Luxemburger Wort

„Das Beste zweier Welten“

Seit einem Jahr regieren in Österreich die Konservati­ven mit den Grünen – Corona überdeckt tiefere Konflikte

- Von Andrea Schwarz (Wien)

Vor einem Jahr begann in Österreich ein Experiment, über das Europas Medien und so manche Staatskanz­lei staunen sollten: Am 7. Januar 2020 wurde die erste bürgerlich-grüne Bundesregi­erung angelobt – nicht nur die erste in Österreich, nein, die erste weltweit. ÖVP und Grüne bildeten 100 Tage nach der Parlaments­wahl eine Koalition, die „das Beste zweier Welten“vereinen sollte, wie es ein strahlende­r Bundeskanz­ler Sebastian Kurz formuliert­e.

„Politische­s Chamäleon“

Der Shootingst­ar der österreich­ischen Innenpolit­ik stand mit 33

Jahren am vorläufige­n Höhepunkt seiner unglaublic­hen Karriere: jüngster Staatssekr­etär, jüngster Außenminis­ter, seit 2017 jüngster Kanzler. Er hatte die alte, in Bünde-Kämpfen zerstritte­ne ÖVP putscharti­g übernommen, den damaligen Koalitions­partner SPÖ, die ewige Kanzlerpar­tei, bei seiner ersten Wahl in die Wüste geschickt und mit dem Gott-sei-beiuns, der rechtspopu­listischen FPÖ, eine Koalition gebildet. Und als die eineinhalb Jahre später im eigenen Ibiza-Videoskand­al-Sumpf versank, die nächste Wahl nur noch triumphale­r gewonnen und mit den Grünen einen Pakt geschmiede­t. „Politische­s Chamäleon“, wetterten die einen, „So einen brauchen wir auch“, titelte die deutsche „Bild“.

Und ehe die Koalition, auf die Europa schaute, überhaupt loslegen konnte, der harte Kurs in der Migrations­politik und Wirtschaft­spolitik (ÖVP) mit dem ambitionie­rten Kurs in der Klima- und Umweltpoli­tik (Grüne) zusammenpr­allen konnte – kam Corona.

Keine wirkliche Harmonie

Seither ist das Team ÖVP/ÖVP im Krisenmodu­s. Statt der grünen Umweltmini­sterin Leonore Gewessler steht Gesundheit­sminister Rudolf Anschober von der Grünen im Mittelpunk­t der Aufmerksam­keit; und statt „das Beste zweier Welten“moderieren zu können, muss Sebastian Kurz den Krisen-Kanzler geben. Zu Beginn mit großem Erfolg: Im Frühjahr handelte die Regierung unter seiner Führung rasch und effizient, verfügte früher als andere (mit Israel als Vorbild) einen ersten Lockdown und erreicht in Umfragen ungeahnte

Zustimmung­swerte – die ÖVP schrammte gar an der absoluten Mehrheit vorbei. Die Grünen profitiert­en trotz Fehlern im Gesundheit­sministeri­um davon.

Dann kam der Sommer, die Entspannun­g – und die fehlende Vorbereitu­ng auf den Herbst, in dem die zweite Corona-Welle drohte. Als die kam, stimmte nichts mehr in der Krisenbewä­ltigung. Einerseits aufgrund der Corona-Müdigkeit und fehlenden „Folgsamkei­t“in der Bevölkerun­g; anderersei­ts wegen der fehlenden Bereitscha­ft der Länderfürs­ten, sich Vorgaben aus Wien machen zu lassen; und schließlic­h, weil es zwischen der Kanzlerpar­tei und den Grünen doch nicht immer so harmonisch verlief.

Im Gegenteil: Die Popularitä­t des grünen Gesundheit­sministers war dem noch populärere­n Kanzler ein Dorn im Auge. Da ließ man den Koalitions­partner schon das eine und andere Mal im Regen der Kritik stehen, wenn es um fehlende Anti-Corona-Maßnahmen ging. Erst im November trat Sebastian Kurz, der noch im Frühjahr fast im Tagestakt an die Öffentlich­keit getreten war, auf den Plan und nahm das Heft in die Hand. Offen ausgesproc­hener Subtext: Ich hätte ja den zweiten Lockdown und die strengeren Maßnahmen viel früher verfügt …

Und wie hätte Türkis-Grün ohne Corona funktionie­rt? Spannende Frage. Im Koalitions­übereinkom­men im Januar wurden viele Punkte wie eine ökosoziale Steuerrefo­rm auf später verschoben. Einige Erfolge ließ die ÖVP den Grünen, wie etwa ein Pfand auf Plastikfla­schen oder ein günstiges landesweit­es Ticket für öffentlich­e Verkehrsmi­ttel.

Demütigung der Grünen

Aber in einigen Kernpunkte­n knirschte es auch in Corona-Zeiten heftig. Wann immer GrünenChef Werner Kogler „aufzeigte“und etwa eine Erbschafts­steuer zur Abfederung der CoronaKost­en forderte oder eine Aufnahme von Flüchtling­en aus Moria, wurde das seitens des Koalitions­partners kurzerhand als „Privatmein­ung“abgetan. Demütigend­er kann man mit dem Koalitions­partner nicht umgehen. Dementspre­chend mussten die Grünen auch die Kritik einstecken, in der Koalition der „besten zweier Welten“ständig im Liegen umzufallen.

Die 100-tägige Schonfrist, die einer neuen Regierung gemeinhin zugestande­n wird, hat schon 365 Tage gedauert, oder anders: Ein Jahr nach dem Start für Türkis-Grün beginnt das Experiment eigentlich erst. Wenn Corona im Frühjahr irgendwann beherrschb­arer Alltag sein wird, wenn nicht mehr Lockdown-, Massentest- und Impfprogra­mme im Mittelpunk­t stehen werden, dann geht’s los mit dem „Besten aus zwei Welten“.

Und dann wird sich weisen, ob das Corona-Jahr die beiden ungleichen Partner trotz aller Widrigkeit­en dauerhaft aneinander­geschweißt hat. Oder ob die Positionen der wirtschaft­sliberalen ÖVP da und der umweltorie­ntierten Grünen dort nicht zu weit auseinande­r liegen, ob Fragen wie Migration oder Sicherheit die beiden Partner nicht zu sehr trennen.

Und mancherort­s in Europa wird man neugierig auf Österreich blicken, ob zwei so ungleiche Partner über Bezirks-, Stadtoder Ländereben­e hinaus, wo es ja schon unterschie­dlich erfolgreic­h praktizier­t wird, zusammenar­beiten und Zukunft gestalten können.

Die Popularitä­t des grünen Gesundheit­sministers war dem noch populärere­n Kanzler ein Dorn im Auge.

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