Tempo und Transparenz
Vor zweieinhalb Wochen hat der erste verfügbare Corona-Impfstoff luxemburgischen Boden erreicht. Am Montag trafen weitere Chargen ein. Die verspäteten Weihnachtsgeschenke fallen jedoch mickrig aus: Die erste Lieferung der Hersteller Biontech/Pfizer umfasste nur 9 700 Dosen. Premier Xavier Bettel sah etwas enttäuscht drein, als er die Paketchen am Stephanstag in Empfang nahm. Es ist noch viel Luft nach oben bei der größten Impfkampagne der Geschichte.
Bis 30. Dezember erhielten 1 200 Personen in Luxemburg den schützenden Stich in den Oberarm. Was seit dem Jahreswechsel geschah, blieb bis gestern Abend ein Geheimnis: Auf tagesaktuelle und transparente Impfstatistiken warteten die Bürger bis dato vergeblich. Gut, dass die Santé nun ein tägliches Meldeintervall eingeführt hat. Die bisher bekannten Zielmarken klingen aber wenig ambitioniert: Bis Ende Januar sollen hierzulande 12 000 Personen geimpft werden, Ende März sollen es 36 000 sein. Geht es in diesem gemächlichem Tempo weiter, würden bis Ende des Jahres nur etwa 144 000 Glückliche den ersehnten Pikser erhalten. Auch die große Aufklärungskampagne lässt noch auf sich warten.
Dabei warnen Experten wie der Virologe Claude P. Muller eindringlich vor Verzögerungen bei der Massenimpfung. Nur mit der Impfung könne die „entscheidende Entlastung der Kliniken“gelingen. Die Regierung sollte daher schleunigst einen Zahn zulegen. Wie beim „Large Scale Testing“muss auch beim Impfen die Devise „nicht kleckern, sondern klotzen“gelten.
Aber nicht nur Luxemburg hinkt bei der Verabreichung der Anti-Covid-Spritzen hinterher, auch andere EU-Länder kämpfen mit Startschwierigkeiten. Währenddessen hat Israel im Eiltempo bereits ein Fünftel seiner Bevölkerung vor schlimmen Covid-19-Krankheitsverläufen geschützt. In Europa hingegen liegen sich die Nationalstaaten wegen der aktuellen Vakzin-Engpässe in den Haaren. Brüssel hat die Nachricht (vor allem jene aus Berlin) verstanden und zusätzliche Dosen bei Biontech/Pfizer geordert.
War die EU-Sammelbestellung im Nachhinein ein Fehler? Nein. Ein impfnationalistisches Wettrennen hätte sich fatal ausgewirkt. Man erinnere sich nur an die unsägliche „Materialschlacht“zu Beginn der Krise. Bei einem Luxemburger Alleingang wäre wohl noch kein einziges Fläschchen des rettenden Mittels im Land angekommen – für einen kleinen Markt mit 614 000 Einwohnern plus Grenzgänger hätte wohl kaum ein Pharmaboss Extrawürste gebraten.
Die leidliche Debatte über den holprigen Impfstart wird hoffentlich bald vergessen sein. Im Idealfall könnten bereits im Frühjahr beträchtliche Mengen Impfstoff zur Verfügung stehen – und Impftermine so begehrt werden wie die Rendezvous in den Teststationen.
Noch ist das Corona-Virus nicht besiegt, bis zur Herdenimmunität ist es noch ein weiter Weg. Neue und womöglich deutlich ansteckendere Varianten des Erregers bereiten Forschern große Sorgen. Umso wichtiger, dass die Impfaktion Fahrt aufnimmt und die Verhaltens- und Hygieneregeln weiter eingehalten werden. Was fehlt, ist eine klare, transparente und evidenzbasierte Aufklärung über die Wichtigkeit der Impfung – besser früher als später.
Bei der größten Impfaktion in der Geschichte ist noch viel Luft nach oben.
Kontakt: joerg.tschuertz@wort.lu