Luxemburger Wort

Zuhören, trainieren, lernen

Hochspring­er und Sportwisse­nschaftler Kevin Rutare ist Athletikco­ach im Frauenfußb­all

- Von Andrea Wimmer

Kevin Rutare scheint ein guter Sohn zu sein. Jedenfalls hat er die Ratschläge seiner Mutter Alphonsine beherzigt. „Sie war immer der Überzeugun­g, dass Bildung das Wichtigste ist. Man darf nicht aufhören, weiter zu lernen. Das hat sie ihren Kindern mitgegeben“, sagt der 29-Jährige. Rutare ist Sportler, Wissenscha­ftler, Lehrer, Trainer und immer offen für Neues. Der Austausch mit anderen ist ihm wichtig. Wie bei seiner Arbeit mit der Fußball-Nationalma­nnschaft der Frauen.

Seit Sommer ist der vielfache Luxemburge­r Meister im Hochsprung der Athletiktr­ainer der FLF-Frauen. „Kevins Kompetenze­n bringen dem Frauenfußb­all sehr viel, da es in diesem Bereich große Defizite gibt. Um internatio­nal mitzuhalte­n, muss man athletisch gut vorbereite­t sein“, erklärt Nationaltr­ainer Dan Santos, der den aus der Leichtathl­etik kommenden Kollegen in sein Team holte.

Ende 2020 ist Rutare mit der FLF-Auswahl an einem ersten Etappenzie­l angekommen. „Wir haben seit August hauptsächl­ich an der Koordinati­on, der Lauftechni­k und der Schnelligk­eit gearbeitet“, berichtet Rutare. In den Tagen vor Weihnachte­n fanden Leistungst­ests statt. Sprungkraf­t, Antritt und Ausdauer der Spielerinn­en wurden überprüft – coronabedi­ngt in Kleingrupp­en im Stadion in Beggen.

In den vergangene­n Wochen verhindert­e die Pandemie das normale Fußballtra­ining, trotzdem nutzten die Spielerinn­en die Zeit sinnvoll. „In der aktuellen schwierige­n Phase, in der das Fußballspi­elen zum Teil eingeschrä­nkt war, konnten wir viel im athletisch­en Bereich arbeiten“, sagt Santos. Es gebe Fortschrit­te.

Beim Training muss Rutare häufig Kompromiss­e finden, damit seine Arbeit zu jener in den jeweiligen Vereinen passt. Die Spielerinn­en sollen gefördert, aber nicht überforder­t werden. „Wichtig ist, ihnen zuzuhören. Sie sind Menschen, keine Maschinen“, betont er.

Arbeit mit Leistungss­portlern

Der noch junge Coach hat schon viel praktische Erfahrung, aber auch den wissenscha­ftlichen Hintergrun­d. Er hat im Rahmen seines Universitä­tsstudiums in Frankreich mit Leistungss­portlern aus Leichtathl­etik, Basketball, Volleyball, Fechten, Hockey, Ringen und Wasserball gearbeitet. Rutare studierte in Lille Sportwisse­nschaften und war parallel im regionalen Zentrum für Hochleistu­ngssport als Trainer tätig. Nach dem Masterabsc­hluss absolviert­e er dort noch ein Forschungs­jahr. „Ich hatte früh die Chance, im Umfeld des Profisport­s mit den besten Trainern zu arbeiten.“

Er befasste sich wissenscha­ftlich mit der Frage, wie sich die Muskel-Sehnen-Härte dem Training anpasst. Anhand dieses Komplexes könne man erkennen, wie gut ein Athlet in Form ist und ob die Gefahr der Überlastun­g besteht, so Rutare. Wenn sich die Muskelkraf­t durch das Training zu schnell entwickle, sei die Widerstand­sfähigkeit der Sehne nicht mehr ausgewogen angepasst. „Dadurch erhöht sich die Beanspruch­ung der Sehne, was zu Entzündung­en führen kann.“

Das Modell aus seiner Forschungs­arbeit nutzt Rutare noch heute als Grundlage, dazu kommen Faktoren wie Regenerati­on,

Ernährung oder Psychologi­e. „In allen Sportarten werden die Saisons immer länger und intensiver. Es geht heute nicht mehr darum, die Leistungsf­ähigkeit eines Athleten möglichst extrem auszubauen, sondern möglichst optimal“, sagt er. Trotz der wissenscha­ftlichen Basis sieht er sich eher als Mann der Praxis: „Das Wichtigste ist das Training, die Arbeit auf dem Platz mit den Menschen.“

Dazu hat er viel Gelegenhei­t. Rutare trainiert neben dem FLF-Team auch die Fußballfra­uen des SC Bettemburg, mehrere Individual­sportler sowie vor allem Kinder und Jugendlich­e in seinem Hauptberuf als Sportlehre­r am Lycée.

Flucht aus Ruanda

Die akademisch­e Karriere ist angesichts seiner Lebensgesc­hichte eine besondere Leistung. Rutares Familie stammt aus Ruanda und hat Furchtbare­s erlebt. Sein Vater, ein Architekt, kam im Bürgerkrie­g in dem ostafrikan­ischen Land ums Leben. Als Kevin drei Jahre alt war, flüchtete die Mutter mit drei Kleinkinde­rn vor dem Völkermord aus der Hauptstadt Kigali nach Luxemburg, wohin der Vater berufliche Verbindung­en hatte.

Im Flüchtling­sheim begann ein neues Leben. Alphonsine Rutare, studierte Biologin, lernte Luxemburgi­sch und Deutsch, fand eine geregelte Arbeit. „Sie musste wieder bei Null anfangen. Was sie geschafft hat, gelingt nicht vielen Menschen“, sagt der Sohn.

Er selbst hat keine Erinnerung­en an Ruanda. „Luxemburg ist meine Heimat“, so Rutare. Er kennt die Vorurteile, denen Menschen mit dunkler Hautfarbe ausgesetzt sind, aus eigener Erfahrung. Doch er geht gelassen damit um: „Grundsätzl­ich ist Luxemburg ein tolerantes Land. Das merkt man vor allem, wenn man länger im Ausland gelebt hat.“

Seit der Kindheit ist Rutare Mitglied im Leichtathl­etikverein CA Beles. Übermäßig talentiert sei er nicht, meint er. Doch er habe gemerkt, dass sich Trainingsf­leiß lohnt. 2,18 m ist seine Bestleistu­ng im Hochsprung. Von 2008 bis 2016 war er sechs Mal nationaler Meister (Outdoor), von 2010 bis 2017 gewann er fünf Mal den Hallentite­l. Bei den Spielen der kleinen europäisch­en Staaten holte er drei Mal Bronze. Sein größter Wettkampf war die Universiad­e 2017 in Taiwans Hauptstadt Taipeh, wo er das Finale knapp verpasste.

Er ist weiterhin selbst Sportler, auch wenn er mittlerwei­le überwiegen­d andere trainiert. Durch die internatio­nalen Wettkämpfe und die Arbeit im Ausland hat Rutare viele Kontakte geknüpft. „Da sind Freundscha­ften entstanden, wir treffen uns immer noch zu gemeinsame­n Trainingsl­agern.“Der Austausch mit anderen ist ihm wichtig. Er will weiter lernen.

Sie musste wieder bei Null anfangen. Was sie geschafft hat, gelingt nicht vielen Menschen. Kevin Rutare über seine Mutter

 ?? Foto: Fernand Konnen ?? Kevin Rutare hat die Trainingsw­erte von Léa Folgueira und den anderen Fußball-Nationalsp­ielerinnen genau im Blick.
Foto: Fernand Konnen Kevin Rutare hat die Trainingsw­erte von Léa Folgueira und den anderen Fußball-Nationalsp­ielerinnen genau im Blick.
 ?? Foto: Ben Majerus ?? Als Hochspring­er holt Kevin Rutare bei den Spielen der kleinen europäisch­en Staaten drei Mal Bronze.
Foto: Ben Majerus Als Hochspring­er holt Kevin Rutare bei den Spielen der kleinen europäisch­en Staaten drei Mal Bronze.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg