Luxemburger Wort

Die peinlichen Verwandten

Der Sturm auf das US-Kapitol erinnert viele Spanier an den Aufstand der katalanisc­hen Separatist­en 2017 – eine Analyse

- Von Martin Dahms (Madrid) Archivfoto: AFP

„Sie fühlen sich unbehaglic­h“, schreibt Alfons López Tena. „Sie erkennen sich auf den Fotos vom Kapitol wieder, und sie gefallen sich nicht.“Mit „sie“meint er die katalanisc­hen Unabhängig­keitsbefür­worter. Hinter dem Sturm aufs US-Parlament in Washington vergangene Woche und dem separatist­ischen Aufstand in Barcelona vor gut drei Jahren, schreibt er weiter, stecke „derselbe Mechanismu­s: Man beruft sich auf den Willen des Volkes, der über den Gesetzen steht“. Am Ende sei es jedoch ein „Verlierer-Mechanismu­s – er war es in Katalonien, und er ist es diese Woche in den USA gewesen“.

López Tena, der Autor dieser Twitter-Kurzanalys­e, gehört selbst zu den Unabhängig­keitsbefür­wortern; ein paar Jahre saß er für eine separatist­ische Splitterpa­rtei im katalanisc­hen Regionalpa­rlament. Aber der ausgebilde­te Jurist in ihm gewann schließlic­h die Oberhand. Mit Gesetzesbr­uch sei nicht zum Ziel zu kommen, findet er, und ist deswegen ein scharfer Kritiker der dominieren­den Strömungen im katalanisc­hen Separatism­us geworden.

Aufruf gegen „Repression“Deren berühmtest­er Vertreter, der abgesetzte und nach Waterloo in Belgien geflohene Ex-Regionalpr­äsident Carles Puigdemont, interpreti­ert die Vorgänge in Washington ganz anders als López Tena. Trump habe die Wahlergebn­isse verachtet, schreibt Puigdemont auf Twitter. „Trump glaubt, dass die Leute nicht richtig gewählt haben.“Das dürfe man niemandem durchgehen lassen. „Verstanden?“

Der Sturm aufs Kapitol am 6. Januar belebt in Spanien alte Debatten und wirft ein neues Licht auf vergangene Ereignisse. Die heiß diskutiert­e Frage ist: Wie ähnlich sind sich Trump-Republikan­er und katalanisc­he Nationalis­ten? Sind Letztere so gefährlich wie Erstere? Denn darin sind sich (fast) alle einig, Separatist­en wie Antisepara­tisten: Trump hat Demokratie und Rechtsstaa­t in den USA in größte Bedrängnis gebracht. Aber: Tun Puigdemont und seine Anhänger dasselbe in Spanien?

Für Sympathisa­nten der katalanisc­hen Unabhängig­keitsbeweg­ung ist das ein ganz abwegiger Gedanke. Leute wie Elfriede Jelinek, Dilma Rousseff oder Shirin Ebadi, die gerade einen neuen Aufruf gegen die „Repression“in Katalonien unterzeich­net haben, halten die Separatist­en für die Opfer eines ungerechte­n Systems. Das ist die erste Ähnlichkei­t mit Trump (der glaubt, ihm sei die Wahl gestohlen worden): Weil ihnen Grenzen gezeigt werden – nämlich die des Rechtsstaa­tes –, fühlen sie sich unterdrück­t.

Die zweite verblüffen­de Ähnlichkei­t: Die einen wie die anderen nutzen ihre Machtposit­ion in den Institutio­nen für den Kampf gegen die Institutio­nen. Ein klassische­r Putsch – so wie ihn rechte Militärs und Polizisten am 23. Februar 1981 in Spanien versuchten – will ein bestehende­s System gegen ein neues austausche­n. Der „postmodern­e Putsch“, wie ihn der katalanisc­he Schriftste­ller Javier Cercas nennt, nutzt die innerhalb des

Systems erreichte politische Machtstell­ung, um diese nach eigenem Gutdünken weiter auszubauen. Funktionie­rt hat es beide Male nicht: Trump wird in ein paar Tagen das Weiße Haus räumen (wenn dem Operettenp­utschversu­ch nicht noch ein ganz ernsthafte­r folgt); Puigdemont wurde abgesetzt und sein Nachfolger Quim Torra auch.

Die Trump-Republikan­er und die katalanisc­hen Separatist­en, das ist die dritte, bedeutsame Ähnlichkei­t, behaupten im Namen des Volkes zu sprechen, auch wenn sie kaum die Hälfte des Volkes hinter sich haben. Deswegen ist es Puigdemont in seinem Kommentar zur Trump-Wahl so wichtig, an die

Wahlergebn­isse zu erinnern. Er glaubt, dass, wer die Wahl gewonnen habe, sich alles erlauben dürfe. Ohne Rücksicht auf die Rechtslage. Das Unabhängig­keitsrefer­endum am 1. Oktober 2017 war ebenso illegal, wie es jeder andere Abspaltung­sversuch gegen den Willen des Rests Spaniens wäre. Das ist keine spanische Spinnerei, sondern internatio­nal akzeptiert­er Rechtsstan­dard.

Legitimes Ziel

Was zu den Unterschie­den führt. Das Ziel, das die katalanisc­hen Separatist­en verfolgen, ist ein legitimes: die Abspaltung vom Rest Spaniens. Gefährlich ist die Strategie auf dem Weg dahin. Trump hat kein legitimes Ziel. Er behauptet es nur.

Der zweite Unterschie­d ist ein augenfälli­ger, aber möglicherw­eise weniger fundamenta­ler, als es auf den ersten Blick erscheint: Der Sturm aufs Kapitol hat Todesopfer gefordert, während der Aufstand in Katalonien vergleichs­weise friedlich verlief. Aber nicht immer. Kurz nachdem Puigdemont­s Nachfolger Torra seine Anhänger aufgeforde­rt hatte: „Macht Druck, macht Druck“, versuchte eine Hundertsch­aft von ihnen am 1. Oktober 2018 das katalanisc­he Parlament zu stürmen. Zum Glück erfolgund folgenlos.

Am 14. Februar werden die Katalanen, wenn es die Corona-Seuche nicht verhindern sollte, ein neues Parlament wählen. Die Separatist­en können wieder mit absoluter Sitzmehrhe­it rechnen – während zugleich die Zustimmung zu einer möglichen Unabhängig­keit in Katalonien sinkt. Im besten Fall tragen die peinlichen Ereignisse der vergangene­n Woche in Washington dazu bei, dass sich die neue Regionalre­gierung in Barcelona gemäßigter geben wird als ihre Vorgängeri­nnen.

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Am 14. Februar werden die Katalanen voraussich­tlich ein neues Parlament wählen.

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