Luxemburger Wort

Zivilgesel­lschaft an der Kette

Türkisches Parlament billigt Gesetz zu NGOs

- Von Gerd Höhler (Athen)

Die türkische Menschenre­chtsstiftu­ng dokumentie­rt Fälle von Folter, Anwaltskam­mern zweifeln an der Unabhängig­keit der Justiz, Ärzteverbä­nde kritisiere­n Manipulati­onen in der Corona-Statistik der Regierung – kein Wunder, dass der autoritäre türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan auf viele Nichtregie­rungsorgan­isationen und Berufsverb­ände nicht gut zu sprechen ist. Jetzt reguliert ein neues Gesetz ihre Arbeit. Kritiker sehen darin einen Angriff auf die Zivilgesel­lschaft.

Das Gesetz, das die türkische Nationalve­rsammlung in der Nacht zum Sonntag mit den Stimmen der Regierungs­fraktionen billigte, soll die „Finanzieru­ng und Weiterverb­reitung von Massenvern­ichtungswa­ffen“verhindern. Da denkt man an Terrorismu­s, an Giftgas-Granaten oder Atombomben. Aber von den 43 Artikeln des Gesetzes gelten nur sechs diesem Thema. Die anderen 37 Bestimmung­en geben dem türkischen Innenminis­terium vielfältig­e Möglichkei­ten, die Arbeit von NGOs und Berufsverb­änden zu regulieren oder ganz zu suspendier­en. Der wahre Zweck des Gesetzes sei es, „die legitimen Aktivitäte­n von Nichtregie­rungsgrupp­en zu beschneide­n und einzuschrä­nken“, sagt Hugh Williamson, Europa-Direktor bei der Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch (HRW). „Dieses Gesetz wird ein gefährlich­es Werkzeug der Regierung,

die Vereinsfre­iheit zu begrenzen“, fürchtet Williamson.

Das neue Gesetz ermöglicht es dem Innenminis­ter, Funktionär­e von NGOs, gegen die wegen Terrorismu­svorwürfen ermittelt wird, ihrer Ämter zu entheben und durch staatliche Zwangsverw­alter zu ersetzen. Das Innenminis­terium kann in solchen Fällen auch die Aktivitäte­n der betroffene­n NGOs ganz aussetzen. „Terrorismu­s“-Vorwürfe sind eine Art Allzweckwa­ffe der türkischen Justiz gegen Regierungs­kritiker und Menschenre­chtler. So wurde der frühere Vorsitzend­e von Amnesty Internatio­nal in der Türkei, Taner Kilic, im Juli wegen „Unterstütz­ung einer terroristi­schen Vereinigun­g“zu sechs Jahren Haft verurteilt. Ihm wurden angebliche Kontakte zur Bewegung des ExilPredig­ers Fethullah Gülen vorgeworfe­n, den die Regierung als Drahtziehe­r des Putschvers­uchs vom Juli 2016 sieht. Im Zusammenha­ng damit wurden in der Türkei Hunderttau­sende Verfahren wegen „Terrorismu­s“eingeleite­t.

Spenden können blockiert werden Die neuen Regelungen sehen auch vor, dass die Behörden Spenden für Nichtregie­rungsorgan­isationen blockieren können, um „Terrorismu­sfinanzier­ung“und „Geldwäsche“zu verhindern. Außerdem müssen sich die Organisati­onen einmal im Jahr einer Prüfung durch das Innenminis­terium unterziehe­n. Menschenre­chtsorgani­sationen wie Amnesty Internatio­nal sehen dadurch ihre Arbeit in der Türkei bedroht. „Das Gesetz gibt dem Innenminis­ter die Möglichkei­t, jede NGO willkürlic­h zu schließen, ohne Einspruchs­möglichkei­ten“, sagt Tarik Beyhan von Amnesty Internatio­nal. Er fürchtet, das Gesetz könnte „zur Schließung aller Menschenre­chtsorgani­sationen in der Türkei führen“.

Dieses Gesetz wird ein gefährlich­es Werkzeug der Regierung. Hugh Williamson, Human Rights Watch

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