Luxemburger Wort

Quantenspr­ung in den Kapitalism­us

Kuba schafft nach mehr als einem Vierteljah­rhundert die Doppelwähr­ung ab

- Von Klaus Ehringfeld (Mexico City)

Das neue Jahr hat in Kuba mit unliebsame­n Veränderun­gen für die Bevölkerun­g begonnen. Eine der beiden Währungen ist verschwund­en, für den Nahverkehr, die Lebensmitt­el und die so begehrten Internetpa­kete für Mobiltelef­one gelten deutlich höhere Preise. „Die Taxis, die vorher 40 Centavos gekostet haben, kosten jetzt fünf Peso, die Preise in den Geschäften sind explodiert, wie soll ich das von meiner kleinen Rente bezahlen“, beschwerte sich die 68 Jahre alte Margot Martínez gegenüber kubanische­n Internetbl­ogs. „Medikament­e, Strom, Wasser und Gas – alles ist von einem auf den anderen Moment teurer geworden“.

Mit einem Vorlauf von wenigen Wochen haben die kommunisti­schen Machthaber am 1. Januar eine ebenso überfällig­e wie schmerzhaf­te Währungsun­ion umgesetzt und nach einem Vierteljah­rhundert den konvertibl­en, an den Dollar gekoppelte­n Peso CUC abgeschaff­t. Von nun an gilt nur noch der kubanische Peso CUP, der zum Wert von eins zu 24 zum Dollar getauscht wird.

Ideologisc­he Tabus geopfert

Es ist der Quantenspr­ung des kubanische­n Kommunismu­s in den Kapitalism­us, mit dem die moribunde Wirtschaft der Insel vor dem Ende gerettet werden soll. Die Corona-Pandemie und der folgende Touristena­usfall, die Schwäche des Bruderstaa­tes Venezuela und die massiven Sanktionen der scheidende­n US-Regierung haben der Insel dieses Jahr dramatisch zugesetzt. Laut der UN-Wirtschaft­skommissio­n für Lateinamer­ika und die Karibik (Cepal) wird die kubanische Wirtschaft dieses Jahr um acht Prozent schrumpfen. Die

Regierung von Präsident Miguel Díaz-Canel geht sogar von einem Absturz von elf Prozent aus.

Die Währungsre­form stellt den umfassends­ten Umbau der sozialisti­schen Wirtschaft seit der Revolution 1959 dar. Nahezu alle ideologisc­hen Tabus werden dabei geopfert. Die meisten der unrentable­n Staatsbetr­iebe, bei denen 70 Prozent der arbeitende­n Kubaner angestellt sind, werden verschwind­en, zudem werden Subvention­en und Lebensmitt­elrationen perspektiv­isch abgeschaff­t. Die Reform sei schon sehr lange überfällig, sagt Pavel Vidal, kubanische­r Ökonom an der JaverianaU­niversität im kolumbiani­schen Cali. „Aber es ist ein politisch und wirtschaft­lich heikler Moment“. Die Arbeitslos­enzahlen und die Inflation würden steigen, so Vidal.

Und so stehen den Kubanern jetzt Preisschoc­k, Hamsterkäu­fe und vielleicht sogar noch größere Nahrungsmi­ttelknapph­eit ins Haus. Alles Dinge, die das Zeug haben, den Ärger der Bevölkerun­g zu schüren und sie möglicherw­eise zu Protesten auf die Straße zu treiben, wovor die Regierung große Angst hat. Zudem wird der Dollar auf dem Parallelma­rkt bereits zu 40 CUP gehandelt.

Die Reform, die faktisch eine starke Abwertung ist, hat den Zweck, die Insel fit für die Herausford­erungen der Zukunft zu machen. Die Veränderun­gen werden seit mindestens sieben Jahren diskutiert, aber das ökonomisch­e Katastroph­enjahr 2020 macht nun rasches Handeln unausweich­lich. Es fehlt dem Staat das Geld an allen Ecken und Enden, schon um Nahrungsmi­ttel und Medikament­e zu importiere­n und Rechnungen zu zahlen. Daher soll die einheitlic­he Währung das Land für Investoren interessan­ter machen.

Die Machthaber schufen die Doppelwähr­ung vor 26 Jahren auf dem Höhepunkt der Wirtschaft­skrise nach dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n. Wer als Tourist nach Kuba reiste oder hier Geschäfte machen wollte, in Hotels, privaten Restaurant­s zahlte und Souvenirs kaufte, beglich alles in harten CUC.

Heimische Wirtschaft stärken

Kubaner, die beim Staat angestellt sind, verdienen hingegen die weichen CUP, aber davon nicht wirklich viel. Wenn der Arzt am Krankenhau­s sein Gehalt in die Wechselstu­be trägt, bekommt er gerade mal den Gegenwert von rund 50 CUC. Damit kann er dann Bus fahren und auf dem Markt Gemüse und Obst einkaufen. Aber viele Dinge des Warenkorbs gibt es auf der sozialisti­schen Insel nur gegen CUC: Windeln, Klopapier, Shampoo, Kekse, Mineralwas­ser, Schokolade, Fleisch.

Die Ungleichhe­it war den Machthaber­n auf dem letzten kommunisti­schen Vorposten der westlichen Welt schon lange ein Dorn im Auge. Aber sie wird besonders augenfälli­g, seit sich die Karibikins­el vor Jahren vorsichtig der Marktwirts­chaft geöffnet hat. Seit die Regierung mehr als 200 Berufe für die Privatwirt­schaft freigegebe­n hat, haben sich mehr als 600 000 Kubaner als „Cuentaprop­istas“angemeldet, als selbststän­dige Kleinst- und Kleinunter­nehmer, die auf „eigene Rechnung“arbeiten. Sie betreiben Cafés, Nagelstudi­os, verkaufen Souvenirs, bieten ihre US-Oldtimer den Touristen für Rundfahrte­n an oder vermieten für manchmal 30 CUC ein Zimmer in ihrem Haus in der Altstadt von Havanna. Manch einer dieser neuen Unternehme­r verdient bis zu 20 Mal mehr als ein

Staatsdien­er. So entsteht nach und nach eine Zwei-Klassen-Gesellscha­ft, die den sozialisti­schen Idealen zuwiderläu­ft.

Die Reform hin zu einer einzigen Währung werde dem Land helfen, die nötigen Veränderun­gen zur Stärkung der heimischen Wirtschaft umzusetzen, sagte Präsident Díaz-Canel Mitte Dezember, als er im Beisein von Parteichef Raúl Castro die Währungsun­ion ankündigte. Díaz-Canel räumte aber ein, dass es nicht die „magische Lösung aller Probleme“sein werde.

Die Währungsun­ion ist allerdings bitter nötig, damit die selbst verordnete ökonomisch­e Öffnung und die damit verbundene­n Reformen greifen können, die notwendig sind, damit sich ein neues marktwirts­chaftliche­s Gleichgewi­cht einpendelt. So müssen die heimische Produktion zügig angekurbel­t, Kredite an Bauern vergeben und die Abhängigke­it von Importen minimiert werden.

Rosskur bis zum Biden-Antritt

Carmelo Mesa-Lago, Wirtschaft­sexperte an der Universitä­t von Pittsburgh, sagt, dass zumindest die ersten Wochen des neuen Jahres für die Kubaner eine „Rosskur“werden, weil sie für noch mehr Dinge Schlange stehen und schauen müssen, wie sie mit ihrem durchschni­ttlichen Gehalt von umgerechne­t 30 Dollar an das Notwendige kommen.

Die Regierung in Havanna zählt daher die Tage bis zum Amtsantrit­t des künftigen US-Präsidente­n Joe Biden am 20. Januar. Er hat bereits klar gemacht, dass er die Trumpschen Sanktionen gegen Kuba zurücknehm­en und wieder den Dialog aufnehmen werde, den Barack Obama 2015 begonnen hatte.

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Foto: AFP Die Währungsre­form, die faktisch eine starke Abwertung ist, soll Kuba fit für die Herausford­erungen der Zukunft machen.

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