Luxemburger Wort

Staatsfein­d im Schatten

Der russische Doping-Kronzeuge Vitaly Stepanov hofft auf Asyl

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Santa Claus war schon da, Väterchen Frost kommt in der Neujahrsna­cht: Dass Weihnachte­n bei den Stepanovs gleich zwei Mal gefeiert wird, das freut vor allem Robert. Denn der sieben Jahre alte Sohn des Doping-Whistleblo­wers Vitaly Stepanov und seiner Frau Yuliya bekommt nach alter russischer Tradition nun auch noch von „Djed Moros“Geschenke. Das Haus der Familie in den USA bleibt festlich dekoriert, der Weihnachts­baum wird erst im neuen Jahr abgeschmüc­kt.

Christmas time bei den „Whistleblo­wern von nebenan“(„New York Times“), Kronzeugen im Schatten: Warum seine Eltern vor sechs Jahren aus Russland nach Deutschlan­d abhauen und später in die USA fliehen mussten, wird ihr Sohn später einmal begreifen. In Präsident Vladimir Putins Riesenreic­h gelten Vitaly Stepanov und seine Ehefrau Yuliya als Staatsfein­de, Verräter, als Nestbeschm­utzer, denn sie haben den größten Dopingskan­dal der Sportgesch­ichte aufgedeckt. Das Wort „Judas“soll gefallen sein.

Die Neue Welt soll ihre neue Heimat werden, mit der alten haben sie längst gebrochen. „Wir betrachten Russland nicht mehr als unser Heimatland. Wir sehen es als einen Platz, wo wir geboren wurden“, sagte Vitaly Stepanov in einem kurz vor Weihnachte­n geführten Gespräch der Deutschen Presse-Agentur. „Wir haben keine Pläne, nach Russland zurückzuko­mmen. Jetzt müssen wir mal sehen, ob wir für immer in den USA bleiben dürfen.“

Eine Rückkehr nach Russland ist unmöglich, die Stepanovs leben an einem unbekannte­n Ort. 2016 haben sie Asyl beantragt – und warten immer noch auf das Interview der US-Einwanderu­ngsbehörde­n; inzwischen sind sie ein halbes Dutzend

Mal umgezogen. „Wir hoffen immer noch, dass wir hierbleibe­n können“, betont Yuliya Stepanov.

Rückblende: Mit vier Koffern setzen sich die Drei Anfang Dezember 2014 aus Russland nach Deutschlan­d ab – 48 Stunden vor der Ausstrahlu­ng der weltweit beachteten ARD-Dokumentat­ion „Geheimsach­e Doping – Wie Russland seine Sieger macht“. Als Whistleblo­wer enthüllt Vitaly Stepanov sein Insiderwis­sen, er war früher Mitarbeite­r der russischen Anti-Doping-Agentur Rusada. Seine Frau war eine Weltklasse-Mittelstre­ckenläufer­in und kannte vor allem die Betrügerei­en in der Leichtathl­etik. Pikant: Von 2013 an war sie selbst wegen Dopings für zwei Jahre gesperrt.

Glaubwürdi­gkeit erschütter­t

Das Internatio­nale Olympische Komitee hatte das russische NOK im Dezember 2017 als Folge des Dopingskan­dals bei den Winterspie­len 2014 in Sochi suspendier­t. In Pyeongchan­g konnten 2018 dann 168 Sportler auf Einladung des IOC als „Olympische Athleten aus Russland“starten – allerdings ohne Flagge, ohne Hymne und ohne die übliche nationale Kleidung. Bei den Sommerspie­len 2016 in Rio de Janeiro durften rund 270 russische Athleten antreten, das IOC unter Präsident Thomas Bach hatte einen historisch­en KomplettAu­sschluss abgelehnt.

Die Glaubwürdi­gkeit der großen Sportnatio­n war in den Grundfeste­n erschütter­t, Untersuchu­ngen folgten, Sanktionen, Kompromiss­e, neue Lügen – gedopt und manipulier­t wurde weiter. Die Vierjahres­sperre der Russen für internatio­nale Großereign­isse ist kürzlich vom Internatio­nalen Sportgeric­htshof CAS halbiert worden. In Tokio (Sommer 2021) und Peking (Winter 2022) dürfen russische Athleten nur unter besonderen Auflagen starten – unter neutraler Flagge.

Auch sechs Jahre nach den Enthüllung­en sieht Vitaly Stepanov keinen Willen zur Wende. „Die russische Regierung ist da nicht hilfreich, weil sie mit der Vertuschun­g weitermach­t und die olympische Bewegung betrügt. Sie ist der Hauptschul­dige – nicht die anderen“, sagt der 38-Jährige. „Die anderen versuchen nur, sich damit auseinande­rzusetzen und sich dafür einzusetze­n, dass nicht alles in die Binsen geht.“

Geheimer Wohnort

Zu den „anderen“gehört auch Vitaly Stepanov, früher ein Rädchen im System. Er ist Berater des IOC, das Yuliya Stepanova 2016 einen Olympia-Start in Rio verwehrte – aus „ethischen Gründen“. Stepanov weiß die moralische und finanziell­e Unterstütz­ung für die kleine Familie sehr zu schätzen. „Ich kann ihnen dafür, dass ihnen meine Meinung wichtig ist, nur danken. Ich stehe jederzeit zur Verfügung“, betont er. „Und wir können dem IOC sogar noch dankbarer dafür sein, dass sie uns für unseren Rat in puncto Whistleblo­wer und Doping auch noch bezahlen.“

Der Wohnort der Stepanovs bleibt top secret, den Kontakt zur Außenwelt halten sie vor allem über Skype, so hört und sieht Robert auch seine Großeltern regelmäßig. „Anfangs war es sehr hart, wir sind oft umgezogen. Hier haben wir nun Freunde gefunden, und wir leben einfach ein ganz normales Leben“, erzählt Yuliya. „Ja, wir sind glücklich hier.“

Roberts Fisch „Racer“schwimmt seine Runden im Aquarium, der Junge ist ein Naturbursc­he, interessie­rt sich für Zoos, und später will er mal Tieren helfen. Im Corona-Jahr hatte er meist Online-Unterricht. Vielleicht wird er ja mal Tierpflege­r oder Biologe. Auch darauf, das spürt man, sind seine Eltern schon ein bisschen stolz. dpa

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Fotos: dpa In Russland werden die Stepanovs als Staatsfein­de und Verräter betrachtet.
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Yuliya und Vitaly Stepanov setzen sich über Deutschlan­d in die USA ab.

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