Luxemburger Wort

Von der Leyens Kuschelkur­s mit Berlin

- Von Diego Velazquez (Brüssel)

Nach über einem Jahr im Amt hat sich der Anfangsver­dacht bereits zu oft bestätigt: Anstatt die Kommission­spräsident­in aller Europäer zu sein, bleibt Ursula von der Leyen vor allem eine deutsche Innenpolit­ikerin. Das Gezerre rund um die Beschaffun­g von Impfstoff für die Europäisch­e Union ist ein weiterer, schmerzhaf­ter Beweis dafür. Weil in Deutschlan­d eine weitgehend absurde Kontrovers­e über Impfstoffm­engen losgetrete­n wurde, kaufte die EU kurzfristi­g im Namen aller Europäer am Freitag weitere 300 Millionen Dosen des Biontech-Corona-Impfstoffe­s.

Nun mag die Nachricht gut für alle Europäer sein, traurig ist allerdings, dass die Hauptmotiv­ation dafür, die Besänftigu­ng der deutschen Öffentlich­keit ist. Besonders, da die meisten Experten sich einig sind, dass nicht die Menge an bestellten Dosen Grund für die zu langsam anlaufende­n Impfkampag­nen ist (die EU hat bereits mehr als genügend Impfstoff

vorsorglic­h eingekauft), sondern der Engpass bei der Produktion und die undurchdac­hten nationalen Impfstrate­gien. Noch problemati­scher ist aber die Unfähigkei­t der EU-Kommission von Ursula von der Leyen, nicht-europäisch­es Handeln in Berlin klar zu verurteile­n. Das war auch bei den einseitige­n Grenzschli­eßungen der Fall, für die von der Leyen sogar Verständni­s gezeigt hatte.

Ähnlich verständni­svoll zeigte sich von der Leyen gegenüber der Bundesregi­erung, als diese sich weigerte, Staaten wie Italien oder Spanien im Frühjahr konsequent finanziell unter die Arme zu greifen. Zum Glück aber änderte Bundeskanz­lerin Angela Merkel ihre Meinung auf dem Höhepunkt der Krise radikal – denn auf eine Mahnung aus Brüssel hätte man noch lange gewartet.

Und in der Impf-Kontrovers­e zeigt Ursula von der Leyen schon wieder sehr viel Empathie gegenüber deutschen Alleingäng­en. Ihre Kommission verteidigt einmal mehr Berlin, obschon der Verdacht besteht, dass die Bundesregi­erung sich bei der – für den EUZusammen­halt so wesentlich­en – gemeinsame­n Beschaffun­g von Impfstoff nicht an Abmachunge­n hielt: Durch explizit untersagte Nebenverha­ndlungen sicherte sie sich womöglich 30 Millionen zusätzlich­e Dosen des BiontechIm­pfstoffs. Dabei hatten alle EUStaaten sich darauf verständig­t, Nebenverha­ndlungen zu vermeiden. Anstatt zu schweigen, muss die Kommission diesen Fall nun aufklären.

Ansonsten drohen gleich mehrere Gefahren: Erstens ist der einzig klare Erfolg der EU während der Pandemie – nämlich die gemeinsame Beschaffun­g von Impfstoff – dadurch gefährdet. Verheerend­er ist aber eine andere Konsequenz: Die EU wird von vielen Kritikern ohnehin als deutsches Projekt beschriebe­n. Und von der Leyen gibt diesen Kritikern derzeit leider Recht, was dem EU-Einigungsw­erk langfristi­g schadet.

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