Blitzstart im Weißen Haus
Joe Biden verliert keine Zeit, einen Bruch mit der Ära Trump zu vollziehen
Am Tag danach atmet die amerikanische Hauptstadt tief durch. Die 25 000 Nationalgardisten beginnen den Rückzug, nachdem das befürchtete Chaos bei der Amtseinführung ausgeblieben war. Mit Donald Trump von der Bildfläche verschwunden und auf den sozialen Netzwerken abgeschaltet, breitet sich in Washington das ungewohnte Gefühl der Normalität aus. Dazu bei trug auch die erste Pressekonferenz der neuen Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, die das Briefing-Pult entstaubte, um sachlich, substanziell und ohne Schelte für die Korrespondenten über die Agenda Joe Bidens zu informieren.
Psaki versprach, mit Nachdruck daran zu arbeiten, das verloren gegangene Vertrauen der Öffentlichkeit in die faktische Richtigkeit von Informationen der Regierung wiederherzustellen. Und sich täglich den Fragen der Reporter zu stellen. Die wollten von ihr gleich wissen, wie Biden mit dem Widerstand auf dem Kapitolhügel aus Teilen der Republikanischen Partei umzugehen gedenkt. Diese hatten im Senat am Mittwoch die Bestätigung seines sicherheitspolitischen Teams mit formalen Einwänden verzögert. Damit ist der 46. Präsident der Vereinigten Staaten der erste, der sein Amt ohne einen einzigen Minister antritt. Der Senat bestätigte allein seine Wahl an der Spitze der 16 USGeheimdienste, Avril D. Haines.
Biden entschied am Donnerstag, FBI-Chef Christopher Wray im Amt zu belassen. Der designierte Außenminister Anthony Blinken muss ebenso auf seine Bestätigung warten wie Lloyd Austin als neuer Chef des Pentagon und Alejandro Mayorkas an der Spitze des Heimatschutz-Ministeriums. Die Demokraten haben mit der Vereidigung der drei neuen Senatoren Raphael Warnock, Jon Ossoff und Alex Padilla und der Stimme von Vizepräsidentin Harris zwar eine hauchdünne Mehrheit, müssen mit den Republikanern aber noch eine Aufgabenverteilung aushandeln.
Die von rechten Senatoren verfolgte Verzögerungstaktik kann die Bestätigung der Minister Bidens zwar nicht verhindern, blockiert aber die ehrgeizige gesetzgeberische Agenda des Demokraten. Psaki räumt ein, dass Schulterklopfen Bidens bei seinen Ex-Kollegen im Senat nicht reichen wird, das angespannte Klima zu beenden und seine gesetzgeberischen Prioritäten durchzusetzen. Dazu gehört zuvorderst ein 1,9 Billionen schwereres Corona-Hilfepaket. „Wir nehmen nicht die Werkzeuge vom Tisch, mit denen das Haus und der Senat dieses dringende Paket beschlossen bekommen“, warnte Psaki die Republikaner, die ausgestreckte Hand Bidens auszuschlagen. Dieser hatte seine Amtseinführung mit einem Appell zur nationalen Einheit gestartet.
Streit um „Filibuster“
Das „Werkzeug“ist der sogenannte „Filibuster“, der für alle nicht den Haushalt betreffenden Gesetze eine 60-Stimmen-Mehrheit im Senat verlangt. Dabei handelt es sich um eine Verzögerungstaktik durch Dauerreden. Diese Senatsregel könnten die Demokraten per einfachem Mehrheitsbeschluss abschaffen und damit den Weg für die Reformagenda Bidens freimachen. Der republikanische Minderheitsführer Mitch McConnell versucht dies zu verhindern und benutzt das anstehende Impeachment Donald Trumps und die Bestätigung des Kabinetts als Druckmittel, den Demokraten Rückversicherungen über den Fortbestand des Filibusters abzuringen.
Weil der neue Präsident im Kongress Geduld braucht, greift er zum Mittel der Dekrete, mit denen er die Ausführung bestehender Gesetze und die Behördenpraxis ohne Zustimmung des Kongresses verändern kann. Biden unterzeichnete am ersten Tag 17 dieser sogenannten Exekutivbefehle, die symbolisch und substanziell auf einen Bruch mit der Ära Trump abzielten. Unter anderen treten die USA binnen 30 Tagen wieder dem Pariser Weltklima-Abkommen bei, nehmen die Mitgliedschaft in der Weltgesundheitsorganisation wieder auf, deren größter Beitragszahler sie waren, beenden den Reisebann für Menschen aus mehrheitlich islamischen Ländern, beenden mit sofortiger Wirkung den Mauerbau, machen die Zusammenführung der an der Südgrenze von ihren Eltern weggenommenen Flüchtlingskindern mit ihren Familien zu einer Priorität und führen die Maskenpflicht überall dort ein, wo die Bundesregierung Zuständigkeit hat.
Gestern präsentierte Biden eine 21 Seiten starke nationale Covid-19Strategie, die darauf abzielt, die Impfstoffe effektiv und schnell in die Arme der Amerikaner zu injizieren. Außerdem soll die Produktion von Masken und Schutzkleidung beschleunigt und die Forschung von Behandlungsmethoden bereits an Covid-19 erkrankter Menschen beschleunigt werden.
Unklar blieb, wie schnell der Senat mit dem Prozess gegen Trump beginnt. Die „Washington Post“berichtet, der Drei-Sterne-General Charles Flynn, dessen Bruder Michael von Trump wegen seiner Rolle in der Russland-Affäre begnadigt wurde, sei an dem Entscheidungsprozess im Pentagon beteiligt gewesen, der zu der langen Verzögerung bei der Entsendung von Verstärkung für die überrannte Polizei im Kongress am 6. Januar geführt hat. Michael Flynn hatte sich öffentlich dafür stark gemacht, mithilfe des Militärs Neuwahlen in den Staaten zu erzwingen, die Trump knapp verloren hatte.