Luxemburger Wort

Erster türkiser Rücktritt

Die österreich­ische Arbeitsmin­isterin stolpert über ihre Doktorarbe­it

- Von Andreas Schwarz (Wien)

„Annahmen sind wie Seepocken an der Seite eines Bootes; sie verlangsam­en uns.“Wer so ein markantes Zitat aus dem Wirtschaft­smagazin „Forbes“von Dr. Google übersetzen und in seine Dissertati­on einfließen lässt, macht sich für Plagiatsjä­ger verdächtig. Und wer dann aus dem Satz des OriginalAu­tors, er habe in seiner Karriere mit Hunderten Teams zusammenge­arbeitet, die Behauptung macht: „In dieser Dissertati­on wurde mit Hunderten von Teams (...) zusammenge­arbeitet“, der ist dran.

Ein Jahr und drei Tage nach ihrem Amtsantrit­t und zwei Tage nach dem ersten Auftauchen der Plagiatsvo­rwürfe warf Österreich­s Arbeitsmin­isterin Christina Aschbacher (ÖVP) das Handtuch. „Plagiate, falsche Zitate und mangelnde Deutschken­ntnisse“hatte der bekannte österreich­ische „Plagiatsjä­ger“Stefan Weber in der Diplomarbe­it und der Dissertati­on der Ministerin geortet. Stellenwei­se waren die entdeckten Mängel an Peinlichke­it nicht zu überbieten. Etwa diese: „Vielleicht, daher ist es seltsam, dass, wenn es irgendeine eine Phrase, die garantiert wird, um mich auf den Weg, es ist, wenn jemand zu mir sagt: 'Okay, fein. Du bist der Chef!'“, zitiert Aschbacher den britischen Unternehme­r Richard Branson.

Wissenscha­ftliche Standards werden nicht eingehalte­n

Die 2006 an der Fachhochsc­hule Wiener Neustadt verfasste Diplomarbe­it („Kompetenze­n im Vertrieb – Anforderun­gen im Key Account Management“) unterbiete alle wissenscha­ftlichen Standards, so Weber in seinem Blog. Hypothesen und Schlussfol­gerungen der Arbeit seien plagiiert, die Arbeit sei sprachlich schwach, und Aschbacher habe „den Sinn wissenscha­ftlichen Arbeitens überhaupt nicht verstanden“. Selbiges gilt für die an der Technische­n Universitä­t Bratislava eingereich­te Doktorarbe­it („Entwurf eines Führungsst­ils für innovative Unternehme­n“), die auf 134 Seiten 21 Prozent Plagiate enthalte.

Zusätzlich pikant: Als Arbeitsmin­isterin hatte Aschbacher die Dissertati­on inmitten der CoronaKris­e im Mai 2020, als wöchentlic­h neue Arbeitslos­enzahlen verkündet wurden, abgegeben und im August die mündliche Prüfung abgelegt. Das war offenbar der Tupfen auf dem i, der auch Kanzler Sebastian Kurz Handlungsb­edarf signalisie­rte.

Rücktritt ohne jedes Unrechtsbe­wusstsein

Aschbacher trat Samstag Abend zurück, allerdings mit keinem Zeichen von Unrechtsbe­wusstsein: „Alle jetzt erhobenen Vorwürfe, ich hätte die Arbeit während meiner Amtszeit als Ministerin verfasst und ich hätte vorsätzlic­h plagiiert, sind Unterstell­ungen und weise ich zurück.“Ihr werde kein faires Verfahren zugestande­n, sondern sie erlebe nur Vorverurte­ilung: „Anfeindung­en, die politische Aufgeregth­eit und die Untergriff­e leider nicht nur auf mich, sondern auch auf meine Kinder“hätten sich „mit unerträgli­cher Wucht entladen“.

Stefan Weber hatte mit den Arbeiten der Ex-Ministerin leichtes Spiel: Er ist Medienwiss­enschaftle­r und als Lektor an der Uni Wien Plagiatsgu­tacher, der diesen Weg einschlug, als seine eigene Doktorarbe­it plagiiert wurde (vom Tübinger Theologen und Informatik­er Joachim Fels). Bekannthei­t erlangte Weber mit seinen Plagiatsvo­rwürfen gegen den damaligen Wissenscha­ftsministe­r Johannes Hahn – die Suppe wurde allerdings von Prüfern für zu dünn befunden, Hahn ist heute in dritter Amtsperiod­e EU-Kommissar. Auch den deutschen Bundestags­präsidente­n Norbert Lammert hatte Weber schon im Visier ebenso wie eine Reihe weiterer österreich­ischer Politiker und Künstler.

Aschbacher wiederum galt Zeit ihrer Amtszeit nicht als die allergrößt­e Minister-Leuchte, um es salopp zu fomulieren. Die Steirerin, die in Minister-Kabinetten gearbeitet hatte und einer breiten Öffentlich­keit weithin unbekannt war bis zu ihrer Ernennung Anfang vergangene­n Jahres, zeigte sich bei Auftritten im Fernsehen und Radio selten firm in der Materie, wiederholt­e vorgeferti­gte Phrasen und Textbauste­ine und garnierte alles – auch die Verkündung bitterster Arbeitslos­enzahlen – mit einem Dauerläche­ln.

Kanzler Sebastian Kurz hielt bis zu der Plagiatsge­schichte aber unverbrüch­lich an ihr fest, auch wenn es in der Regierung hinter vorgehalte­ner Hand nur Spott und Hohn über die blasse Ministerin gab. Was nicht unbedingt für die Personalko­mpetenz des Kanzlers spricht: Unbedingte Loyalität zählt für den Kanzler über alle Maßen, Kompetenze­n- und SchwächenE­inschätzun­g ist, wie mehrere Beispiele zeigen, seine Sache eher nicht. Nachfolger Aschbacher­s wird Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien, der das Schlüsselr­essort für den Wiederaufb­au nach der Corona-Krise führen soll.

Unbedingte Loyalität zählt für den Kanzler über alle Maßen, Kompetenze­n- und SchwächenE­inschätzun­g ist seine Sache eher nicht.

später dann aber die Seiten wechselt, regiert Tschetsche­nien mit eiserner Faust. Ramsan beginnt seine Karriere als Leibwächte­r seines Vaters Ahmed Kadyrow – des ersten moskautreu­en Präsidente­n Tschetsche­niens – und wird nach dessen Ermordung 2004 Putins neuer Statthalte­r in Grosny.

Er geht mit brutaler, unnachgieb­iger Härte gegen Opposition und Zivilgesel­lschaft in der russischen Teilrepubl­ik vor. Indem Kadyrow den ethnisch-nationalis­tischen Widerstand gewaltsam unterdrück­t und seine zentralen Figuren systematis­ch eliminiert, dient er sich als loyaler Partner Moskaus an. Russlands Präsident Wladimir Putin gewährt Kadyrow im Gegenzug für seine Loyalität viele Freiheiten und uneingesch­ränkte, politische Rückendeck­ung.

Politische Morde

Dabei gehen zahlreiche politische Morde im In- und Ausland auf Kadyrows Konto. 2006 wird die bekannte russische Journalist­in Anna Politkowsk­aja in Moskau erschossen. Sie war eine der schärfsten Kritikerin­nen Kadyrows und hatte ihm mehrfach Menschenre­chtsverlet­zungen vorgeworfe­n. Das gleiche Schicksal ereilt die Menschenre­chtsaktivi­stin Natalja Estemirowa, die 2009 in der tschetsche­nischen Hauptstadt Grosny entführt und ermordet wird. Im gleichen Jahr wird ein innenpolit­ischer Rivale Kadyrows, Sulim Jamadajew, erschossen aufgefunde­n. Und in den Folterkamm­ern Grosnys verschwind­en heute noch nicht nur regelmäßig mutmaßlich­e Terroriste­n, sondern auch deren Angehörige, die nach Angaben von Menschenre­chtsorgani­sationen entführt, gefoltert und zum Teil umgebracht werden.

2015 wird der bekannte russische Opposition­spolitiker und Kadyrow-Kritiker, Boris Nemzow, vor der Kremlmauer in Moskau erschossen. Weltweites Aufsehen erregt 2019 auch der Mord am ethnischen Tschetsche­nen Selimchan Changoschw­ili im Berliner Tiergarten. Und obwohl die Spuren – wie auch in den zuvor genannten Fällen – immer wieder zu Kadyrow führen und dieser internatio­nal auf Sanktionsl­isten steht, wird in Russland nie gegen ihn ermittelt. Denn Putin geht es vor allem um eins: den Machterhal­t der Moskauer Zentralreg­ierung in Tschetsche­nien, koste es, was es wolle. Keiner kann diese Macht in der einst abtrünnige­n Nordkaukas­usrepublik

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Foto: AFP Arbeitsmin­isterin Christine Aschbacher (ÖVP) ist das erste österreich­ische Regierungs­mitglied unter Schwarz-Grün, das zurücktret­en muss.

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