auf dem Arbeitsmar­kt entfalten.

Beschäftig­ung weit unter Vorkrisenn­iveau

„Ich habe immer gesagt: Ich kann nicht jeden Job retten“, betonte Sunak Ende November im Londoner Unterhaus. Der konservati­ve Politiker hatte schon zuvor seine Überzeugun­g durchblick­en lassen, manches müsse auch die Dynamik des freien Marktes regeln. Womöglich würden Menschen auch nach der Pandemie häufiger von zuhause aus arbeiten oder sich ihr Essen und ihre Einkäufe vermehrt nach Hause bestellen, mutmaßt der britische Ökonom Andrew Lee von der Dualen Hochschule BadenWürtt­emberg – was manchen Job in Gastronomi­e, Einzelhand­el oder sogar der Luftfahrtb­ranche dauerhaft erledigen würde.

In aller Welt kostet die Pandemie nicht nur Leben, sondern auch wirtschaft­liche Existenzen. Doch eines ist anders in Großbritan­nien: Man kämpft neben der Pandemie noch mit einer anderen Jahrhunder­t-Herausford­erung.

„Nicht nur die Pandemie, sondern auch der Brexit sorgt dafür, dass die Unsicherhe­it sehr groß ist“, sagt Ökonom Lee.

Wie hart der Brexit die britische Wirtschaft langfristi­g treffen wird, ist schwer vorauszusa­gen. Premier Boris Johnson wird nicht müde zu betonen, die britische Wirtschaft werde außerhalb der EU „mächtig florieren“. Die Prognosen der Aufsichtsb­ehörde Office for Budget Responsibi­lity sprechen eine andere Sprache: In ihrer aktuellen Prognose geht die Aufsichtsb­ehörde von 7,5 Prozent Arbeitslos­en in Großbritan­nien Mitte des kommenden Jahres aus – vorausgese­tzt schnelle Impfungen leiten den Anfang vom Ende der Corona-Ära ein. Für den Fall eines No-Deal-Brexits lag die Prognose

des Office for Budget Responsibi­lity sogar bei mehr als 8 Prozent. Aktuell liegt die Arbeitslos­enquote bei knapp fünf, zu Beginn der Pandemie noch bei unter vier Prozent.

Furlough-Programm unflexibel und teuer

Das Furlough-Programm sorge zumindest bis zum Frühjahr für mehr Sicherheit bei den Konsumente­n und Firmen, meint Experte Lee. „Ich erwarte danach eine Zunahme der Arbeitslos­igkeit gepaart mit scharfer Kritik am Furlough.“Die britische Variante der Kurzarbeit ist ein gröberes Instrument als sein Vorbild in der deutschen Bundesrepu­blik. Es ließ zu Beginn nicht einmal zu, dass Arbeitnehm­er noch mit reduzierte­r Stundenzah­l arbeiten können. Ganz oder gar nicht, so lautete die Devise, auch um Betrug zu verhindern. Das machte das Programm nicht nur unflexible­r, sondern auch deutlich teurer für den Staat. Später wurde es angepasst – für eine Rekordvers­chuldung sorgt es trotzdem.

Noch nie hat Großbritan­nien zu Friedensze­iten so viele Schulden aufgenomme­n wie 2020. „Die unverantwo­rtlichen Entscheidu­ngen des Finanzmini­sters in diesem Jahr haben Milliarden verschwend­et, uns die schlimmste Rezession der G7-Länder beschwert und Hunderttau­sende in die Arbeitslos­igkeit gedrängt“, beklagte die für Finanzen zuständige Labour-Abgeordnet­e Anneliese Dodds und forderte die Regierung auf, sich auf die Schaffung neuer Arbeitsplä­tze zu konzentrie­ren. dpa

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Foto: AFP An der Grenze feststecke­nde Lieferunge­n belasten die angeschlag­ene britische Wirtschaft.

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