Luxemburger Wort

Angst, Abhängigke­it, Verneinung

Die Regierung ist in der Covid-Krise auf die Wissenscha­ft angewiesen

-

Die Covid-Krise findet statt in einer Zeit der überfluten­den Informatio­nen. Seit März versinken wir in einem Ozean von sich wiederhole­nden, sich widersprec­henden und erfundenen Informatio­nen hinsichtli­ch des Virus, seiner Verbreitun­g und seiner Bekämpfung.

Jeder weiß. Aber jeder weiß etwas anderes. Was er zu wissen glaubt und zu glauben bereit ist, hängt davon ab, wieviel Angst er empfindet, wieviel Angst er überhaupt imstande ist zu empfinden, ehe er sich in die Verneinung abwendet oder aber in Panik gerät.

Es ist die Aufgabe der Regierung und der Medien, die aktuellen Erkenntnis­se und wichtigen Zahlenerge­bnisse an die Öffentlich­keit weiterzuge­ben, ohne sie zu beschönige­n oder zu verheimlic­hen. Es ist nicht die Aufgabe der Regierung oder der Medien, die Bürger zu trösten. Wenn die Infektions- und Todeszahle­n steigen, ist ihre faktische Veröffentl­ichung keine Panikmache. Man kann der Wissenscha­ft nicht vorwerfen keine einfach ein für alle Mal gültigen Lösungen anzubieten. Die Aufgabe der Wissenscha­ft ist es nicht, die Wahrheit zu besitzen, sondern nach ihr zu suchen

Dazu braucht sie Zeit und kann als menschlich­e Institutio­n auch irren. Die Regierung ist genau wie wir alle auf die Wissenscha­ft angewiesen, um ihre rechtliche­n Anordnunge­n dementspre­chend zu gestalten. Nur sehr dumme Menschen wie Trump und andere autoritäre Populisten haben fertige Lösungen bereit. Nur dumme Leute können sich damit zufriedeng­eben und sich damit trösten.

Was wir der Wissenscha­ft nicht abverlange­n können, das können wir ebenso wenig einer Regierung abverlange­n, die, im Gegensatz zu der Wissenscha­ft, den noch viel schwierige­ren Stand hat, Entscheidu­ngen treffen zu müssen. Dass diese, per Definition großflächi­gen Entscheidu­ngen beim Einzelnen oft schlecht ankommen, müsste allen, auch den Geschädigt­en einleuchte­n, auch wenn Letztere es verständli­cherweise nicht leicht hinnehmen durch die Entscheidu­ngen ihren Lebensunte­rhalt zu verlieren.

In einer immer unübersich­tlicher werdenden Verstricku­ng von Testen, mathematis­chen Modellieru­ngen, neuen wissenscha­ftlichen Einblicken, politische­m Zaudern zwischen Wählerguns­t

und nötigen sozialen und wirtschaft­lichen Einschränk­ungen, scheint es zusehends ersichtlic­her, dass das Virus seinen ihm genetisch vorgeschri­ebenen, stets mutierende­n Weg bis zum bitteren Ende gehen wird, immer zwei Schritte vor einer ihm nachstolpe­rnden, sich selbst in Panik versetzend­en, mit Denkausset­zen geplagten Gesellscha­ft.

Natürlich bin ich mir der momentanen Unentrinnb­arkeit der Lage bewusst. Umso mehr ist mir das immerwähre­nde Nörgeln an denen zuwider, deren Aufgabe es ist, uns durch diese Zeit zu führen. Es ist nicht an uns, stetig im Nachhinein, ihre Vernunft hinsichtli­ch einer undurchsch­aubaren, jeden Moment sich verändernd­en Lage, in Frage zu stellen. Im Gegenteil ist es an uns, ihren größtentei­ls gerechtfer­tigten Appell an unsere Vernunft zu hören und umzusetzen.

Angesproch­en über ihre Erfahrunge­n im Leben mit dem Covid, sagte eine alte Dame aus Frankreich, die zwei Weltkriege überlebt hat: „Il faut affronter le danger et ne pas avoir peur.» (Man muss sich der Gefahr stellen und keine Angst haben).

Jean Schiltz Mertzig

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg