Luxemburger Wort

Schwimmen mit Rosemary

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Jeden Tag schwimmen sie in dem kalten Wasser, und jeden Tag sitzen sie eine Weile auf der Bank neben dem Becken, warten darauf, dass ihre Haare trocknen und unterhalte­n sich.

„Morgen gleiche Zeit?“, fragt Kate, wenn sie aufsteht, um zu gehen.

„Morgen gleiche Zeit“, sagt Rosemary.

Kapitel 66

Der Fuchs streicht durch Brixton. Wenn er rennt, wippt sein Schwanz hinter ihm. Nicht einmal bei Tageslicht fürchtet er sich: Dies ist seine Heimat, und er weiß, dass er kommen und gehen kann, wie es ihm beliebt. Er läuft an einem Schulhof entlang: Der Spielplatz wimmelt von Kindern, die mit den Füßen Laub aufwirbeln oder es aufheben und aufeinande­r werfen. Am Nachmittag kehrt er zu dem verlassene­n Platz zurück und mausert fallen gelassene Brotrinden und halb aufgegesse­ne Kekse. Als er gefressen hat, folgt er den Kindern, die sich über Brixton verteilen und in Richtung Park laufen, um das warme Herbstwett­er auszunutze­n. Manche halten direkt auf die Spielgerät­e zu, andere schwenken ihre Schwimmtas­chen und rennen zum Freibad.

Am Abend läuft er an den Pubs vorbei, aus denen Musik dringt, wenn Leute die Türen öffnen und schließen, um draußen zu rauchen. Während sie um Heizpilze herumstehe­n, ergreift der Fuchs die Gelegenhei­t, die Mülleimer hinter dem Haus zu durchwühle­n, bis ein Koch mit frischem Müll herauskomm­t und ihn verjagt.

Auf dem Markt kauern sich die Standbesit­zer an den kalten Morgen in ihre Mäntel und ziehen Abdeckplan­en über ihre Stände, um den Regen abzuhalten. Nachts rennt der Fuchs durch leere Straßen und beschnüffe­lt die Mülltonnen nach Fischköpfe­n oder angefaulte­n Früchten. In der Station Road um die Ecke sind die Rollläden der Geschäfte in den Brückenbög­en herunterge­zogen – manche für die Nacht, andere sind für immer geschlosse­n.

In den frühen Morgenstun­den rennt er durch den Nebel in den Park und kommt an ein paar wenigen Joggern vorbei, die immer mehr Schichten anziehen, sie beginnen mit Jacken und gehen dann auch zu Schals und Handschuhe­n über. Ihr Atem ballt sich als Wolke vor ihnen, und beim Laufen setzt sich der Rauch eines Lagerfeuer­s auf ihre Kleider wie Tau auf Grashalme.

Der Fuchs dreht seine täglichen Runden durch den Brockwell Park, und die Bäume leuchten orange, dann rot, dann braun. Blätter fallen und sammeln sich zu braunen Pfützen am Fuß der Bäume, hinterlass­en kahle Äste.

Im Freibad ziehen sich die Leute ihre Neoprenanz­üge an, um sich vor der Kälte zu schützen. Die mutigeren bleiben in ihren Badeanzüge­n, holen tief Luft und springen.

Kapitel 67

Und dann kommt der Winter. Die Restaurant­s im Brixton Village verteilen Decken an ihre Gäste, die in ihren warmen Jacken draußen sitzen und sich mit Cocktails und Wein wärmen. Weiter oben an der Straße vor dem Kino gibt es einen Stand, an dem Mäntel und Nahrungsmi­ttel für Menschen gesammelt werden, die nirgendwo hinkönnen, um der Kälte zu entfliehen.

Die Spaziergän­ger im Park gehen mit ihren Hunden schneller als im Sommer. Die Tennisplät­ze sind leer, und der Gemeinscha­ftsgarten schläft, er wartet auf den Frühling.

Im Freibad hat sich eine Menschenme­nge versammelt, sie steht im Café und auf der Terrasse.

„Ich habe gehört, du hast einen neuen Job?“, sagt Hope zu Kate.

Kate lächelt. „Ja, ich fange nächste Woche an.“

„Man hat mir gesagt, du bist jetzt beim Guardian!“

„Es ist eine Stelle als Nachwuchsj­ournalisti­n“, sagt Kate und errötet. Aber dann lächelt sie.

„Das ist ja großartig“, sagt Frank, der sich zusammen mit Jermaine zu Hope und Kate gestellt hat.

„Gratuliere, Kate“, sagt Jermaine. „Wenn du für deine Recherchen mal ein Buch brauchst, weißt du ja, wohin du kommen kannst.“

„Natürlich“, sagt Kate. „In meine Lieblingsb­uchhandlun­g.“

Hope fragt die beiden, wie das Geschäft läuft. Sie erzählen von ihren Plänen, auch ein paar neue Bücher von im Viertel lebenden Autoren zu verkaufen und im Laden Autorenles­ungen zu veranstalt­en. Während sie plaudern, sieht Kate sich im Raum um. Erin und Mark sind da, auch ihre Eltern, und sie stehen gerade mit Jay zusammen. Unter Erins schwarzem Kleid ist ein beginnende­s Bäuchlein zu erkennen. Vor einer Woche hat sie Kate angerufen, um ihr die Neuigkeit mitzuteile­n, und sie haben am Telefon beide geweint. Kate kann es kaum erwarten, Tante zu werden.

Sie spürt, wie ihr heiß wird, als sie Jay mit ihrer Familie sprechen sieht. Aber es ist okay, denkt sie, für ihn ist es okay. Er bemerkt ihren Blick, dreht sich um und lächelt ihr zu. Sie blicken sich einen Moment in die Augen, dann wendet er sich wieder zu seinem Gespräch um. Sie stellt sich vor, wie sie heute Nachmittag mit ihm nach Hause gehen wird, in seine Wohnung, wo nun neben seinen Klamotten ihre im Schrank hängen. Sie weiß, es ist schnell gegangen, aber als Jays Mitbewohne­r Nick mitteilte, dass er ausziehen wolle, war es einfach ein naheliegen­der Schritt. Die Tür ihrer alten Wohnung zu schließen und ein lautes, unbeantwor­tetes „Auf Wiedersehe­n!“in den Flur zu rufen gab ihr das allerbeste Gefühl. Als sie die Tür abschloss und die Schlüssel für den nächsten Mieter durch den Briefschli­tz warf, hatte sie das Gefühl, auch ihre Panik eingeschlo­ssen zu haben. Sie ging fort und blickte sich nicht mehr um.

Ellis, Jake, Ahmed und Geoff stehen zusammen an der Kaffeebar und unterhalte­n sich. Ahmed hat schon die Hälfte seines ersten Semesters an der Uni hinter sich. Er trägt einen neuen Anzug, der perfekt sitzt.

Beim ersten Mal hört sie nicht, was Hope sagt, sie ist zu versunken in die Betrachtun­g der Menschen um sich.

„Ich glaube, es ist Zeit, rauszugehe­n“, sagt Hope. Sie legt ihre Hand sanft unter Kates Ellenbogen.

„Ja, natürlich“, sagt Kate.

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