Der unsichtbare Feind
Corona ist das Wort des Jahres. Kein Wunder, beherrscht die Pandemie doch seit Monaten das Leben von uns allen. Alles dreht sich um die unsichtbare Gefahr. Die Menschen infizieren sich, werden krank, sterben. Das Gesundheitssystem arbeitet am Limit. Die Wirtschaft darbt vor sich hin.
Die Ausgangsposition ist im Herbst allerdings eine völlig andere als im Frühjahr bei der ersten Welle. Die Stimmung ist schlecht, die Menschen sehnen sich zurück in die Normalität. Sie sind müde, die monatelangen Einschränkungen haben sie mürbe gemacht. Während sie den ersten Lockdown wie in Schockstarre stoisch ertragen und die von der Regierung verordneten sanitären Regeln fast klaglos akzeptiert haben, werden die Maßnahmen im Herbst mehr und mehr in Frage gestellt. Die Akzeptanz und damit die Bereitschaft, sich weiter gewissenhaft an die Corona-Bestimmungen zu halten, nimmt ab. Grenzen werden ausgelotet und maximal ausgereizt. Die Vorschriften werden so ausgelegt und interpretiert, dass sie den größtmöglichen Spielraum für die nunmehr seit einem Dreivierteljahr stark eingeschränkten Freiheiten bieten. Es wird zurecht auf die Inkohärenz einiger Maßnahmen hingewiesen. Es wird sich beispielsweise auf Rechenbeispiele kapriziert. Auch die Opposition macht mit, und rechnet immer wieder lautstark vor, dass drei plus zwei das gleiche Resultat ergibt wie zwei plus drei, nämlich fünf. Das stimmt, doch das Virus kennt keine Mathematik. Es kennt nur Opfer. Die eigentliche Botschaft kommt offensichtlich nicht mehr an: Die Kontakte müssen auf ein absolutes Minimum beschränkt werden. Im März war die Ansage unmissverständlich: Bleift doheem.
Die Regierung hat ein Kommunikationsproblem. Dabei kämpft sie längst nicht mehr allein gegen das Virus, sie kämpft auch an einer zweiten Front: Sie muss die ausgelaugte Bevölkerung wieder motivieren. Um das zu erreichen, muss sie ihre Entscheidungen verständlich und nachvollziehbar erklären. Und genau das tut sie nicht. Sie hat beispielsweise nie einen ernsthaften Versuch unternommen, glaubhaft zu begründen, weshalb sie an den verkaufsoffenen Sonntagen in der Vorweihnachtszeit festgehalten hat. Sie hat den negativen psychologischen Effekt der Bilder aus den proppevollen Einkaufspassagen in den sozialen Netzwerken hoffnungslos unterschätzt!
Dabei ist es gerade jetzt enorm wichtig, dass sie die Menschen von der Notwendigkeit der Regeln überzeugen kann. Denn nach den monatelangen, als Gängelung empfundenen Einschränkungen wird der Impfstoff wie eine Erlösung empfunden. Dazu trägt auch der allgemeine Hype bei. Ja, das Vakzin ist ein Silberstreif am Horizont. Mehr aber nicht. Das Ende der Pandemie ist es noch lange nicht. Masken sowie die Hygiene- und Abstandsregeln werden noch bis weit ins neue Jahr hinein unseren Alltag bestimmen. Die endlich wieder rückläufige Zahl der Neuinfektionen hat ebenfalls zur Folge, dass viele Leute sich auf der sicheren Seite wähnen und die Corona-Regeln nicht mehr ganz so ernst nehmen. Wenn es der Regierung nicht gelingt, die Bevölkerung zu überzeugen und wieder mitzureißen, taumelt das Land mit Karacho in die dritte Welle.
Das Virus kennt keine Mathematik. Es kennt nur Opfer.
Kontakt: danielle.schumacher@wort.lu