Besser nicht
Deutschland will keine Grenzschließungen – aber ausschließen mag Angela Merkel sie auch nicht
Die Kanzlerin ist gut aufgelegt, erst recht angesichts der „Zumutung“, die seit knapp einem Jahr ihr Regieren bestimmt. Politik, sagt Angela Merkel (CDU), sei „manchmal anstrengend“– aber genau das sei ja, „was den Reiz ausmacht“. Ein hübsches Wort ist das im Kontext dieses Mittwochs. Denn am Abend werden sich die Staats- und Regierungschefs der EU zu einer Videokonferenz zusammenschalten – und schon vorab gibt es einige Gereiztheit.
Dass Merkel – unter Verweis auf die längst auch auf dem Kontinent grassierenden Mutationen von Sars-CoV-2 – von Grenzschließungen geredet hat: Das sorgt für Reaktionen. Auch in Deutschland. Auch in seinen Grenzregionen. Die ja zahlreich sind. Neun Nachbarn hat die Republik, acht in der EU, dazu die Schweiz. Und überall gibt es ein tägliches, ein im übertragenen und tatsächlichen Sinn grenzenloses Hin und Her. Ohne die Einpendler käme nicht nur die deutsche Wirtschaft in Kalamitäten; dem Gesundheitssystem – schon vor der Pandemie personell am Anschlag – drohte der Kollaps.
Dass das nebenan nicht anders ist, erfahren die Deutschen noch vor Merkels Auftritt in der Bundespressekonferenz am späten Vormittag. Der „Deutschlandfunk“(DLF) interviewt am Morgen Außenminister Jean Asselborn. Er wird für seine klaren Worte auch in Deutschland geschätzt, er hat Fans auch im Berliner Regierungsviertel. Jetzt warnt Asselborn, bei Grenzschließungen „bricht bei uns in Luxemburg das Gesundheitssystem zusammen“.
Nun darf man, einerseits, nicht glauben, ganz Deutschland hinge ganztags am „DLF“. 2,11 Millionen Hörer sind es – verteilt über 24 Stunden. Macht gerade mal gut zweieinhalb Prozent der 83 Millionen,
die in Deutschland leben. Andererseits wird der Sender in der Politik durchaus zur Kenntnis und ernst genommen. Und so ist Asselborn mit seiner Mahnung zumindest nicht an der falschen Stelle. „Besorgniserregend“nennt er Merkels Überlegungen. „Mit dem Schlagbaum operieren“, rügt er, „das war falsch 2020 – und das ist noch falscher 2021.“
Bei manchen Mitgliedern der Bundesregierung rennt Asselborn mit seinem Nein die sprichwörtlichen offenen Türen ein. Er glaube, sagt Außenminister Heiko Maas (SPD), gebürtiger Saarländer und also hoch grenzgebieterfahren, einigermaßen zeitgleich im Frühstücksfernsehen, „dass wir alles daran setzen müssen, um zu verhindern, dass es wieder zu Grenzkontrollen kommt“. Und befindet, am Abend müsse es um „ganz praktische Fragen“gehen: Wie man die Pendler testen könne – ohne Staus. Andere äußern sich klar defensiver.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) etwa fordert im „Südwestrundfunk“mehrmals pro Woche „verbindliche Tests“. Und Merkels Kanzlerinamtschef Helge Braun (auch CDU) bei der „Deutschen Welle“, dass alle EU-Länder „synchron“handeln. Sollten die 26 anderen Staats- und Regierungschefs daran scheitern, seien eben „noch strengere Einreiseregeln an unseren Binnengrenzen nicht vermeidbar“.
Wenn im Kabinett einer mit Merkels Stimme spricht – dann Braun. Und so darf es nicht überraschen, dass auch die Kanzlerin im Wenn-Dann-Modus agiert. Ihr Ziel seien keinesfalls „flächendeckende Grenzkontrollen“, im Gegenteil. „Aber ich sage Ihnen ganz offen: Wenn ein Land in einer vielleicht doppelt so hohen Inzidenz alle Geschäfte aufmacht und wir haben sie zu – dann hat man natürlich ein Problem.“Gleichzeitig erwähnt Merkel, dass in Luxemburg die Inzidenzen „ja sehr vergleichbar“seien. Und dass es akut um andere Staaten gehe: „Wir werden sicherlich mit der Schweiz reden müssen.“Und mit Tschechiens Ministerpräsident habe sie schon zwei Gespräche gehabt.
Merkel: „Testregime für Pendler“Man müsse, so Merkel, „ein Testregime für Pendler entwickeln“; aber „nicht holterdiepolter von einem Tag auf den anderen – da haben wir alle dazugelernt“. Sie rechne mit „sehr viel Einverständnis“, aber „die Tücke liegt im Detail“. Folglich erwarte sie für den Abend zwar „viele Gemeinsamkeiten“, aber „kein abschließendes Ergebnis“. Eine Garantie, dass die Grenzen offenbleiben? Merkel wäre nicht Merkel, gäbe sie die. Sie sichert „einen kooperativen Ansatz“zu, sie nennt Grenzkontrollen die „ultima ratio“. Aber falls „jemand ganz andere Vorstellungen hat“, dann könnten sie „auch nicht vollkommen ausgeschlossen werden“.
Wie hat zuvor im „DLF“Asselborn noch gesagt? Die Berliner Art, „wieder von Grenzschließungen“zu reden, mache „Unmut“. Und als sei das zu schwach, fügt er hinzu: „Großen Unmut.“Und was sagt Merkel? Dass das „vielleicht Wichtigste in der Politik“sei, „immer wieder klug die Lage zu analysieren und zu fragen: Muss ich was verändern?“Allerdings ist das vor der Frage nach dem Grenz-Shutdown.
Mit dem Schlagbaum operieren, das war falsch 2020 – und das ist noch falscher 2021. Jean Asselborn