Mit dem Rührstab durchs Genre
Die Netflix-Serie „Bridgerton“zwischen leichter Festtagskost, Erotik und hohen Ansprüchen
Was hatten sich die Fans von „Downton Abbey“und „Grey’s Anatomy“gefreut: Schon lange vor der Veröffentlichung hatte Netflix kräftig die Werbetrommel gerührt, um die erste in Zusammenarbeit mit der Produktionsfirma Shondaland entstandene „Original Series“, „Bridgerton“, mit Startdatum 25. Dezember als Feiertagsgeschenk unter den medialen Christbaum zu legen und damit noch kurz vor Ende des Jahres einen möglichen Knaller im Streamingmarkt zu bringen.
Denn der Streamingdienst hat ordentlich Geld springen lassen: 150 Millionen Dollar sind angeblich 2017 in die Exklusivbindung der Produktionsfirma geflossen, hinter der die Erfolgsproduzentin und Drehbuchautorin Shonda Rhimes steckt. Und die wiederum hat mit Formaten wie „How to Get Away with Murder“, „Scandal“und eben besonders „Grey’s Anatomy“den Markt aufgerüttelt. Und so viel Vorschuss soll sich auszahlen. Debütantinnen rivalisieren um die hübschesten und reichsten männlichen Junggesellen; was in den Satz mündet: „Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt.“Den unter anderem spricht die mysteriöse „Lady Whistledown“– im Original als Voiceover vorgetragen von Hollywoodstar Julie Andrews –, die in der Londoner Ballsaison mit ihrer Klatsch- und Tratschpostille die Jagd nach dem perfekten Partner zum Kochen bringt und manchen Skandal heraufbeschwört.
Surrealer Kitsch oder Erfolgshit?
An Aufwand in der Szenerie wird dann auch im Endergebnis der acht Folgen nicht gespart. Im Gegenteil: Wenn man dieser Serie eins nicht vorwerfen kann, dann ist es mangelnde Opulenz – die schon fast surreal und übertrieben wirkt. Bis ins Schrille ausgereizte detailreiche Kostüme, Ballsäle, Gärten, Häuser – da wirkt nicht gekleckert.
Und was direkt auffällt: Wie schon in anderen Rhimes-Serien ist der Cast so divers und so sexy es nur geht. People of Color sind von Neben- bis Hauptrollen und in allen Schichten besetzt. Die erstaunte Feuilletongemeinde wundert sich zurecht und stellt dann Fragen an eine solche historisch orientierte Serie wie: „Steht der Anspruch, Rollen für einen diversen Cast zu schaffen, über den historischen Gegebenheiten, denen man sich bedient? Soll man doch bewusst zeigen, dass diese historische Welt (zu) lange weiß dominiert war? Oder gehört zu einer modernen Serie ein Cast, bei dem die Hautfarbe eben nicht entscheidend ist, sondern allein die schauspielerische Ausdruckskraft?“
Hier werden letztendlich im extrem aufgerüschten Gewand einer Historienserie und einer „Regency Romance“nach der Buchreihe von Julia Quinns gesellschaftliche Themen insbesondere der heutigen Vereinigten Staaten verhandelt. „Ein einstiger und einziger schwarzer Präsident an der Spitze ist noch keine echte Bewältigung von Alltagsrassismus oder fehlenden Aufstiegschancen für Minderheiten und Frauen“, wird hier unter anderem über die Rolle der schwarzen Königin Charlotte erzählt. Ihre Ehe mit dem weißen George III. sei der Grund, dass es in dieser Zeit aufgestiegene adlige People of Color gäbe. Dazu kommen Diskriminierungsthemen aller Art: Geschlecht, sexuelle Orientierung, Bodyshaming – und andererseits ist die Serie so sexuell aufgeladen, dass sie erst ab 16 Jahren freigegeben ist.
So wird „Bridgerton“polarisieren: Für die einen ist sie eher eine schrille Parodie einer Historienserie mit zu viel Sex und Material aus anderen Erfolgsformaten, die so fehlplatziert und püriert wirkt wie ein Eiffelturm und Venedigs Kanäle in Las Vegas; und die anderen werden sich an einer unterhaltsamen Romantikstory erfreuen, in der man sich gut wiederfindet, weil der Kampf um die perfekte Liebe gestern wie heute seine Irrungen und Wirrungen kennt – egal wie man sie darstellt.