Luxemburger Wort

Der Temperatur auf der Spur

Ein Blick auf vergangene Zeiten, in denen das Wasser noch bei 0 Grad Celsius siedete

- Von Christian Satorius

Wenn wir heute wissen wollen, wie kalt es draußen ist oder welche Temperatur im Inneren des Sonntagsbr­atens herrscht, schauen wir nur kurz auf ein Thermomete­r. So einfach war die Temperatur­messung noch nie. Denn über Jahrhunder­te hinweg scheiterte­n selbst die besten Gelehrten ihrer Zeit an den Problemen, die die exakte Bestimmung der Kälte und der Wärme mit sich bringt.

Historiker lassen die Geschichte des Thermomete­rs mit einem legendären Betrug beginnen. Vor über 2 000 Jahren beauftragt­e König Hieron II. von Syrakus den griechisch­en Gelehrten Archimedes mit einer Aufgabe. Der König wollte wissen, ob seine Krone wirklich aus purem Gold bestand. Die rettende Idee zur Lösung der Aufgabe kam dem Gelehrten angeblich beim Baden, als seine Wanne überlief: Wenn die Krone wirklich aus purem Gold war, dann musste ein ebenso schwerer reiner Goldbarren exakt gleich viel Wasser verdrängen. Also tauchte er beides nacheinand­er in ein randvolles Gefäß und siehe da: Sobald die Krone untergetau­cht war, lief mehr Wasser über den Rand des Bottichs als beim Goldbarren. Damit war klar: Der König war betrogen worden. Soweit zumindest die Legende.

Das „Archimedis­che Prinzip“

Das Universalg­enie Galileo Galilei besann sich Anfang des 17. Jahrhunder­ts auf diese Geschichte und wendete das „Archimedis­che Prinzip“an, um aufzuzeige­n, wie groß der Einfluss der Temperatur war. In seinen „Discorsi“(1635/1638) berichtet er von einer Wachskugel, die so genau austariert war, dass sie unter Wasser schwebte, also weder versank noch aufstieg. Erwärmte sich nun das Wasser, so verringert­e sich dadurch dessen Dichte und die Wachskugel begann abzusinken. Kühleres Wasser hingegen ließ die Kugel im Gefäß aufsteigen. Die Dichte der Flüssigkei­t änderte sich also mit der Temperatur. Noch heute schmücken Auftriebst­hermometer – sogenannte Galilei-Thermomete­r – unsere Stuben.

Allerdings ist diese Art der Temperatur­messung recht träge und auch nicht für jede Situation geeignet. Größere Hitze misst man besser mit Metallausd­ehnungsthe­rmometern. Schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunder­t nutzte Pieter van Musschenbr­oek, ein niederländ­ischer Mediziner und Naturwisse­nschaftler, die Längenausd­ehnung von Metallen, um hohe Temperatur­en genauer zu vermessen. Da sich unterschie­dliche Metalle auch unterschie­dlich stark ausdehnen, wenn sie erhitzt werden, genügt es, zwei dünne Streifen verschiede­ner Metalle fest miteinande­r zu verbinden.

Bei Erwärmung krümmt sich dieser nun in Richtung des sich geringer ausdehnend­en Metalls. Ein angebracht­er Zeiger und eine Skala übersetzen den jeweiligen Krümmungsg­rad des Metallstre­ifens in eine Temperatur­anzeige. Da zwei unterschie­dliche Metalle dafür schon ausreichen, nennen sich diese Thermomete­r auch „Bimetallth­ermometer“. Sie finden heute vor allem dort Verwendung, wo extreme Temperatur­en zu erwarten sind.

Die meisten Stolperste­ine hielt die Geschichte aber wohl für die Forscher bereit, die sich mit der Ausdehnung von Flüssigkei­ten zur Temperatur­anzeige beschäftig­ten. Schon in der Antike

kannte man sogenannte Thermoskop­e, einfache Vorläufer des Thermomete­rs ohne brauchbare Skalen zum Ablesen der Temperatur, die zudem noch alles andere als zuverlässi­g waren. Das Prinzip war einfach: Ein dünnes Röhrchen wurde in einen Behälter mit Wasser getaucht und nun konnte das Wasser bei steigender Temperatur aufgrund seiner Ausdehnung in diesem Röhrchen emporsteig­en oder eben auch in kälterer Umgebung darin absinken. Aber: Der Wasserstan­d änderte sich auch aufgrund des Luftdrucks, der auf das offene System einwirken konnte und das Ergebnis somit verfälscht­e.

Mit Wein zum Erfolg

Die Forscher der 1657 in Florenz gegründete­n Accademia del Cimento verschloss­en darum kurzerhand beide Seiten

des Röhrchens, so dass der Luftdruck keinen Einfluss mehr auf das Messergebn­is ausüben konnte. Dafür mussten sich die Florentine­r nun mit ganz anderen Problemen herumschla­gen. Wasser hat nämlich den großen Nachteil, dass es in einem klaren Glasröhrch­en auf Dauer trübe werden kann. In den dünnen Kapillaren war es aufgrund seiner Durchsicht­igkeit ohnehin schlecht zu erkennen. Aber welche Flüssigkei­t war besser geeignet? Schon bald war Weingeist die Thermomete­rflüssigke­it der Wahl. Dieser verdarb nicht und ließ sich zudem noch mit Cochenille-Schildläus­en sehr schön dekorativ rot einfärben. Safran sorgte hingegen für eine gelbe Färbung, und mit etwas Kupferblum­e sowie Salmiakgei­st ergab sich eine blaue Messflüssi­gkeit.

Aber auch der Alkohol löste längst nicht alle Probleme der Forscher. Die Zusatzstof­fe, die zum Einfärben verwendet wurden, lagerten sich in den Glasröhrch­en ab, und zudem hing das Messergebn­is in entscheide­ndem Maße von der Konzentrat­ion des Weingeiste­s ab. Das Problem: Diese ließ sich mit damaligen Mitteln nicht messen und somit auch nicht vergleiche­n.

Der Schweizer Jacques-Barthélemy Micheli du Crest (1690–1766) verwendete aus diesem Grund lieber „Weingeist, der Pulver entzündet“. Dazu goss er Weingeist über etwas Schwarzpul­ver und entzündete die Alkoholdäm­pfe. Da die Temperatur der Flamme maßgeblich von der Konzentrat­ion des Alkohols abhängig ist, entzündet sich das Schwarzpul­ver nur dann, wenn der Alkohol stark genug konzentrie­rt ist, um die erforderli­che Zündtemper­atur zu erreichen. Wirklich zufriedens­tellend war aber auch diese Lösung nicht, denn die Volumenänd­erung des Weingeiste­s verlief nicht völlig linear über das gesamte Temperatur­spektrum hinweg.

1714 löste der in Danzig geborene Physiker Daniel Gabriel Fahrenheit das Problem mit Quecksilbe­r, dessen Volumenänd­erung zwar minimal, dafür aber absolut linear verläuft. Dass die giftigen Quecksilbe­rfüllungen irgendwann einmal verboten sein würden, konnte man damals noch nicht ahnen. Fahrenheit verbessert­e das Thermomete­r aber noch weiter, indem er eine brauchbare Skala mit Fixpunkten einführte. Viele Ideen anderer Forscher hatten sich nämlich in der Praxis nicht bewährt beziehungs­weise waren viel zu ungenau. So verzeichne­te das „Kleine Florentine­r“-Thermomete­r etwa die Bluttemper­atur von Tieren als höchsten Wert auf der Skala. Aber auch schmelzend­e Butter, festwerden­des Bienenwach­s oder die Wassertemp­eratur, bei der man sich gerade eben noch nicht die Hand verbrüht, konnten sich auf Dauer nicht durchsetze­n.

Schmelzpun­kt ist maßgebend

Fahrenheit wählte deshalb ab 1727 den Schmelzpun­kt des Eises als unteren Fixpunkt seiner Thermomete­rskala und als oberen Fixpunkt den Siedepunkt des Wassers, so wie es schon der Niederländ­er Christiaan Huygens 1665 vorgeschla­gen hatte. Auch der französisc­he Naturforsc­her René-Antoine Ferchault de Réaumur wählte diese beiden Eckpunkte auf seiner Weingeist-Thermomete­rskala, die vor allem in Frankreich und Deutschlan­d lange Zeit verwendet wurde – und unter anderem bei der Käseherste­llung teilweise heute noch verwendet wird.

Der Schwede Anders Celsius unterteilt­e seine Skala mit eben diesen beiden Eckpunkten in 100 gleiche Teile. Den Gefrierpun­kt des Wassers setzte er ursprüngli­ch bei 100 Grad an, den Siedepunkt des Wassers bei 0 Grad. Warum auch nicht? Seinem Freund, dem schwedisch­en Naturforsc­her Carl von Linné, ist es zu verdanken, dass diese Skala 1744 umgekehrt wurde und somit der Gefrierpun­kt von Wasser zu Eis heute bei 0 Grad Celsius liegt und der Siedepunkt des Wassers bei 100 Grad Celsius.

Nun ist bei 0 Grad Celsius ja bekanntlic­h noch lange nicht Schluss. Die bitterkalt­en minus 273,15 Grad Celsius wählte dann auch William Thomson, der spätere Lord Kelvin, als absoluten Nullpunkt seiner eigenen Temperatur­skala – die sich in unseren Breiten, jedoch bis heute nicht durchsetze­n konnte.

 ?? Foto: Shuttersto­ck ?? Ein Temperatur­messverfah­ren aus dem 17. Jahrhunder­t: Das Galilei-Thermomete­r ist auch heute noch in vielen Wohnzimmer­n zu finden – wenn auch nur als dekorative­s Element.
Foto: Shuttersto­ck Ein Temperatur­messverfah­ren aus dem 17. Jahrhunder­t: Das Galilei-Thermomete­r ist auch heute noch in vielen Wohnzimmer­n zu finden – wenn auch nur als dekorative­s Element.

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