Savoir-vivre aus dem Foodtruck
Jedem vierten Restaurant in Frankreich droht die Schließung – mancher Sternekoch geht daher seinen eigenen Weg
Paris. Alexandre Mazzia ist Spitzenkoch mit zwei Sternen im Gastronomieführer Michelin. Seit Beginn des zweiten Lockdowns, seit Ende Oktober, ist sein Restaurant in Marseille geschlossen, doch der passionierte Küchenchef ersann eine andere Möglichkeit, seine Kunden mit raffinierten Gerichten zu beglücken. Er nutzt nun einen Foodtruck, den er in Erinnerung an seinen Großvater „Michel“nannte. „Das ändert nicht viel, egal ob man für ein Restaurant oder einen Imbisswagen kocht“, so der 44-Jährige im Gespräch mit „20 Minutes“. „Die Leidenschaft, die strengen Regeln und die Begeisterung sind dieselben. Das Wichtigste ist, dass man es schafft, wieder nach oben zu kommen.“
Austern to go
Genau das ist die Herausforderung für die rund 200 000 französischen Restaurants und Cafés, die seit Monaten geschlossen sind. Dort, wo sonst die französische Lebensart
zelebriert wird, herrscht traurige Leere, die Küche bleibt kalt. Viele Restaurants haben sich allerdings der neuen Situation angepasst und auf Verkauf außer Haus umgestellt. An den Feiertagen waren sogar die traditionellen Austern und Jakobsmuscheln samt Wein in der Tragetüte zu haben.
„35 Prozent aller Restaurantbesuche zwischen März und Oktober
Haute Cuisine für 36 Euro: das Tagesmenü von Alexandre Mazzia.
konzentrierten sich auf den Abholservice“, erklärte das Marktforschungsinstitut NPD jüngst. Der Anteil des Verkaufs außer Haus verdoppelte sich damit im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die Restaurantbetreiber stellten nach und nach den Betrieb um: Sie setzen auf eine einfachere Küche, spezielle Transportverpackungen für ihr Essen und eine Kommunikation, die hauptsächlich über die sozialen Netzwerke läuft.
Allerdings ändern die neuen Gewohnheiten nichts daran, dass die Restaurants schwer gebeutelt aus der Krise herausgehen. Auf rund 30 Milliarden Euro beziffern Experten die Umsatzverluste allein für das Jahr 2020. Rund ein Viertel der Gaststätten wird wohl, wenn die Pandemie endlich eingedämmt ist, nicht mehr öffnen.
Der Hotellerieverband Umih fordert schon lange eine sofortige Öffnung von Restaurants und Bars. Dieser Vorstoß wurde Anfang Dezember allerdings vom Staatsrat gestoppt. Der zuständige Richter verwies auf eine im Magazin „Nature“veröffentlichte US-Studie, die unter anderem Restaurants als gefährliche Übertragungsorte des Corona-Virus ausmacht. Am 14. Dezember demonstrierten deshalb hunderte Restaurantbesitzer vor dem Invalidendom. „Wir verkörpern die französische Lebensart und wir wehren uns dagegen auszusterben“, so der Umih.
Keine Besserung in Sicht
Die Staatshilfen, die die Restaurantinhaber erhalten, reichen laut Umih nicht aus, um Mieten zu zahlen und Kredite zu bedienen. Eine Wiedereröffnung war eigentlich für den 20. Januar erwartet worden, doch vergangene Woche verschob Regierungschef Jean Castex den Termin: Bis mindestens Mitte Februar müssen die Gaststätten noch geschlossen bleiben.
Freuen dürfte das zumindest die neue Kundschaft von Alexandre Mazzia. „Ich habe noch nie in seinem Restaurant gegessen, deshalb ist das hier die Gelegenheit, seine Küche zu entdecken“, so eine Kundin von Mazzias Foodtruck. „Und das zu einem annehmbaren Preis, denn das Restaurant könnte ich vielleicht nicht bezahlen.“CL