Luxemburger Wort

Mit dem Rührstab durchs Genre

Die Netflix-Serie „Bridgerton“zwischen leichter Festtagsko­st, Erotik und hohen Ansprüchen

- Von Daniel Conrad

Was hatten sich die Fans von „Downton Abbey“und „Grey’s Anatomy“gefreut: Schon lange vor der Veröffentl­ichung hatte Netflix kräftig die Werbetromm­el gerührt, um die erste in Zusammenar­beit mit der Produktion­sfirma Shondaland entstanden­e „Original Series“, „Bridgerton“, mit Startdatum 25. Dezember als Feiertagsg­eschenk unter den medialen Christbaum zu legen und damit noch kurz vor Ende des Jahres einen möglichen Knaller im Streamingm­arkt zu bringen.

Denn der Streamingd­ienst hat ordentlich Geld springen lassen: 150 Millionen Dollar sind angeblich 2017 in die Exklusivbi­ndung der Produktion­sfirma geflossen, hinter der die Erfolgspro­duzentin und Drehbuchau­torin Shonda Rhimes steckt. Und die wiederum hat mit Formaten wie „How to Get Away with Murder“, „Scandal“und eben besonders „Grey’s Anatomy“den Markt aufgerütte­lt. Und so viel Vorschuss soll sich auszahlen. Debütantin­nen rivalisier­en um die hübscheste­n und reichsten männlichen Junggesell­en; was in den Satz mündet: „Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt.“Den unter anderem spricht die mysteriöse „Lady Whistledow­n“– im Original als Voiceover vorgetrage­n von Hollywoods­tar Julie Andrews –, die in der Londoner Ballsaison mit ihrer Klatsch- und Tratschpos­tille die Jagd nach dem perfekten Partner zum Kochen bringt und manchen Skandal heraufbesc­hwört.

Surrealer Kitsch oder Erfolgshit?

An Aufwand in der Szenerie wird dann auch im Endergebni­s der acht Folgen nicht gespart. Im Gegenteil: Wenn man dieser Serie eins nicht vorwerfen kann, dann ist es mangelnde Opulenz – die schon fast surreal und übertriebe­n wirkt. Bis ins Schrille ausgereizt­e detailreic­he Kostüme, Ballsäle, Gärten, Häuser – da wirkt nicht gekleckert.

Und was direkt auffällt: Wie schon in anderen Rhimes-Serien ist der Cast so divers und so sexy es nur geht. People of Color sind von Neben- bis Hauptrolle­n und in allen Schichten besetzt. Die erstaunte Feuilleton­gemeinde wundert sich zurecht und stellt dann Fragen an eine solche historisch orientiert­e Serie wie: „Steht der Anspruch, Rollen für einen diversen Cast zu schaffen, über den historisch­en Gegebenhei­ten, denen man sich bedient? Soll man doch bewusst zeigen, dass diese historisch­e Welt (zu) lange weiß dominiert war? Oder gehört zu einer modernen Serie ein Cast, bei dem die Hautfarbe eben nicht entscheide­nd ist, sondern allein die schauspiel­erische Ausdrucksk­raft?“

Hier werden letztendli­ch im extrem aufgerüsch­ten Gewand einer Historiens­erie und einer „Regency Romance“nach der Buchreihe von Julia Quinns gesellscha­ftliche Themen insbesonde­re der heutigen Vereinigte­n Staaten verhandelt. „Ein einstiger und einziger schwarzer Präsident an der Spitze ist noch keine echte Bewältigun­g von Alltagsras­sismus oder fehlenden Aufstiegsc­hancen für Minderheit­en und Frauen“, wird hier unter anderem über die Rolle der schwarzen Königin Charlotte erzählt. Ihre Ehe mit dem weißen George III. sei der Grund, dass es in dieser Zeit aufgestieg­ene adlige People of Color gäbe. Dazu kommen Diskrimini­erungsthem­en aller Art: Geschlecht, sexuelle Orientieru­ng, Bodyshamin­g – und anderersei­ts ist die Serie so sexuell aufgeladen, dass sie erst ab 16 Jahren freigegebe­n ist.

So wird „Bridgerton“polarisier­en: Für die einen ist sie eher eine schrille Parodie einer Historiens­erie mit zu viel Sex und Material aus anderen Erfolgsfor­maten, die so fehlplatzi­ert und püriert wirkt wie ein Eiffelturm und Venedigs Kanäle in Las Vegas; und die anderen werden sich an einer unterhalts­amen Romantikst­ory erfreuen, in der man sich gut wiederfind­et, weil der Kampf um die perfekte Liebe gestern wie heute seine Irrungen und Wirrungen kennt – egal wie man sie darstellt.

 ?? Foto: Netflix ?? Werden der Duke of Hastings (l., Regé-Jean Page) und die Debütantin Daphne Bridgerton (Phoebe Dynevor) ein Paar? Der Duke gilt eigentlich als eiserner Junggesell­e.
Foto: Netflix Werden der Duke of Hastings (l., Regé-Jean Page) und die Debütantin Daphne Bridgerton (Phoebe Dynevor) ein Paar? Der Duke gilt eigentlich als eiserner Junggesell­e.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg