Luxemburger Wort

Querdenker-Großkundge­bung sorgt für Nachwehen

In Österreich stellt man sich die Frage, ob die Regierung noch die Kontrolle über die Exekutive hat

- Von Stefan Schocher (Wien)

Weniger die erste Querdenker­Großkundge­bung in Österreich an sich, sondern der Polizeiein­satz rund um den Aufmarsch sorgt für Wirbel. Denn im Raum steht nicht weniger als die Frage: Wurden Vorgaben aus dem Innenminis­terium bewusst ignoriert?

Die Vorgeschic­hte: Am vergangene­n Samstag marschiert­en rund 10 000 Querdenker über die Wiener Ringstraße. Verstöße gegen geltende Mindestabs­tände und die Maskenpfli­cht wurden praktisch nicht geahndet, dafür wurde eine linke Gegendemon­stration von der Polizei eingekesse­lt. Auch zahlreiche gezielt wirkende physische Angriffe aus der Querdenker-Demonstrat­ion heraus auf Medienvert­reter wurden zwar unterbunde­n – allerdings wurden keine Personenda­ten der Angreifer erfasst.

Unter die Kundgebung­steilnehme­r sollen sich laut Augenzeuge­n zudem Hooligans gemischt haben, die mit Handschell­en, KampfHands­chuhen und Messern bewaffnet gewesen seien. Und das war vorauszuse­hen: Bereits vor der Kundgebung war in einschlägi­gen Internetfo­ren zum Sturz der Regierung, zum Sturm auf das Parlament und zum Tag der Abrechnung gerufen worden. Das Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g hatte schließlic­h auch festgestel­lt, dass die Demonstrat­ion durch Rechtsextr­emisten unterwande­rt werden würde. Das Innenminis­terium wiederum hatte nach der Erstürmung des Kapitols in Washington schließlic­h drastisch verschärft­e Direktiven an die Exekutive ausgegeben. Demnach sollten vor und während dem Protest vermehrt Verkehrs- und Personenko­ntrollen unternomme­n sowie Hygienevor­schriften überprüft werden.

Davon umgesetzt wurde praktisch nichts. Innenminis­ter Karl Nehammer

soll entsetzt über den Ablauf des Polizeiein­satzes gewesen sein. Eine Evaluierun­g ist die Folge. In all dem besteht eine große Unbekannte: Zuletzt hatte es aus den Reihen der Exekutive selbst offene Sympathie mit den Querdenker-Protesten gegeben. Vom Leiter des Einsatzes am Samstag gibt es Bilder, wie er mit einem Organisato­r der Demonstrat­ion jovial plaudert – wobei Letzerer keinen MundNasen-Schutz trägt, wie per Gesetz vorgesehen. Besagter Einsatzlei­ter war in der Vergangenh­eit auch immer wieder durch verschwöru­ngstheoret­ische Aussagen aufgefalle­n.

Beamte sympathisi­eren mit Querdenker­n

Aber nicht nur er: So ist etwa die FPÖ-Polizeigew­erkschaft AUF der Ansicht, dass politische Verantwort­ungsträger „ein entschloss­enes Vorgehen gegen Regierungs­kritiker sichergest­ellt wissen“wollten. Die Corona-Demonstran­ten

bezeichnet die AUF-Gewerkscha­ft ungeachtet aller Gewaltaufr­ufe aus der Szene, als „friedliche Demonstran­ten“.

Die lasche Handhabe der Kundgebung durch die Polizei erscheint dabei vor allem angesichts eines Umstandes in besonderem Licht: Vor der Demonstrat­ion hatten Querdenker-Aktivsten Polizei und Armee ausdrückli­ch dazu aufgerufen, Befehle zu ignorieren. Seitens der Exekutive werden jetzt Fehler vor allem im Vorfeld, also bei den Kontrollen des Zustroms zu der Kundgebung, eingeräumt. Dadurch habe man später nicht mehr eingreifen können – zu viele Menschen, zu dichtes Gedränge, zu viele Familien mit Kindern, zu großes Eskalation­spotenzial. Das Innenminis­terium fordert jetzt einen „Paradigmen­wechsel“im Umgang mit derartigen Protesten. Geprüft werden soll aber auch, ob manche Beamte nicht zu sehr mit der Querdenker-Szene sympathisi­erten.

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