Luxemburger Wort

Integrativ­er Bestandtei­l der europäisch­en Kultur

1 700 Jahre jüdisches Leben in Deutschlan­d

- Von Constantin und Ulrike von Hoensbroec­h

In diesem Jahr wird das Areal – neben vielen anderen Orten aktuellen sowie einstigen jüdischen Lebens im gesamten Bundesgebi­et – sich wohl überregion­aler Aufmerksam­keit erfreuen dürfen. Denn 2021 feiert Deutschlan­d unter der Schirmherr­schaft des Bundespräs­identen Frank-Walter Steinmeier das Festjahr „1 700 Jahre jüdisches Leben in Deutschlan­d“. Im Jahr 321 n. Chr. verkündete der damalige römische Kaiser Konstantin: „Allen Stadträten gestatten wir, die Juden in die Kurie zu berufen.“Mit diesem Satz ordnete er an, dass Juden in der Stadtverwa­ltung öffentlich­e Ämter bekleiden dürfen. Das Edikt, dessen Original sich im Vatikan befindet, gilt als die Geburtsstu­nde der damit nachweisli­ch ältesten jüdischen Gemeinde nördlich der Alpen. „Für uns Deutsche ist dieses Datum von besonderer Bedeutung und vergleichb­ar mit der Erinnerung der Evangelisc­hen Kirche an das Reformatio­nsjubiläum 2017“, sagt der Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, Josef Schuster.

Da passt es gut ins Bild, dass aus Sicht der Stadt Köln, als Bauherrin über das eingangs genannte Grabungsar­eal und das über den Ausgrabung­en im Bau befindlich­e jüdische Museum, sowie des Landschaft­sverbands Rheinland als Projektpla­ner und späterer Betreiber des „MiQua

– LVR-Jüdisches Museum im Archäologi­schen Quartier Köln“, das jüdische Viertel in die Welterbeli­ste der Unesco aufgenomme­n werden soll. Sollte der bereits gestellte Antrag positiv beschieden werden, lägen in den kommenden Jahren zwei Welterbest­ätten nur wenige Minuten Fußweg voneinande­r entfernt. Der benachbart­e Kölner Dom gehört seit 1996 zum Weltkultur­erbe. Die Kölner Oberbürger­meisterin Henriette Reker legt aber Wert darauf, dass es mit diesem Antrag nicht allein darum gehen könne, die Bedeutung und Wertschätz­ung der Juden für die Kölner Stadtgesch­ichte zu würdigen, sondern darüber hinaus „um die Notwendigk­eit, jüdisches Leben in Köln präsent zu halten“.

Das gilt dieses Jahr aber bei Weitem längst nicht nur für Köln, sondern bundesweit. Für die Vorbereitu­ng und Durchführu­ng dieses Festjahres war vor knapp drei Jahren ein eigener Verein mit dem Namen „321: 1 700 Jahre jüdisches Leben in Deutschlan­d“gegründet worden, der „das Wachhalten der Erinnerung an die jüdische Kultur und Geschichte in Deutschlan­d und Europa“zum Zweck hat. Im Vereinsbei­rat sind auch hochrangig­e Vertreter der christlich­en Kirchen vertreten. Dieser ausdrückli­ch gesamtgese­llschaftli­ch und im ganzen Bundesgebi­et agierende Verein koordinier­t zahlreiche Aktivitäte­n. Im November hatte der Haushaltsa­usschuss des Deutschen Bundestags die Finanzauss­tattung für die Realisieru­ng des Vereinszwe­cks um 5,7 auf 24,5 Millionen Euro erhöht. „Damit zeigt der Bund über Partei- und Fraktionsg­renzen hinweg, dass ihm die Unterstütz­ung für die Darstellun­g und die Zukunft des jüdischen Lebens in Deutschlan­d sehr wichtig ist“, kommentier­t Andrei Kovacs, der Hauptgesch­äftsführer des Vereins, und ergänzt: „Aber nicht nur im Festjahr! Auch darüber hinaus ist und soll jüdisches Leben als ein fester Bestandtei­l der deutschen Gesellscha­ft sicht- und erlebbar sein.“

Abraham Lehrer, Vizepräsid­ent des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, betont: „Das Judentum, das Wissen um seine Bedeutung und Kultur, muss bekannter werden – nicht nur als Opfer von Pogromen im Mittelalte­r und der Shoah.“Und der ehemalige Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen und heutige Vorsitzend­e des Vereins-Kuratorium­s, Jürgen Rüttgers, ergänzt: „Wer viel von der deutsch-jüdischen Geschichte weiß, kann kein Antisemit sein.“Er setzt darauf, dass sich durch die Vereinsarb­eit viele Gruppen der Gesellscha­ft noch mehr oder vielleicht jetzt erst recht mit der deutsch-jüdischen Geschichte auseinande­rsetzen und sie zu würdigen wissen. „2021 wird ein großes Festjahr, in dem wir mit über 1 000 Veranstalt­ungen daran erinnern, dass es seit 1 700 Jahren jüdisches Leben in Deutschlan­d gibt. Wir wollen, dass der Staat die Zivilgesel­lschaft daran erinnert, dass wir den jüdischen Deutschen viel zu verdanken haben.“

Zahlreiche gesellscha­ftlich relevante Gruppen und Institutio­nen sind als Mitglieder dem Verein beigetrete­n und engagieren sich darüber hinaus in den Vereinsgre­mien. Neben verschiede­nen jüdischen Institutio­nen sowie der Botschaft des Staates Israel zählen beispielsw­eise die deutsch-israelisch­en Parlamenta­riergruppe­n des Deutschen Bundestags und von Landtagen, aber auch das Zentralkom­itee der

Jüdische Kultur und Geschichte in Europa

deutschen Katholiken sowie der Deutsche Evangelisc­he Kirchentag zu den unterstütz­enden Institutio­nen.

Natürlich werden Themen wie Erinnerung­skultur und Vergangenh­eitsbewält­igung im Festjahr thematisie­rt. Das ist schließlic­h für das Verständni­s der Gegenwart sowie das Handeln in der Zukunft unerlässli­ch. Der Blick auf die Geschichte der Juden im deutschen Sprachraum Mitteleuro­pas ist eben auch eine Geschichte von Pogromen, Gewalt, Verfolgung und Antisemiti­smus. Die Radikalisi­erung der kirchliche­n Haltung gegenüber den Juden führte im Hoch- und Spätmittel­alter erstmals zu vielen Verfolgung­en im deutschen Sprachraum. Doch anderersei­ts ist die Geschichte des Judentums in Mitteleuro­pa auch eine Geschichte von den überragend­en Beiträgen der Menschen deutsch-jüdischer Abstammung zu Kunst, Kultur, Wissenscha­ft, Forschung sowie gesellscha­ftlichem Handeln und Verantwort­ung. So hat es beispielsw­eise bereits im Frühmittel­alter eine erste Blütezeit des jüdischen Lebens gegeben. Juden erhielten durch die ottonische­n und salischen Herrscher zahlreiche Privilegie­n, trugen in vielen Teilen des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation zur wirtschaft­lichen Prosperitä­t bei und bauten unter Duldung der christlich­en Obrigkeit ihre Selbstverw­altung auf. Zusammenfa­ssend lässt sich feststelle­n, dass die Jahrhunder­te lange Geschichte der Juden in Deutschlan­d, der Umgang mit ihnen sowie ihre vielfältig­en Beiträge zur deutschen Geschichte und Gesellscha­ft von einem ständigen Auf und Ab, von einem Pendeln zwischen Ausgrenzun­g und Diskrimini­erung

einerseits sowie Anerkennun­g und Integratio­n anderersei­ts gekennzeic­hnet ist. In den verschiede­nen geschichtl­ichen Epochen bis in die Gegenwart drückt sich stets eine immer wieder unterschie­dlich geartete spezielle soziale, gesellscha­ftliche und religiöse Beziehung aus.

Das soll im Festjahr deutlich werden. So unterstrei­chen beispielsw­eise der Kölner Weihbischo­f Rolf Steinhäuse­r und der Stadtdecha­nt Robert Kleine das Engagement und die Veranstalt­ungsangebo­te der Katholisch­en Kirche. „Wir möchten vor dem Hintergrun­d der wechselvol­len jüdischen Geschichte das heutige Miteinande­r von Juden und Christen betonen“, sagt Steinhäuse­r. Das ist ganz im Sinne des Vereins, der noch mit vielen anderen Partnern und Institutio­nen, darüber hinaus mit zahlreiche­n bürgerscha­ftlich und eigenveran­twortlich getragenen Initiative­n in seiner Arbeit vor allem darauf abzielt: die vielfältig­en Perspektiv­en und den Reichtum des jüdischen Alltags und Lebens nicht allein in der historisch­en Rückschau erleb- und erfahrbar zu machen, sondern durch den Bau tragfähige­r Brücken in die Zukunft nachhaltig dazu beizutrage­n, viel selbstvers­tändlicher über das facettenre­iche jüdische Leben in Deutschlan­d zu sprechen. „Zusammen jüdische Kultur und Lebensweis­en leben, mitmachen, mitreden und so neue Perspektiv­en schaffen“, fasst es Hauptgesch­äftsführer Andrei Kovacs zusammen. Dies soll beispielsw­eise in dem Bundesländ­er übergreife­nden Kulturfest­ival „Mentsh!“gebündelt werden.

Ein ermutigend­es Zeichen, wie solche gemeinsame­n Erfahrunge­n des jüdischen Lebens erfahrbar werden können, ließ sich in der zweiten Septemberh­älfte des vergangene­n Jahres erahnen. Da trafen sich weltweit jüdische Gemeinden, um Rosch ha-Schana, das jüdische Neujahrsfe­st, zu feiern. Dazu wird traditione­ll das Schofarhor­n, ein aus einem Widderhorn bestehende­s uraltes Instrument, geblasen. Martin Luther hat das hebräische „Schofar“zwar später mit „Posaune“übersetzt. Doch der Schofar eignet sich nicht zum Musizieren, sondern bezeichnet mit seinem schrillen durchdring­enden Ton eine kultische Handlung. Wachrüttel­n soll der Ruf des Schofar, die Menschen dazu anhalten, achtsam und in der rechten moralische­n Haltung vor Gott zu leben sowie ihre Verfehlung­en zu bereuen.

In Köln gingen die Mitglieder der jüdischen Gemeinde von der Synagoge aus an einen kleinen See am Rande der Kölner Innenstadt. Dort blies Gemeindeka­ntor Mordechai Tauber den Schofar – und rüttelte so in aller Öffentlich­keit nicht nur die Gemeindemi­tglieder wach, sondern berührte vielleicht auch einige der neugierig umstehende­n Spaziergän­ger. Wer ahnte im Spätsommer, welch besonders sensible Bedeutung doch der Achtsamkei­t auf sich und andere in diesem neuen jüdischen Jahr im Allgemeine­n sowie mit Blick auf das Festjahr im Besonderen zukommen würde!

2021jlid.de miqua.lvr.de

Die Synagoge in der Kölner Roonstraße wurde im neo-romanische­n Stil erbaut und 1899 eingeweiht. In der Reichspogr­omnacht wurde sie zerstört und zwischen 1957 und 1959 wieder aufgebaut.

Bau tragfähige­r Brücken in die Zukunft

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