„Wir haben viel zu lange gelitten“
Schauspieler Omar Sy über Rassismus, die Arbeit im Pandemie-Jahr und die neue Netflix-Serie „Lupin“
Ausgerechnet an Thanksgiving steht Omar Sy für ein Videotelefonat zur Verfügung. Keine große Sache für einen Franzosen, sollte man meinen. Doch der in einer Banlieue von Paris geborene Sy lebt mit Ehefrau Hélène und den fünf Kindern schon seit 2012 in Los Angeles – und begeht deswegen natürlich auch den wichtigsten amerikanischen Feiertag mit einem großen Festessen. Vorher war aber noch Zeit für ein Gespräch – unter anderem über seine Hauptrolle in der neuen Serie „Lupin“, die seit heute bei Netflix abrufbar ist.
Omar Sy, Arsène Lupin, der Meisterdieb aus der Feder des Schriftstellers Maurice Leblanc, ist nicht nur in Frankreich legendär. Hatten Sie schon vor der Serie „Lupin“einen Bezug zur Figur?
In erster Linie hatte ich vor allem – wie wohl alle Franzosen – ein ganz allgemeines Verständnis von ihm. Wenn man den Namen Lupin hört, hat man sofort ein
Bild vor Augen und weiß, wozu dieser Gentleman-Verbrecher fähig ist. Selbst wenn man, wie ich, vielleicht nur mal einen der vielen Romane gelesen hat oder eine der zahlreichen Verfilmungen kennt. Ich war wirklich nicht allzu vertraut mit den Details. Trotzdem war meine Antwort, als mich die Produzenten der Serie nach meiner Traumrolle fragten: Arsène Lupin. Denn der Name steht für Charme, Drama, Action und Spaß. So fing die Entwicklung dieses Projekts überhaupt erst an.
Das Stichwort Gentleman fällt in der Serie tatsächlich mehrmals. Würden Sie sich selbst so beschreiben?
Ach, ich weiß nicht. Wobei ich mal eine Definition des Begriffs gehört habe, die mir gut gefiel: Ein Gentleman ist jemand, der zwar Dudelsack spielen kann, es aber bleiben lässt.
Letztlich spielen Sie jedenfalls in der Serie nun gar nicht Lupin, sondern eine Art moderne Reinkarnation von ihm. Und verantwortlich für „Lupin“zeichnet kein Franzose, sondern der Brite George Kay. Ganz schön viele Updates für einen solchen französischen Klassiker!
Ohne ein paar Veränderungen lässt sich eine solche Vorlage einfach nicht ins Jahr 2021 übertragen. Und so wichtig es uns war, eine sehr französische Geschichte zu erzählen, so wichtig war es uns auch, dass sie auf der ganzen Welt funktioniert. Deswegen kam jemand wie George, der obendrein als Autor unglaublich viel Rhythmus und Tempo hat, gerade recht.
Die Dreharbeiten zur Serie waren zur Hälfte beendet, als vergangenes Frühjahr der Lockdown kam. War es schwierig, den Rest dann im Sommer zu Ende zu drehen?
Der Dreh unter Auflagen und Corona-Bedingungen war ungewohnt und seltsam, manchmal auch mühsam. Aber das hat mich nicht gestört. Ich war nämlich vor allem unglaublich glücklich, dass wir überhaupt weiterarbeiten konnten. In den drei Monaten, in denen alles stillstand, hatte ich nämlich wirklich die Sorge, dass das Projekt „Lupin“gestorben sein könnte. Im Vergleich dazu war Drehen mit Maske und Sicherheitsabstand wirklich kein Problem.
Wo haben Sie selbst denn den Lockdown verbracht?
Zuhause mit der Familie in Los Angeles. Als der Dreh abgebrochen werden musste, konnte ich noch zurück in die USA fliegen – und dort blieb ich dann, bis es im Sommer weiterging.
Zurück zur Serie. Zu dem modernen Bild von Frankreich, das dort gezeigt wird, gehören auch allerlei Verweise auf den allgegenwärtigen Alltagsrassismus ...
Das war etwas, worüber
George und ich früh gesprochen haben. Ich fand es wichtig, dass wir ein stimmiges Bild des heutigen Frankreichs zeigen, in dem man natürlich als Schwarzer in vielen Fällen anders behandelt wird als ein Weißer. Gleichzeitig gefiel es mir, dass das Thema trotzdem mit einem gewissen Augenzwinkern zur Sprache kommt. Und der von mir gespielte Assane Diop sich diese Ungleichbehandlung in seinen Plänen auch auf clevere Weise zunutze macht. Dass in vielen Bereichen des Alltags People of Color oft gar nicht beachtet werden und wir für Weiße deswegen mitunter vermeintlich alle gleich aussehen, verwandelt er sehr raffiniert in einen Vorteil.
Erleben Sie Rassismus in den USA anders als in Frankreich?
Puh, das ist eine komplexe Frage und nicht so ohne weiteres zu beantworten. Der Rassismus, der mir als Sohn westafrikanischer Einwanderer in Frankreich begegnet ist, ist auf jeden Fall nicht der gleiche, den schwarze US-Amerikaner erleben und der geprägt ist von der Geschichte der Sklaverei. Aber mich darüber zu äußern, steht mir nicht zu.
Dass die Black-Lives-Matter-Bewegung im vergangenen Sommer auch in Europa aufgegriffen wurde, hatte doch aber berechtigte Gründe, oder?
Selbstverständlich, und ich finde es sehr wichtig und gut, dass die Bewegung inzwischen eine globale ist. Trotzdem muss man sehen, dass sie in den USA andere Wurzeln hat und sich zum Beispiel in Frankreich oder Deutschland sehr viel allgemeiner gegen Diskriminierung, Ausgrenzung und Ungerechtigkeit richtet. Was genauso wichtig ist, denn auch darunter haben wir überall viel zu lange gelitten.
Was gefällt Ihnen eigentlich am Leben in Los Angeles?
Eine naheliegende Antwort ist natürlich das Wetter. Das dortige Sonnenlicht fehlt mir inzwischen schon, wenn ich nur mal für ein paar Wochen zurück in Paris bin. Außerdem empfinde ich in Los
Angeles ein Gefühl von Freiheit und Weite, auch im übertragenen Sinn, das ich als sehr beflügelnd empfinde. Und da ich gerne Auto fahre, stören mich auch der Verkehr und die weiten Entfernungen nicht. Wer seinen Führerschein in Paris gemacht hat, dem kommt das Fahren in L.A. wie Urlaub vor. Von Freunden und Familie abgesehen fehlt mir dort also eigentlich wirklich kaum etwas.
Ein Gentleman ist jemand, der zwar Dudelsack spielen kann, es aber bleiben lässt.
Wer seinen Führerschein in Paris gemacht hat, dem kommt das Fahren in L.A. wie Urlaub vor.
Eine letzte Frage noch zum Film „Intouchables“, der in diesem Jahr zehn Jahre alt wird. Würden Sie sagen, dass der Film damals Ihr Leben verändert hat?
Zu 100 Prozent würde ich das unterschreiben. Das war im Grunde der Beginn meiner eigentlichen Schauspielkarriere, stellte aber auch sonst mein Leben auf den Kopf. Plötzlich war ich berühmt, es öffneten Türen, die ich nie für möglich gehalten hatte. Mir wurde ziemlich schnell klar, dass ich diesen Film nie loswerden würde – und das auch gar nicht wollen würde. „Intouchables“ist der Fixstern am Firmament meines Berufslebens und das Licht, das mir stets den Weg leuchtet. Ich werde für immer dankbar sein, dass ich diese Rolle damals bekommen habe.