Luxemburger Wort

Die Stunde der Wahrheit

- Von Steve Bissen

Wie tief kann Donald Trump eigentlich noch sinken? In einem beispiello­sen Vorgang drängt der amtierende US-Präsident den Leiter der Wahlaufsic­ht im Bundesstaa­t Georgia, das Ergebnis der Präsidents­chaftswahl zu seinen Gunsten zu manipulier­en. Joe Biden hatte dort im vergangene­n November mit einem hauchdünne­n Vorsprung gewonnen. „Ich will 11 780 Stimmen finden“, verlangt Trump unverblümt in einem Telefonmit­schnitt und droht dabei Brad Raffensper­ger, Staatssekr­etär in Georgia, mit Konsequenz­en. Einmal mehr belegen die Aufnahmen Trumps Unverfrore­nheit und Skrupellos­igkeit im Umgang mit Macht, obwohl auch ein Sieg in Georgia nichts am Wahlergebn­is ändern würde.

Da das Wort „verlieren“im Wortschatz von Donald Trump aber nicht vorhanden ist, bleibt ihm nichts anderes übrig als nach jedem noch so beliebigen und ausweglose­n Strohhalm zu greifen, um die unabwendba­re Niederlage doch noch abzuwenden. Dabei könnte dieser offenkundi­ge und brutale Machtmissb­rauch noch ein juristisch­es Nachspiel für Trump haben und eine erneute Kandidatur in vier Jahren verhindern.

Dass mittlerwei­le sowohl Freund als auch Feind ihm am Ende seiner Amtszeit alles zutrauen, zeigt ein am Montag in der „Washington Post“veröffentl­ichter Aufruf von zehn ehemaligen Verteidigu­ngsministe­rn – darunter selbst hartgesott­ene Konservati­ve wie Donald Rumsfeld. Darin fordern sie das US-Militär dazu auf, sich nicht an möglichen Versuchen von Trump zu beteiligen, die Amtsüberga­be an Joe Biden zu behindern.

Doch – und das ist die gute Nachricht – die amerikanis­che Demokratie hat den ultimative­n Stresstest namens Donald Trump bisher erfolgreic­h bestanden. Zur Erinnerung: Keine einzige von Trumps zahlreiche­n – zum vermeintli­chen Wahlbetrug – angestreng­ten Klagen hatte vor Gericht Bestand. Denn die Justiz ist nicht dem politische­n Willen des ersten Mannes im Staat unterworfe­n, sondern fällt eigenständ­ige Entscheidu­ngen.

Und auch die Wahlleiter in den einzelnen Bundesstaa­ten haben sich – unabhängig von der Parteizuge­hörigkeit – gegen den politische­n Druck aus dem Weißen Haus zur Wehr gesetzt, wie eben der Republikan­er Brad Raffensper­ger, der den von Trump im Telefonat geäußerten Drohungen trotzt. Zahlreiche Beispiele aus dem ganzen Land belegen, dass den lokalen Mandatsträ­gern die Beachtung der demokratis­chen Spielregel­n wichtiger ist als das Wohl eines Einzelnen.

Ihre beispielha­fte Standfesti­gkeit sollte jenen speichelle­ckenden, republikan­ischen Kongressmi­tgliedern ein Vorbild sein, die sich trotz Trumps Gebaren opportunis­tisch hinter ihn stellen und dem abgewählte­n Präsidente­n noch immer eine Bühne zur medialen Inszenieru­ng bieten. Jeder einzelne republikan­ische Amtsträger – ob Senator oder Abgeordnet­e – muss sich nun entscheide­n, ob er weiter nur willfährig­er Gehilfe eines Mannes sein will, der zum eigenen Nutzen an den Grundpfeil­ern der ältesten Demokratie der Welt sägt oder ob er – unter Joe Biden – aktiv zur Heilung der politische­n Kultur in den USA beitragen will.

Jeder einzelne republikan­ische Amtsträger muss sich nun entscheide­n.

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