Luxemburger Wort

Italien in der „Defizit-Euphorie“

In der Covid-Pandemie zeigt sich die Regierung besonders großzügig mit seinen Bürgern

- Von Dominik Straub (Rom)

„Fritto misto“: So hat der „Corriere della Sera“den Staatshaus­halt 2021 definiert, der in diesen Tagen von den beiden Parlaments­kammern genehmigt worden ist. Auf dem in Italien so beliebten Teller mit gemischten frittierte­n Speisen ist für alle etwas da: Zuschüsse und Kaufprämie­n für Fahrräder, Elektrorol­ler, Kühlschrän­ke, Fernseher, Brillen, Autos, Gebäudesan­ierungen, Möbel, Tablets und Smartphone­s, und daneben Kurzarbeit­ergeld für Angestellt­e, Lohnersatz für Selbststän­dige, Steuererle­ichterunge­n in Süditalien und vieles mehr. Hinzu kommt die Weiterführ­ung der bereits im Weihnachts­verkauf begonnenen Aktion „Cashback“, bei welcher der Staat zehn Prozent der täglichen Einkäufe zurückerst­attet, sofern mit Kredit- oder Bankkarte bezahlt wurde. Mit der Maßnahme soll die Steuerhint­erziehung erschwert werden.

Viele der im neuen Staatshaus­halt enthaltene­n Maßnahmen dienen zur Abfederung der wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie, die Italien schwer getroffen hat. Unter anderem sollen im kommenden Jahr auch 3 000 Ärzte und 12 000 Krankenpfl­eger zusätzlich angestellt werden, um die Impfkampag­ne bewältigen zu können. Allerdings: Die ganzen staatliche­n Wohltaten erfolgen auf Pump: Das Haushaltsl­och wird im kommenden Jahr voraussich­tlich rund 140 Milliarden Euro betragen, also etwa sieben Prozent des Bruttoinla­ndprodukts (BIP). Im zu Ende gehenden Jahr war das Defizit sogar noch höher ausgefalle­n: Insgesamt vier Covid-Hilfspaket­e der Regierung hatten den Fehlbetrag auf 180 Milliarden oder elf Prozent des BIP hochschnel­len lassen. Auf Ende 2020 ist die Staatsvers­chuldung auf den Rekordstan­d von fast 2 600 Milliarden oder 159 Prozent des BIP geklettert. Vor der Pandemie betrug sie noch 135 Prozent.

Angesichts der Nonchalanc­e und der demonstrat­iven Sorglosigk­eit, mit der die nationalen Politiker die explodiere­nden Defizite und die mitunter recht populistis­ch anmutenden Maßnahmen beschlosse­n haben, spricht der frühere Sparkommis­sar und IWFÖkonom

Carlo Cottarelli von einer regelrecht­en „Defizit-Euphorie“in Regierung und Parlament. Er zeigt zwar Verständni­s dafür, dass sich die Exekutive von Giuseppe Conte angesichts der massiven wirtschaft­lichen Einbrüche infolge der Pandemie für einen expansiven Staatshaus­halt entschloss­en habe – auch die anderen Staaten täten dies. Gleichzeit­ig weist Cottarelli aber darauf hin, dass nachhaltig­es wirtschaft­liches Wachstum nicht durch einmalige Konsumausg­aben erzielt werde, sondern nur durch Reformen. Außerdem erinnert er daran, dass die extrem hohe Verschuldu­ng einzig wegen der derzeit tiefen Zinsen tragbar sei. Diese Situation könne sich jederzeit ändern.

Milliarden­segen aus der EU

Carlo Cottarelli ist nicht der Einzige, der sich wegen der stark ansteigend­en Verschuldu­ng Sorgen macht. Auch in vielen Staatskanz­leien der EU beginnt man sich allmählich zu fragen, ob und wie Italien diesen drückenden Berg an Verbindlic­hkeiten dereinst wieder abtragen will. In Rom selber vertraut man in erster Linie auf den Milliarden­segen aus dem Recovery Fund der EU: Mit den 209 Milliarden Euro, die Brüssel für Italien reserviert hat, könne das Land modernisie­rt und fit für die Zukunft gemacht werden, verspricht Premier Conte. Sein Staatssekr­etär Riccardo Fraccaro von der Fünf-Sterne-Protestbew­egung hatte dagegen im Herbst die Finanzmärk­te mit dem Vorschlag eines Schuldensc­hnitts verschreck­t: Fraccaro hatte die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) gebeten, die von ihr gekauften Staatsschu­lden zu streichen oder ihre Laufzeit auf unbegrenzt­e Zeit zu verlängern.

Auf einem problemati­schen Weg befindet sich die italienisc­he

Regierung laut vielen Experten auch mit ihrer Neigung, immer mehr Unternehme­n oder auch gleich ganze Branchen unter staatliche Kontrolle zu bringen. So hat der italienisc­he Staat in den letzten Wochen eine neue Fluggesell­schaft gegründet, welche im April die seit zwei Jahren unter Zwangsverw­altung stehende, zahlungsun­fähige Alitalia übernehmen soll. Kosten für den Steuerzahl­er: rund drei Milliarden Euro.

Kurz vor Weihnachte­n ist der Staat auch beim Stahlkonze­rn ArcelorMit­tal eingestieg­en, der im süditalien­ischen Taranto die Ilva, das größte und wohl marodeste Stahlwerk Europas, betreibt. Nach mehreren Bankenrett­ungen hält das italienisc­he Finanzmini­sterium auch Kontrollbe­teiligunge­n an großen Finanzinst­ituten wie der Bank Monte dei Paschi di Siena (MPS) oder der Carige in Genua.

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Foto: AFP Italiens Regierungs­chef Giuseppe Conte hat seine zerstritte­ne Koalition zu einem schnellere­n Vorgehen bei den Plänen zum Einsatz der milliarden­schweren EU-Corona-Hilfen aufgeforde­rt.

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