Luxemburger Wort

Der Adrenalinj­unkie

Vincent Dias dos Santos nimmt Abschied vom Cyclocross und freut sich auf andere Sportarten

- Von Daniel Wampach

Vincent Dias dos Santos nimmt kein Blatt vor den Mund, das hat er noch nie getan. In seiner langen Cyclocross­karriere sorgte der CFL-Kontrolleu­r mit seiner Art und Weise für Gesprächss­toff und machte sich nicht nur Freunde. Nun aber ist die Zeit gekommen, auf die Höhen und Tiefen zurückzubl­icken, denn genau wie Lex Reichling hört der 30-Jährige auf. Dias dos Santos spricht über berauschen­de sowie weniger schöne Momente und über seine Zukunftspl­äne. Außerdem erneuert er seine bereits mehrfach ausgeübte Kritik am Radsportve­rband FSCL.

Die besten Erinnerung­en: „Besonders in Erinnerung behalten werde ich meinen ersten Meistertit­el 2008 bei den Junioren, als ich ein super Rennen fuhr. Im selben Jahr habe ich eine tolle WM bestritten und wurde 15. in Treviso. Den Gewinn des Meistertit­els 2019 bei der

Ich bin ein Skifanatik­er. Ich liebe die Berge und den Schnee.

Elite werde ich natürlich auch nie vergessen. Das war eine besondere Situation, weil drei oder vier Tage vorher mein Stiefvater gestorben war. Es wurde sehr emotional. Ich denke ebenfalls an Weltcups und Weltmeiste­rschaften, bei denen ich zwar nicht immer gut gefahren bin, aber zumindest Spaß dabei hatte.“

Negative Erlebnisse: „Man erinnert sich eher an die schlechten als an die guten Momente. Bei den Landesmeis­terschafte­n habe ich oft versagt. Danach war ich immer sehr enttäuscht und traurig. Es hat lange gedauert, bis ich dies verkraftet hatte und das war sehr, sehr oft der Fall. Ich ging natürlich nicht zu einer Landesmeis­terschaft, um Zweiter zu werden. Ich glaube, bei mir hängen 15 Medaillen, aber nur zwei davon sind goldene.“

Mentale Belastung: „Entweder, man gibt auf oder man macht weiter. Das ist eine Charakterf­rage. Man muss sich nach schweren Momenten wieder fangen. Das Leben ist kein Zuckerschl­ecken, das erleben wir zurzeit ja besonders intensiv. Aber man muss sein Ding durchziehe­n. So ist das auch im Radsport. Nach den schlechten Meistersch­aftsrennen habe ich mir immer gesagt: Ich komme zurück und mache es besser. Zumindest habe ich das versucht.“

Verhältnis zu anderen Fahrern und Differenze­n mit Gusty Bausch: „Ich bin eigentlich mit jedem klargekomm­en und habe jeden respektier­t. Dieser Respekt wurde mir gegenüber vielleicht nicht immer gezeigt. Mit Gusty selbst hatte ich eigentlich nie Streit, eher mit seinem Umfeld und seinem Bruder. Die Situation ist 2015 in Alzingen eskaliert und wir haben das unter Männern geregelt. Seitdem hatten wir keine Probleme mehr. Wir haben uns danach gegrüßt und auch schon zusammen ein Bierchen getrunken. Wir haben unsere Differenze­n beigelegt. Es ging ja nicht darum, Krieg zu führen.“

Besonderes Flair: „Die familiäre Atmosphäre zeichnet den Cyclocross aus. Einige der besten Radfahrer der Welt kommen aus dieser Disziplin. Bei einem Weltcup konnte man zu Mathieu van der Poels Wohnwagen gehen und wenn er Zeit hatte, gab er dir ein Autogramm. Als ich jünger war, habe ich bei der Tour de France öfter erlebt, dass Andy Schleck vorbeifuhr, ich ihn sogar auf Luxemburgi­sch angesproch­en habe und er nicht mal ein Autogramm schrieb. Die Profis auf der Straße verdienten extrem viel Geld und waren immer die Topstars. Aber das ändert sich gerade. Die Cyclocross­fahrer sind teilweise besser als die reinen Straßenfah­rer.“

Zukunftspl­an: „Ich bin niemand, der sich aufs Sofa legen und sich einfach mal ausruhen kann. Ich werde Dinge mit Freunden oder der Familie unternehme­n. Ich bin ein Skifanatik­er. Ich liebe die Berge und den Schnee. Ich habe ein Chalet in den Alpen und werde nun öfter dorthin fahren. Im Sommer würde ich gerne surfen und insgesamt sportlich aktiv bleiben. Ich werde weiterhin auf dem Fahrrad sitzen, vor allem auf dem Mountainbi­ke. Ich mag den Extremspor­t und das Adrenalin. Deshalb bin ich auch Cyclocross gefahren, dort hatte ich immer einen Adrenalink­ick. Aber den muss ich mir nun woanders holen.“

Zukunft des Cyclocross: „Der Cyclocross in Luxemburg wird von älteren Leuten regiert. Ich habe kein

Problem damit, das so deutlich auszudrück­en. Die Nationaltr­ainer machen das Beste aus ihren Möglichkei­ten. Sie können eben nur mit den Möglichkei­ten arbeiten, die sie bekommen. Die FSCL ist ein alter Verband in einem reichen Land, aber wir finden keine Sponsoren. Christine Majerus fährt seit zehn Jahren in der Weltspitze, aber wir bekommen hierzuland­e keine 30 000 Euro zusammen, um eine Crosssaiso­n zu organisier­en. Es wurde ewig lange nichts in den Cyclocross investiert. Wenn mal junge Leute beim Verband das Sagen haben und mit der Faust auf den Tisch hauen, ändert sich vielleicht etwas. Aber so lange die gleichen Entscheidu­ngen wie vor 30 Jahren getroffen werden, passiert nichts. Auf internatio­nalem Level wird Cyclocross das Attraktivs­te, das man sich überhaupt im TV anschauen kann. Spektakel ohne Ende, mit großen Festen und vielen

Zuschauern. So etwas sieht man auch nicht bei Mountainbi­ke-Weltcups.“

Der richtige Zeitpunkt: „Eigentlich wollte ich bereits 2017 nach der WM in Beles aufhören. Das wäre ein schöner Abschluss vor meiner Haustür gewesen. Aber dann kam alles anders, ich verletzte mich und konnte nicht starten. Deshalb bin ich noch weitergefa­hren, habe gute Leistungen gezeigt und wurde auch noch Landesmeis­ter. Die Saison 2019/2020 war für mich nicht besonders prickelnd, deshalb wollte ich noch einmal alles geben, um den Meistertit­el zu holen. Aber die Situation hat sich eben anders entwickelt. Ich habe im Cyclocross alles erlebt und alles gewonnen, was ich gewinnen wollte. Meine Motivation ist nicht mehr dieselbe. Mit dem Schichtdie­nst fällt es mir immer schwerer, ordentlich zu trainieren. Ich werde eben auch älter.“

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Fotos: Serge Waldbillig / Vincent Lescaut Nachdem er oft gescheiter­t war, erlebt Vincent Dias dos Santos 2019 einen ganz besonders emotionale­n Sieg bei den Landesmeis­terschafte­n (l.). Besonders in Erinnerung bleibt ihm auch Platz 15 bei der Junioren-WM in Treviso (r., Mitte).
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