Vergesst die Übersetzer nicht
Rückblick auf der 14. Ausgabe vom Primeurs, dem grenzüberschreitenden Festival für frankophone Gegenwartsdramatik
Aus Kanada, Frankreich und der Schweiz stammen die Autoren, deren Stücke beim Primeurs zum in diesem Jahr ersten Mal in deutscher Übersetzung präsentiert wurden. An vier Tagen im November 2020 sollte das grenzüberschreitende Festival stattfinden, doch wegen der Schließung der Theater mussten die geplanten Aufführungen mit Blick auf ihre Wirkung auf die Zuschauer, die ja nun zuhause vor ihren Bildschirmen sitzen, überarbeitet werden. Jede Woche wurde dann eine der sechs Arbeiten auf der Seite des Festivals online gestellt. Dabei kooperierten das Le Carreau – Scène Nationale de Forbach et de l'Est mosellan, das Institut Français Saarbrücken, der Saarländische Rundfunk über das SR 2 Kulturradio und das Saarländische Staatstheater.
Das Publikum von Primeurs war schon immer aufgeschlossen für Theaterexperimente, ist es doch das Ziel des Festivals, ungewohnte Wege der Präsentation zu gehen: In szenischen Lesungen und Werkstattinszenierungen werden noch nicht bis zur Perfektion geprobte Stücke gezeigt, um so möglichst viele Autoren zu Wort kommen zu lassen. Auch bei der wochenlangen Online-Version haben die Fans ihrem Festival die Treue gehalten, neue Zuschauer wird man aber ohne den Event-Charakter mehrerer Theaterabende schwer gewinnen können.
Blick nach Kanada
Auch ohne Bühnenatmosphäre und die sonst üblichen Diskussionen
mit den Autoren konnten die Arbeiten zum großen Teil das ferne Publikum in ihren Bann ziehen. Keine leichte Aufgabe für die Jury, in der auch Anne Legill aus der Direktion der Théâtres de la Ville de Luxembourg vertreten war, einen Sieger zu küren.
Der in Québec lebende und auf Französisch publizierende Dramatiker Olivier Choinière wurde schließlich für sein Stück „Manifest der Jungen Frau“/ „Manifeste de la Jeune-Fille“mit dem Autorenpreis (3000 Euro) geehrt. Schon seit Jahren pflegt das Festival gute Beziehungen zu frankophonen Schriftstellern in Kanada, von denen mehrere in den vergangenen Jahren in Saarbrücken zu Gast waren, auch Choinière schon. Außer ihm vertrat dieses Mal noch David Paquet die kanadische Frankophonie.
Vom belanglosen „Geht's gut?“bis zum verschwörerischen „einen Aufstand machen?“äußert sie sich pausenlos, einem Vulkanausbruch gleich bricht Satz für Satz aus ihr heraus, aber „die Junge Frau“ist nicht allein – das sind Viele, dargestellt von sieben Männern und Frauen. Pro steht da neben Contra, Krieg neben Mode oder Ernährung. In unserer unübersichtlichen, komplexen Welt mit den ständig auf uns niederprasselnden Ideen, Informationen und Phrasen beschreibt Choinière einen ratlos herumschwankenden Menschen mit Hang zur Aggressivität.
Konnte ein derart vielschichtiges Stück mit verschiedenen Sprachebenen, Bildern und Wortspielen so aus dem Französischen übertragen werden, dass ein deutsches Publikum die Intentionen des Autors nachvollziehen kann? Die Bedeutung der Übersetzerarbeit für den Erfolg eines Werkes wird von Primeurs mit einem Preis (1000 Euro) gewürdigt. Dieses Mal wurde er geteilt: Hinrich SchmidtHenkel wurde für die „kongeniale Übersetzung“
Arbeit belohnt.
Eine schwierige Aufgabe zu meistern hatte auch Franziska Baur, die andere Preisträgerin, mit der Übertragung von „Phantomschmerz“/ „France Fantôme“, einem düsteren Science-FictionDrama der französischen Schauspielerin und Dramatikerin Tiphaine Raffier. Empfindsame Passagen einer verzweifelten Frau – in der Videoaufzeichnung in eindrucksvollen Großaufnahmen dargestellt – wechseln mit technologischen Sequenzen eines autoritären Staates, der sich der Erinnerungen der Menschen bemächtigen will. Wie sich Wut und Verzweiflung in unerhörte Gewalt entladen – auch mithilfe eines Benzinkanisters – zeigt „Mehr gibt's nicht zu sagen“/ „Et y a rien de plus à dire“des Franzosen Thierry Simon, bereichert mit Illustrationen im Stil der Graphic Novel. Das zweisprachige Stück beeindruckt durch authentische Sprache und saloppes Spiel der Schauspielerinnen. Produziert wurde es von Le Carreau – Scène nationale de Forbach.
„Das Glück ist wie ein Schlüssel, wenn er verloren ist, steht man draußen“, heißt es in „Feuersturm“/ „Le Brasier“des Kanadiers David Paquet. In seinem Hörspiel schildert er eine Familiengeschichte, in der sich das Unglück wie ein Fluch durch die Generationen fortsetzt.
Fast verdurstet durch Wüsten oder geächtet in Städten – die in der Schweiz lebende Julie Gilbert findet packende Bilder für das Leid von Migranten in „Wutströme“/ „Outrages ordinaires“.
www.festivalprimeurs.eu von
Choinières