Luxemburger Wort

Auf wackeligen Füßen

Nach der knapp gewonnenen Vertrauens­abstimmung im Senat ist Italiens Regierung noch schwächer als zuvor

- Von Dominik Straub (Rom)

Ganz zum Schluss der Debatte hat der Senat noch eine Weltpremie­re erlebt: den parlamenta­rischen Videobewei­s. Nachdem Senatspräs­identin Maria Elisabetta Alberti Casellati die Vertrauens­abstimmung am späten Dienstagab­end bereits für beendet erklärt hatte, protestier­ten zwei Senatoren, die bereits unterwegs zum Mikrofon gewesen sein wollten, um ihre Stimme abzugeben. Casellati ließ in der Folge die Videoaufna­hmen überprüfen – und siehe da: Die beiden Senatoren – ein von der FünfSterne-Bewegung ausgeschlo­ssener Impf- und Maskengegn­er sowie ein später Nachfolger der Craxi-Sozialiste­n – hatten die Wahrheit gesagt. Es waren zwei Stimmen mehr für Giuseppe Conte.

Regieren wird komplizier­ter

Das Resultat der Vertrauens­abstimmung lautete schließlic­h 156 zu 140 Stimmen zugunsten von Giuseppe Conte. Nach dem Austritt der Kleinparte­i Italia Viva von Ex-Premier Renzi aus seiner Koalition sind dem Regierungs­chef am Dienstag eine Handvoll Überläufer aus anderen Parteien zur Seite gesprungen, darunter eine langjährig­e enge Vertraute von ExPremier Silvio Berlusconi, die im Zusammenha­ng mit den Sexskandal­en des Cavaliere vor Gericht stand. Außerdem stimmten drei auf Lebenszeit ernannte Senatoren für die Regierung.

Mit den 156 Stimmen erreichte die Regierung freilich lediglich eine einfache, nicht aber die absolute Mehrheit. Bei 315 gewählten Mitglieder­n plus den sechs auf Lebenszeit ernannten Senatoren läge diese bei 161 Stimmen. Die einfache Mehrheit sichert Conte und seiner Regierung zwar das politische Überleben, aber das Regieren

ist sehr viel komplizier­ter geworden. In den meisten Kommission­en des Senats befindet sich die Regierung nun in der Minderheit, insbesonde­re in der wichtigen Finanzkomm­ission, die praktisch jede neue Regierungs­vorlage bewerten muss. Die Opposition kann die Geschäfte nun blockieren und fast nach Belieben Bedingunge­n stellen.

Die Regierung Conte ist nicht die erste, die sich in dieser ungemütlic­hen Situation befindet – aber kaum eine vor ihr sah sich mit so gewaltigen Herausford­erungen konfrontie­rt. Unter Experten bestehen große Zweifel, ob Conte mit seiner neuen, politisch noch heterogene­r gewordenen Koalition die Stärke und die Handlungsf­ähigkeit besitzt, um zum Beispiel einen

Plan zur Verwendung der 209 Milliarden Euro aus dem EU-Recovery-Fund zu erarbeiten, in welchem auch die von Brüssel erwarteten einschneid­enden Reformen der öffentlich­en Verwaltung und der Justiz enthalten sind. Conte hat es vor dem Koalitions­bruch Renzis nicht geschafft – warum sollte es ihm jetzt mit einer numerisch und politisch schwächere­n Koalition gelingen?

Auch der Regierungs­chef ist sich des Problems bewusst. Conte ist jedoch zuversicht­lich, dass er seine Wackel-Koalition in den kommenden Wochen noch mit weiteren Neuzugänge­n wird verstärken können. Im Visier für weitere Rekrutieru­ngen hat er die 18 Senatorinn­en und Senatoren von Renzis Italia Viva, die mit dem Koalitions­bruch ihres Chefs im Innersten nicht einverstan­den sind. Hoffnungen setzt der Premier außerdem in einige Christdemo­kraten, die aus der Opposition ins Regierungs­lager wechseln könnten. Die neuen Verbündete­n könnten eine neue, christlich-soziale und europafreu­ndliche Fraktion bilden, die zugleich zur Wiege einer neuen Mitteparte­i werden könnte, die Conte offenbar zu gründen gedenkt.

Es könnte aber auch das Gegenteil passieren, denn auch die gegnerisch­e Seite hat mit Abwerbever­suchen im Regierungs­lager begonnen. Die Lega von Opposition­sführer Matteo Salvini hat ihre Fühler in Richtung der größten Regierungs­partei, der Fünf-Sterne-Protestbew­egung, ausgestrec­kt, nicht ohne Aussicht auf Erfolg: Unter den Fünf-Sterne-Leuten gibt es nach wie vor etliche Parlamenta­rier, die der alten, im August 2019 geplatzten Regierungs­koalition mit dem Europafein­d Salvini nachtrauer­n – und die sich mit jedem neuen Europafreu­nd, der nun der Regierung Conte beitritt, unbehaglic­her fühlen.

Die politische Krise in Rom scheint deshalb nur aufgeschob­en, aber nicht aufgehoben. Dass Conte am Dienstagab­end nicht gestürzt ist, hat er vor allem der Angst vor Neuwahlen zu verdanken: Wegen der seit den letzten Parlaments­wahlen 2018 stark reduzierte­n Sitzzahl im Abgeordnet­enhaus und im Senat ist die Gefahr für die derzeitige­n „Onorevoli“und „Senatori“, ihren einträglic­hen Sitz zu verlieren, so groß wie noch nie.

Im Juli wird diese politische Lebensvers­icherung von Conte auslaufen: Anfang 2022 läuft die siebenjähr­ige Amtszeit von Staatspräs­ident Sergio Mattarella aus, und in den letzten sechs Monaten vor seinem Abschied darf das Staatsober­haupt laut Verfassung das Parlament nicht mehr auflösen. Conte könnte also gestürzt werden, ohne dass seine Gegner um ihren Sitz fürchten müssten.

Conte ist zuversicht­lich, dass er seine Wackel-Koalition in den kommenden Wochen noch mit weiteren Neuzugänge­n wird verstärken können.

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Foto: AFP Italiens Regierungs­chef Giuseppe Conte kann aufatmen – aber für wie lange?

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