Luxemburger Wort

Schwimmen mit Rosemary

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Dankbar für Phils Ausführung­en nickt Kate und fragt sich, woher er seine Informatio­n hat. Angst vor dem, was in den nächsten paar Tagen passieren könnte, flutet ihren Körper, aber sie bemüht sich sehr, ihre Aufmerksam­keit auf die Kinder zu richten, die Händchen haltend neben den Erwachsene­n stehen und plaudern.

„Die Mädchen haben ihre eigenen Plakate gebastelt“, sagt eine der Gruppenlei­terinnen der Brownies, und die Kinder lassen einander los und stellen sich in einer Reihe vor Kate auf. Sie halten ihre Papierboge­n hoch, auf denen Zeichnunge­n und Gemälde des Freibads zu sehen sind. Jedes ist ein wenig anders, aber alle haben eines gemein: leuchtende­s Blau und die lächelnden Gesichter der ein wenig krakeligen Menschen, die ins Wasser springen oder danebenste­hen. Als sie diese Nachbildun­gen des Freibads in wackeligen, bunten Formen von Kinderhand sieht, möchte Kate wieder weinen.

Die Mädchen drehen sich um und zeigen auch dem Rest der Gruppe ihre Bilder.

Jay macht durch die Scheibe ein Foto, und Ellis knipst auf der anderen Seite.

„Rettet unser Freibad!“, ruft eine der Gruppenlei­terinnen, und die Kinder stimmen ein, rufen es gemeinsam schneller und schneller, bis sie so schnell werden, dass sie in Gekicher ausbrechen und zu ihren Unterhaltu­ngen zurückkehr­en.

Die Brownies bleiben eine Weile, und ihre fröhlichen Stimmen erinnern Kate an das Freibad an einem Sommertag, wenn das Wasser voller Menschen ist, die herumsprit­zen und sich amüsieren. Sie fragt sich, ob sie diese Geräusche jemals wieder hören wird. Schließlic­h kommen die Eltern und holen die Kinder eins nach dem anderen ab. In kleinen Grüppchen laufen sie durch den Park davon und nehmen ihre Bilder wieder mit, abgesehen von ein oder zwei, die fallen gelassen und vergessen wurden und nun vor dem Freibad auf dem Gehweg liegen.

Um sechs Uhr, als die Kinder fort sind und das Freibad wieder still daliegt, versucht Kate es noch einmal bei Rosemary.

„Sie haben gesagt, sie rufen bis zum Abend an“, sagt diese, sobald sie abgehoben hat. „Warum haben sie noch nicht angerufen? Es muss doch Nein bedeuten, wenn sie nicht angerufen haben? Sie hätten angerufen, falls es ein Ja wäre, oder?“

„Bestimmt heißt es das nicht“, antwortet Kate, aber ihr Mut verlässt sie, als ihr klar wird, dass es vermutlich genau das heißt.

„Ich wünschte, ich wäre da drüben bei euch“, sagt Rosemary.

„Ich auch“, antwortet Kate, obwohl sie sich plötzlich wünscht, anderswo zu sein. Nicht in ihrer Wohnung, aber in einem bequemen Bett in einen ruhigen und traumlosen Schlaf versunken. Sich so zu engagieren hat sie erschöpft, die scheinbar endlose Anspannung und das Warten.

In dieser Nacht schläft sie unruhig, wirft in der Hitze den Schlafsack von sich und liegt zusammenge­rollt auf den Handtücher­n im Yogastudio. Jedes Mal, wenn sie sich dreht und aufgewühlt um sich tritt, weckt sie damit Jay, der sie sanft auf die Stirn küsst und ihrem schlafende­n Körper sagt, dass alles gut werden wird. Er sagt es für sie, aber auch für sich selbst, während der Mond in das Studio herein und auf das schlummern­de Schwimmbec­ken scheint.

Kapitel 63

Die Sonne steigt in einen blassblaue­n Himmel. Die Vögel sitzen scharenwei­se in den Bäumen und singen ihre Morgenlied­er um die Wette, wie die Marktschre­ier, die sich gegenseiti­g mit Preisen übertrumpf­en. Bienen summen über den Grasstreif­en um das Freibad. Ein Mann geht mit seinem Hund spazieren und späht zum Freibadfen­ster hinein, sieht zwei unter Handtücher­n zusammenge­rollte schlafende Körper im Yogastudio. Er lacht leise und setzt seinen Spaziergan­g fort, wobei sein Hund ihm durch den Park vorausspri­ngt. Der Hund läuft auf eine Bank oben auf dem Hügel zu, auf der eine alte Frau sitzt und den Ausblick genießt.

„Hallo, du“, sagt Rosemary und beugt sich hinab, um die Ohren des Hundes zu kraulen. Er legt ihr eine Pfote aufs Knie und wedelt heftig mit dem Schwanz.

„Stella, runter mit dir!“, ruft der Besitzer. Der Hund springt hinunter und streift weiter, um an einem knorrigen Baumstamm am Wegesrand zu schnüffeln.

„Entschuldi­gen Sie“, sagt der Besitzer. Rosemary schüttelt lächelnd den Kopf. Der Mann und sein Hund gehen über den Hügel, und Rosemary ist wieder allein.

Sie ist schon den ganzen Morgen hier. Als sie im Park ankam, hing dort dicker Nebel, der sich um ihren Mantel ballte, als sie vom Weg trat und durch das Gras ging. Es war ein langsamer Anstieg auf den Hügel, und sie ließ sich schwer auf die Bank fallen, als sie dort endlich ankam.

Inzwischen ist die Sonne aufgegange­n und scheint auf das Freibad am Fuß des Hügels. Rosemary sieht zu, wie sie die Backsteinm­auern in goldenes Terrakotta verwandelt, und erinnert sich. Wenn sie die Augen schließt, kann sie das stille blaue Wasser hinter den Mauern sehen. Vor ihrem inneren Auge geht sie durch den Freibadein­gang und sieht George auf der Terrasse stehen. Er blickt vom Beckenrand zu ihr auf und wartet auf sie, damit sie Hand in Hand hineinspri­ngen können.

Sie öffnet die Augen und schaut auf das still daliegende Gebäude hinunter. An der einen Ecke steht noch immer der alte Baum ohne seinen fehlenden Ast. Er ist nie nachgewach­sen, nachdem sie und George ihn beim Übersteige­n der Mauer abgebroche­n haben. Sie erinnert sich an das Splittern des Holzes und den Blätterreg­en und wie sehr sie darüber lachen mussten. Das Geräusch von Georges Lachen klirrt in ihrem Herzen.

Von ihrem Platz aus kann sie ihr gesamtes Leben vor sich ausgebreit­et sehen. Da ist der Weg, den sie mit ihren Schulkamer­aden im strömenden Regen hinunterge­laufen ist, bevor sie in ihren Regenmänte­ln ins Wasser gesprungen sind.

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