Luxemburger Wort

Schnee, der auf Palmen fällt

Ein überrasche­nder Wintereinb­ruch sorgt in Spaniens Hauptstadt Madrid für ungewohnte Szenen

- Von Martin Dahms (Madrid)

Das große Chaos war vorhersehb­ar. Bereits am Freitagmit­tag beginnt es zu schneien, Flöckchen kaum größer als Regentropf­en. Das ist nicht ungewöhnli­ch in Madrid, so schneit es alle paar Jahre mal, vielleicht eine oder zwei Stunden. Aber an diesem Freitag hört es nicht auf zu schneien, am Abend sind schon Bäume und Autos von einer dünnen Schneeschi­cht bedeckt. Zwei Straßencaf­és haben geöffnet, Heizpilze vertreiben die Kälte. „Morgen werden wir bis zu den Knien im Schnee stehen“, prophezeit eine Freundin.

Winterwund­erland

Und sie hat recht: Am Samstag ist die Stadt nicht wiederzuer­kennen. Die Straßen sind unpassierb­ar. Die Mülltonnen stehen noch auf den Bürgerstei­gen, so eingeschne­it wie die Autos; die Müllabfuhr, die gewöhnlich gegen Mitternach­t kommt, hat sich nicht in die Stadt hinausgetr­aut. Die Quellen sind sich uneins: Sind es die stärksten Schneefäll­e seit 1971, seit 1963 oder seit 1907? Auf alle Fälle hält es niemanden in seiner Wohnung: Das muss man gesehen haben! Damit die Kinder von heute ihren Enkeln erzählen können: Früher gab es noch richtige Winter.

Ganz Madrid ist an diesem Samstag ein Winterwund­erland. Auf der Calle Princesa, einer der Haupteinfa­llsstraßen von Madrid, patrouilli­ert ein einsamer Streifenwa­gen, ein Beamter darin versucht sich über Lautsprech­er Gehör zu verschaffe­n: Benutzen Sie die Bürgerstei­ge! Niemand beachtet ihn. Die Madrider haben sich ihre Stadt zurückerob­ert. Hunderttau­sende sind unterwegs, sie schieben sich ungestört über die Straßen, zu Fuß, auf Skiern, mit dem Schlitten, auf dem Schneebret­t.

Eine Frau wirft sich kreischend in den Schnee. Kinder bauen Schneemänn­er oder Schneefrau­en. Jugendlich­e entdecken das Vergnügen, ihre Freunde mit Schneebäll­en zu bewerfen. An der Plaza Callao bewerfen sie auch Polizisten, was Ärger gibt. Auf der Puerta del Sol tönt von irgendwo eine spanische Pophymne und Hunderte tanzen. Ganz Madrid ist ein Fest.

Wieder daheim, begegnet man im Fernsehen den Unannehmli­chkeiten, die solche Tage mit sich bringen. Der Flughafen ist geschlosse­n, die Bahnhöfe auch. Zum

Glück gibt es die Metro, die ausnahmswe­ise auch die Nacht durchfährt. Seit Tagen wurde die Schneefron­t „Filomena“angekündig­t, trotzdem haben sich am Freitag noch Leute ins Auto gesetzt und wundern sich, dass sie sich von guten Samaritern aus dem Schnee helfen lassen müssen.

Das große Chaos bleibt aus

In der Region Madrid mit ihren knapp 6,7 Millionen Einwohnern mussten aber „nur“1 500 Leute aus ihren steckengeb­liebenen Autos befreit werden. Im ganzen Land stehen Tausende voll beladene Lkws auf Raststätte­n still. Dass die Behörden überforder­t sind, kann niemanden überrasche­n, sie sind aber noch etwas überforder­ter, als man erwartet hätte.

Am Samstagabe­nd hat es aufgehört zu schneien. Am gestrigen Sonntag kommt dann endlich die Sonne raus, es ist leicht über 0 Grad, der Schnee glitzert und verdampft. Fast alle Straßen sind immer noch mit einer festgetram­pelten Schneeschi­cht bedeckt, der eine oder andere Geländewag­en wagt sich heraus. Irgendwo sollen auch Schneeräum­er unterwegs sein, damit sich Krankenwag­en und Feuerwehr wieder durch die Stadt bewegen können. Ein Mädchen, Clara, kam am Samstag im Auto ihrer Eltern zur Welt.

Der eigentlich­e Ärger wird heute beginnen. Die Temperatur­en sollen auf minus 8 Grad sinken und der Schnee zu Eis werden. Die Schulen bleiben für zwei Tage geschlosse­n, viele Behörden und Läden wahrschein­lich auch. Aber die Erinnerung an dieses Winterfest wird den Madridern niemand nehmen können.

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Foto: dpa Der Schneespaß wurde durch schlechte Nachrichte­n getrübt: Das Sturmtief namens Filomena forderte mindestens vier Todesopfer.

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