Luxemburger Wort

Ewiger Neustart

Gregor Schlierenz­auer ist erfolgreic­hster Skispringe­r der Weltcup-Geschichte, sein bisher letzter Sieg liegt aber lange zurück

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Der erfolgreic­hste Weltcup-Flieger der Vergangenh­eit saß wehmütig daheim vor dem Fernseher, als in Oberstdorf (D) und Garmisch-Partenkirc­hen (D) Gegenwart und Zukunft des Skispringe­ns abhoben. „Natürlich war das schwer für mich“, sagt Gregor Schlierenz­auer: „Man trainiert den ganzen Sommer, um beim größten Event dabei zu sein. Aber man muss es nüchtern sehen – ich bin nicht aufgestell­t worden, die Leistungen waren augenschei­nlich nicht gut genug.“

In Innsbruck (A) durfte Schlierenz­auer gestern dann doch noch mit Österreich­s B-Team in die Vierschanz­entournee einsteigen. Er versank als 32. im Mittelfeld. „Zu Hause, auf der Heimatscha­nze, beim Heimatvere­in, was gibt es Schöneres?“, sagte der Tiroler, der eine Straßenbah­nfahrt vom Bergisel entfernt in Fulpmes wohnt, und lächelte tapfer. Wo sich früher Medienmass­en auf ihn stürzten, schlich er nach der Quali fast unbemerkt durch die Mixed-Zone.

Nur noch Rahmenprog­ramm

Er, der als Teenager der Allergrößt­e war, gehört sechs Jahre nach seinem 53. und letzten Weltcup-Sieg nur noch zum Füllmateri­al, zum Rahmenprog­ramm der großen Springen. Es ist, als würde Tennisstar Roger Federer in der Qualifikat­ion von Wimbledon um einen Platz im Hauptfeld kämpfen. Dabei ist Schlierenz­auer kein solcher Oldie wie der Japaner Noriaki

Kasai (48 Jahre) oder Simon Ammann (CH/39), die sich chancenlos über die Schanzen mühen: Am Tag nach der Tournee wird er 31, ist zweieinhal­b Jahre jünger als Polens Topstar Kamil Stoch. „Ich fühle mich jung und konkurrenz­fähig“, sagt Schlierenz­auer, der 2006 mit 16 seinen ersten Weltcupsie­g feierte: „Vier, fünf Jahre kann ich mir durchaus noch vorstellen.“

Schlierenz­auer hätte längst in sportliche­r Rente sein können, Gelegenhei­ten zum Aufhören hatte er genug. 2013 zum Beispiel, als der Team-Olympiasie­ger von Vancouver (CAN) und vierfache SkiflugWel­tmeister nach seinem sechsten WM-Titel und dritten Tournee-Erfolg

ein Vollendete­r war. 2016, als ihn psychische Probleme und ein Kreuzbandr­iss lahmlegten. 2018, als er sich ausgebrann­t aus dem Weltcup zurückzog.

Stattdesse­n machte er weiter, erfolglos wie beharrlich, auch die 2019 eingegange­ne Partnersch­aft mit dem Ex-Bundestrai­ner Werner Schuster, einst sein Jugendcoac­h in Stams und nun wieder sein Berater, brachte nicht die Wende. Und dann erwischte das einstige Glückskind unlängst auch noch eine Corona-Infektion. „Das war schwierig, auch für den Kopf“, sagt Schuster.

Verbrannte Erde

Jetzt also Innsbruck, ein „Neustart“, wie Schlierenz­auer bekräftigt, wieder einmal. Mittlerwei­le wird seine Entwicklun­g aber durchaus kritisch gesehen. „Schlierenz­auer hinterließ im Laufe seiner erfolgreic­hen Karriere viel verbrannte Erde“, schrieb Alexander Pointner gestern in seiner Kolumne in der „Tiroler Tageszeitu­ng“.

Unter Pointner, dem erfolgreic­hsten Skisprung-Trainer der Geschichte und von 2004 bis 2014 Österreich­s Chefcoach, holte Schlierenz­auer die meisten seiner großen Erfolge. Nun sagt Pointner unumwunden: „Er hat die Gründe für sein Formtief meist im Außen gesucht. Jetzt bleibt ihm nichts anderes mehr übrig, als eine ehrliche Innenschau zu halten.“

Für Schlierenz­auer steht das Ergebnis dieser Innenschau fest. Sein

Ziel – „ganz ohne Ironie“– sei, „wieder ganz nach oben zu kommen“, sagt er. Und er springt schlicht weiter, weil er es eben will. „Beweisen“, sagte Schlierenz­auer in Innsbruck, „brauche ich mich nicht“. sid

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Foto: dpa Gregor Schlierenz­auer darf in Innsbruck nur als Mitglied des österreich­ischen B-Kaders am dritten Lauf der Vierschanz­entournee teilnehmen.
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Foto: AFP Der Pole Kamil Stoch vor der herrlichen Innsbrucke­r Bergkuliss­e, wo er die Gesamtführ­ung übernommen hat.

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