Die Stunde der Wahrheit
Wie tief kann Donald Trump eigentlich noch sinken? In einem beispiellosen Vorgang drängt der amtierende US-Präsident den Leiter der Wahlaufsicht im Bundesstaat Georgia, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl zu seinen Gunsten zu manipulieren. Joe Biden hatte dort im vergangenen November mit einem hauchdünnen Vorsprung gewonnen. „Ich will 11 780 Stimmen finden“, verlangt Trump unverblümt in einem Telefonmitschnitt und droht dabei Brad Raffensperger, Staatssekretär in Georgia, mit Konsequenzen. Einmal mehr belegen die Aufnahmen Trumps Unverfrorenheit und Skrupellosigkeit im Umgang mit Macht, obwohl auch ein Sieg in Georgia nichts am Wahlergebnis ändern würde.
Da das Wort „verlieren“im Wortschatz von Donald Trump aber nicht vorhanden ist, bleibt ihm nichts anderes übrig als nach jedem noch so beliebigen und ausweglosen Strohhalm zu greifen, um die unabwendbare Niederlage doch noch abzuwenden. Dabei könnte dieser offenkundige und brutale Machtmissbrauch noch ein juristisches Nachspiel für Trump haben und eine erneute Kandidatur in vier Jahren verhindern.
Dass mittlerweile sowohl Freund als auch Feind ihm am Ende seiner Amtszeit alles zutrauen, zeigt ein am Montag in der „Washington Post“veröffentlichter Aufruf von zehn ehemaligen Verteidigungsministern – darunter selbst hartgesottene Konservative wie Donald Rumsfeld. Darin fordern sie das US-Militär dazu auf, sich nicht an möglichen Versuchen von Trump zu beteiligen, die Amtsübergabe an Joe Biden zu behindern.
Doch – und das ist die gute Nachricht – die amerikanische Demokratie hat den ultimativen Stresstest namens Donald Trump bisher erfolgreich bestanden. Zur Erinnerung: Keine einzige von Trumps zahlreichen – zum vermeintlichen Wahlbetrug – angestrengten Klagen hatte vor Gericht Bestand. Denn die Justiz ist nicht dem politischen Willen des ersten Mannes im Staat unterworfen, sondern fällt eigenständige Entscheidungen.
Und auch die Wahlleiter in den einzelnen Bundesstaaten haben sich – unabhängig von der Parteizugehörigkeit – gegen den politischen Druck aus dem Weißen Haus zur Wehr gesetzt, wie eben der Republikaner Brad Raffensperger, der den von Trump im Telefonat geäußerten Drohungen trotzt. Zahlreiche Beispiele aus dem ganzen Land belegen, dass den lokalen Mandatsträgern die Beachtung der demokratischen Spielregeln wichtiger ist als das Wohl eines Einzelnen.
Ihre beispielhafte Standfestigkeit sollte jenen speichelleckenden, republikanischen Kongressmitgliedern ein Vorbild sein, die sich trotz Trumps Gebaren opportunistisch hinter ihn stellen und dem abgewählten Präsidenten noch immer eine Bühne zur medialen Inszenierung bieten. Jeder einzelne republikanische Amtsträger – ob Senator oder Abgeordnete – muss sich nun entscheiden, ob er weiter nur willfähriger Gehilfe eines Mannes sein will, der zum eigenen Nutzen an den Grundpfeilern der ältesten Demokratie der Welt sägt oder ob er – unter Joe Biden – aktiv zur Heilung der politischen Kultur in den USA beitragen will.
Jeder einzelne republikanische Amtsträger muss sich nun entscheiden.