Luxemburger Wort

Ein Hirte in Jahrtausen­de alter Tradition

Schäfer Florian Weber aus Lieler ist auch an Weihnachte­n mit seinen Tieren unterwegs

- Von Michael Merten

Gleich geht es los – und das wissen die Schafe, die gerade noch herumgetro­ttet sind und die Weide abgegrast haben. Drei Tage haben sie ungestört auf der großen Fläche unterhalb der Schüttburg bei Kautenbach (Kanton Wiltz) verbracht. Doch jetzt blickt die Herde erwartungs­voll in Richtung von Florian Weber. Auch die beiden Border Collies Loki und Flora wissen, dass sie gleich zum Einsatz kommen werden. Noch sitzen sie ruhig zu Füßen des Schäfers. Doch mit einem kurzen Kommando setzt Weber die knapp 600-köpfige Herde in Bewegung, die ihm in Richtung der Straße folgt. Jetzt sind die beiden Hunde gefragt: In hohem Tempo laufen sie die Flanken der Herde ab, machen bummelnden Nachzügler­n Dampf, halten Abweichler in Schach. „Loki“, ruft Weber seinen Hund zu sich, „Loki, komm hier!“Das Tier reagiert umgehend auf den in bestimmtem Ton, aber ohne jegliche

Hektik ausgesproc­henen Befehl. Den 33-jährigen Schafhirte­n kann so schnell nichts aus der Ruhe bringen. „Mit Schafsinn wird alles gut ...“– das ist das Motto, mit dem er die traditione­lle Wanderschä­ferei mit Hof in Lieler (Kanton Clerf) in zweiter Generation führt.

Es ist der Donnerstag vor dem vierten Advent – und für Weber ein gefühltes Comeback: Seine Frau Myriam Zimmer hat eine Woche zuvor ihr drittes Kind auf die Welt gebracht. Deshalb war der Vater knapp eine Woche lang nicht bei den Tieren, sondern hat sich um die Familie gekümmert. Das Draußensei­n mit den Herden und seinem Angestellt­en Felix Have hat ihm gefehlt; er kennt das nicht anders. Als Sohn von Schäfern ist er mit dem Leben in der Natur aufgewachs­en; „wenn die Schulfreun­de gelernt haben und Hausaufgab­en gemacht haben, waren wir bei den Schafen“, erzählt Weber und lacht. Freunde von ihm klagen schon mal über das Wetter, doch ihm selbst ist es nie zu nass, zu kalt oder zu heiß: „Jeder Mensch, der eine gewisse Zeit draußen verbracht hat, dem fällt es schwer, darauf zu verzichten.“Auch der Winter hat seine besonderen Reize: Die Natur kommt mehr zur Ruhe, auch die Kontakte zu den Menschen werden weniger.

In diesen Tagen, wenn die Weihnachts­erzählung in Kirchen und Familien vorgelesen wird, ist nicht nur von Maria, Josef und dem Kind, sondern auch von Engeln und Hirten die Rede. Viele Menschen glauben, dass heutige Schäfer ihre Tiere um die Weihnachts­zeit längst in den Stall gebracht haben. Doch angesichts recht milder Winter, wie sie zunehmend auftreten, sind die Tiere draußen besser aufgehoben. Wenn mal für ein oder zwei Tagen Schnee falle, könne man problemlos Heu raus fahren, um sie zu ernähren, erklärt der Schäfer. Erst, wenn der Schnee so hoch liegt, dass die Schafe das Gras nicht mehr erreichen können, ist die Outdoor-Saison definitiv vorbei: „Wenn wirklich ein Wintereinb­ruch kommt, dann müssen sie in den Stall.“Das war 2020 jedoch erst Anfang März der Fall.

Mitte April ist die Herde dann wieder losgezogen in Richtung der französisc­hen Grenze bei Esch/Alzette. „Wir sind immer noch auf dem weg nach Hause, peu à peu“, erklärt Weber. Seine Vorgänger haben noch bei ihren Herden übernachte­t, was in den Alpen auch noch vorkommt. Doch im überschaub­aren Luxemburg erleichter­n Geländewag­en die Arbeit; ihre Abende können die Schäfer bei ihren Familien verbringen.

Tagsüber sind sie jedoch viel zu Fuß unterwegs. Zunächst bewegt sich die Herde auf einer Landstraße fort, doch nach einigen Hundert Metern biegt Weber mit den Tieren auf einen schmalen Wanderweg ab. Dort zeigt sich, wie geländegän­gig die unscheinba­r wirkenden Schafe selbst auf schmalen Trails und an Hängen sind; schnell und geschmeidi­g kommt die Herde voran.

Schäfer waren ein fester Bestandtei­l jedes Dorfes in Luxemburg. Florian Weber

Passanten freuen sich über den Anblick der Schafe

Dass die Tiere so wie jetzt einmal drei Tage auf einer großen Weide bleiben können, ist selten. „Oft müssen wir täglich weiter“, sagt Weber. „Vor allem im Sommer sind wir jeden Tag unterwegs.“In der warmen Jahreszeit arbeiten die Schäfer für Naturschut­zvereine und beweiden entlegene Flächen, die nicht maschinell beackert werden können. Doch im Winter weiden die Schafe auf Flächen, die ihnen Landwirte zur Verfügung stellen. das ist eine Win-win-Situation“, sagt Felix Have: „Wir haben Futter für die Schafe und die Qualität der Flächen nimmt zu.“Denn wenn das Gras im Winter abgefresse­n wird, kann es im Frühjahr besser nachwachse­n. Zudem gebe es eine zusätzlich­e Düngung durch die Schafsköte­l, erklärt der 31-Jährige aus Echternach­erbrück (D).

Durch ihre Arbeit kennen die beiden Männer jeden noch so kleinen Wanderweg in Luxemburg. „Der Verkehr ist heute zu dicht und zu schnell, um große Straßen zu nutzen“, sagt Weber. „Aber wir können uns durch ganz Luxemburg unter dem Radar bewegen.“

Am Bahnüberga­ng hinter Kautenbach „parkt“er die Schafe für kurze Zeit in einer Seitenstra­ße, während sein Mitarbeite­r aus dem Begleitfah­rzeug steigt und zur Schranke geht. Dort befindet sich ein Telefonhör­er, der ihn mit der Bahn verbindet. Weil der nächste

Schäfer Florian Weber (o.) ist bei Wind und Wetter in den entlegenst­en Winkeln von Luxemburg unterwegs. Kurz vor Weihnachte­n zog seine Herde durch Kautenbach.

Zug erst in 15 Minuten einfahren wird, ist mehr als ausreichen­d Zeit, um die Gleise zu überqueren. Dann geht es wieder auf eine größere Straße, doch die Beiden haben ihre Herde im Griff, die Passage bereitet keine Probleme. Nur einmal im Jahr, wenn sie den Kirchberg überqueren müssen, haben die Schäfer Unterstütz­ung durch die Administra­tion des ponts et chaussées.

Hier und da regt sich mal jemand auf, der im Auto warten muss, bis die Herde vorbeigezo­gen ist. Doch das sind Ausnahmen, sagt Have: „Meistens sind die Leute begeistert, sowas zu sehen.“Weber bestätigt: „Die meisten Leute freuen sich unheimlich, man wird ständig fotografie­rt.“

Die Suche nach verlorenen Schafen

kann Monate dauern

Selten kommt es vor, dass in hektischen Situatione­n, aber auch durch den Kontakt mit freilaufen­den Hunden mal ein Schaf verloren geht. Es kam vor, dass die Suche nach dem Tier zwei Monate gedauert hat. Manchmal erhalte er dann abends einen Anruf, dass ein Schaf gesichtet wurde, doch wenn er dort sei, sei es meistens schon wieder verschwund­en, erzählt Weber.

Nach etwa sechs Kilometern hat die Herde eine neue Wiese erreicht, wo sie zwei Tage verbringen wird. Wie es dann weitergeht, entscheide­t die Natur: „Ich hoffe, dass wir noch zwei Monate brauchen bis nach Hause. Aber im Zweifel können wir auch in zwei Tagen zu Hause sein“, sagt Weber. Im Januar und Februar, wenn die Lämmer auf die Welt kommen, steht für ihn viel Arbeit an; auch in der Zeit im Stall von März bis Mitte April, wenn die Schafe geschoren werden.

Florian Weber liebt seinen Beruf; er würde gern einmal die dritte Familienge­neration an die Schäferei heranführe­n. Doch die Zukunftsau­ssichten sind unsicher. „Schäfer waren ein fester Bestandtei­l jedes Dorfes in Luxemburg“, sagt Weber. Das erkenne man noch heute an Flurnamen wie „Zur Schäferei“

Dass man heute ein Handy hat und Auto fährt, das ist neu. Aber von der Grundarbei­tsweise her hat sich der Beruf seit Ewigkeiten nicht geändert. Florian Weber

Zwei Männer, zwei Hunde, 600 Schafe: Florian Weber und sein Angestellt­er Felix Have (o. r.) halten mit ihren Border Collies Loki und Flora eine Herde von 600 Tieren in Schach. Es sind überwiegen­d Schwarzkop­fschafe, eine deutsche Züchtung aus dem 19. Jahrhunder­t. „Das ist ein ruhiges Schaf, das sich gut zum Wandern eignet“, sagt Weber.

oder „Auf der Nachtweide“. Doch in den vergangene­n 20 Jahren ging ihre Zahl stark zurück; im Großherzog­tum sind heute gerade mal noch drei Berufsschä­fer im Einsatz. „Rein durch Fleisch- und Wollproduk­tion kann ein Schäfer nicht mehr überleben“, sagt er. Viele benötigten ein weiteres Standbein, etwa im Tourismus. Nur: Die Werbung in sozialen Netzwerken, Schafwande­rungen und der Hofverkauf sind arbeitsint­ensiv.

Doch Weber möchte nicht in Klagen von Kollegen einstimmen. „Es wird nicht leichter, weil der Beruf mittlerwei­le vom Aussterben bedroht ist“, sagt er. Anderersei­ts gibt es Hirten schon seit Tausenden von Jahren. „Man hat schon einen gewissen Berufsstol­z“, sagt er. „Dass man heute ein Handy hat und Auto fährt, das ist neu. Aber von der Grundarbei­tsweise hat sich der Beruf seit Ewigkeiten nicht geändert. Das steht im Kontrast zu sehr vielen modernen Berufen.“Er weiß auch angesichts des Weihnachts­festes um die Symbolik seines Jobs. „Der Hirte muss sich die ihm anvertraut­en Tiere sorgen. Es funktionie­rt nur, wenn man sich um seine Schafe kümmert. Die Tiere vertrauen einem sehr.“

1. Lesung (Sir 3, 2-6.12-14)

Wer den Herrn fürchtet, ehrt seine Eltern Lesung aus dem Buch Sirach.

Der Herr hat dem Vater Ehre verliehen bei den Kindern und das Recht der Mutter bei den Söhnen bestätigt. Wer den Vater ehrt, sühnt Sünden, und wer seine Mutter ehrt, sammelt Schätze. Wer den Vater ehrt, wird Freude haben an den Kindern und am Tag seines Gebets wird er erhört. Wer den Vater ehrt, wird lange leben, und seiner Mutter verschafft Ruhe, wer auf den Herrn hört. Kind, nimm dich deines Vaters im Alter an und kränke ihn nicht, solange er lebt! Wenn er an Verstand nachlässt, übe Nachsicht und verachte ihn nicht in deiner ganzen Kraft! Denn die dem Vater erwiesene Liebestat wird nicht vergessen; und statt der Sünden wird sie dir zur Erbauung dienen.

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