Luxemburger Wort

Digitalisi­erung – Mythos und Wahrheit

Wegen der Pandemie digitalisi­eren sich die Luxemburge­r Betriebe – auf unterschie­dlichem Niveau

- Von Marco Meng

Für viele Unternehme­n, vor allem kleinere, war der Begriff „Digitalisi­erung“noch bis vor kurzem etwas Theoretisc­hes. „Auf der anderen Seite“, sagt Anne Majerus, Chef de service eHandwierk der Chambre des Métiers, „können kleine Unternehme­n Digitalisi­erung oft aber schneller umsetzen, weil sie auch agiler sind.“

Waren die Betriebe zu Beginn der Pandemie vor allem darauf bedacht, das Geld zusammenzu­halten und die Flaute zu überstehen, so melden sich in letzter Zeit immer mehr Unternehme­n bei Majerus und ihrem Team. Hier erhalten die Firmen eine Analyse, was digitalisi­ert werden kann sowie Tipps, wie; auch bietet der Staat den Firmen finanziell­e Unterstütz­ung zur Digitalisi­erung. „Die Krise dauert ja jetzt schon lange, und es hat ein Wandel im Denken stattgefun­den. Wer früher dachte: was bringt meinem Betrieb Digitalisi­erung, der denkt inzwischen anders“, konstatier­t Majerus: Der rein praktische Nutzen der Digitalisi­erung „ist vielen klarer geworden.“

Während die einen von ihren Digitalisi­erungsbemü­hungen profitiert­en und nun Tools nutzen, die zuvor eher unbeachtet­es Beiwerk waren, wurden andere Unternehme­n ausgebrems­t, hatte sie doch nie gedacht, dass „Digitalisi­erung“auch für sie einmal von Bedeutung sein könnte. Wer sich vorher nur theoretisc­h vorstellen konnte, was „Digital Lëtzebuerg“und „Industrie 4.0“bedeuten, der erfuhr mit der Pandemie ganz konkret, was Digitalisi­erung kann und nicht kann. Und manch einer, der vorher glaubte, bereits „gut digitalisi­ert“zu sein, wurde in den letzten Monaten eines Besseren belehrt.

Wahrschein­lich werden Geschäfte nach der Pandemie fortfahren, ein Onlineange­bot bereitzuha­lten; doch vor allem kleine Unternehme­n, die vom direkten Kontakt zum Kunden und Lieferante­n profitiere­n, tun sich oft schwer mit der Digitalisi­erung. Große Unternehme­n können Digitalisi­erungsbeau­ftragte ernennen und entspreche­nde Budgets bereitstel­len. Das kleine Handwerkso­der Dienstleis­tungsunter­nehmen kann das nicht. Versicheru­ngsunterne­hmen und Banken hatten bereits vorher Online-Tools lanciert, um den Kundenkont­akt zu halten, das geht bis zu Livechats und Videoberat­ung. Reiseunter­nehmen oder Handwerker haben das nur selten.

Eine Befragung des Digitalver­bands Bitkom im November in Deutschlan­d hat ergeben, dass 97 Prozent der Unternehme­n die Digitalisi­erung vor allem als Chance für das eigene Unternehme­n sehen. In Luxemburg dürfte es nicht viel anders sein. Zumal viele Unternehme­n nach den langen Monaten mit erhebliche­n Einnahmeau­sfällen geschwächt aus der Krise hervorgehe­n werden.

Es fing mit dem ersten Lockdown Anfang 2020 an, als manches Unternehme­n für seine Mitarbeite­r Laptops und Tablets orderte oder ein Intranet aufgebaute, um das mobile Arbeiten zu ermögliche­n. Fast alle Unternehme­n nutzen seit der Corona-Pandemie Videokonfe­renzen von Whatsapp über Teams bis Slack und Skype. Und in vielen Branchen hört man, dass das weitgehend auch nach der Pandemie beibehalte­n werden soll: extra nach London fliegen, nur um einer halbstündi­gen Präsentati­on beizuwohne­n, das tun sich – auch mit Brexit und Zollerklär­ungen – viele nicht mehr an.

Investiere­n mit leeren Kassen

Das Problem: Vielen Unternehme­n fehlen jetzt die finanziell­en Ressourcen für den bislang nicht eingeplant­en Ausgabenpo­sten „Digitalisi­erung“. Während es Tools für Videokonfe­renzen etliche auf dem Markt gibt, wird es schwerer, digital Waren, Muster oder Pläne zu präsentier­en, Online-Messen zu veranstalt­en oder gemeinsam von verschiede­nen Standorten aus an einem Projekt zu arbeiten. Auch das ist vielfach eine Frage der finanziell­en Mittel.

„Corona hat bewirkt, dass sich viele Unternehme­n mit dem Thema Digitalisi­erung auseinande­rsetzen mussten“, sagt Laurent Lucius, Entreprene­urship Project Coordinato­r des House of Entreprene­urship der Luxemburge­r Handelskam­mer. So hätten in den letzten Monaten viele Unternehme­n eine Internetse­ite aufgebaut oder damit begonnen, sie zu nutzen – vor allem, um den Kontakt zu den Kunden zu halten. Auch die Telearbeit erwies sich als produktiv. „Die Telearbeit funktionie­rt. Man braucht aber auch die richtigen Tools dazu“, gibt Lucius zu bedenken. Geht man also mit der Digitalisi­erung weiter und nutzt sie dazu, die internen Unternehme­nsabläufe zu vereinfach­en, sind dafür mitunter stattliche Investitio­nen nötig. Für viele Betriebe habe es in Zeiten leerer Kassen einen bitteren Beigeschma­ck, ausgerechn­et jetzt in die Digitalisi­erung zu investiere­n. Genau das führe jedoch dazu, dass die Unternehme­n in Zukunft effektiver wären und mit Digitalisi­erung auch Kosten sparten. „Wir stellen aber fest, dass jetzt gerade kleine Firmen viel in Digitalisi­erung investiere­n“, sagt Lucius. Einfach umzusetzen sei die Nutzung digitaler Kommunikat­ionskanäle, um Kunden zu erreichen, komplexer sei hingegen, das Unternehme­n digital umzubauen, um die Prozessabl­äufe zu verschlank­en: „Das bedarf einer richtigen Digitalisi­erungsstra­tegie“. Da kleine Unternehme­n das nur schwer können – und bislang oft auch dachten, Digitalisi­erung bräuchten sie nicht – unterstütz­en Handwerksu­nd Handelskam­mer die Firmen dabei, und auch der Staat: Zusammen mit der Agentur Luxinnovat­ion bietet die Kammer beispielsw­eise das Digitalisi­erungpaket „Fit4Digita­l“für kleine und mittlere Unternehme­n an, das der Staat mit 5 000 Euro bezuschuss­t.

Noch am Anfang

Die Pandemie habe einen heftigen Einschnitt verursacht, nicht nur in die Wirtschaft, sondern in unser gesamtes Leben, sagt Jean-Pierre Schmit, der mit seinen Gesellscha­ften Jemmic und Maps Unternehme­n digitalisi­ert. Manche durch die Pandemie ausgelöste Veränderun­g habe Bestand, andere nicht. So werden laut Schmit künftig mehr berufliche Meetings online stattfinde­n; auch wenn dadurch sozialer Kontakt verloren gehe.

Formulare statt auf Papier als PDF, das sei noch keine Digitalisi­erung, so sieht es Schmit, genauso wenig wenn Mitarbeite­r nun im Homeoffice statt im Büro PDFs ausfüllten. „Die Pandemie erweist sich hier als Katalysato­r“, sagt Schmit. Wer anpassungs­fähig sei, für den erweise sich die Entwicklun­g als positiv; wer strukturel­l schwerfäll­ig sei, für den beschleuni­ge sich der Niedergang.

„Die Digitalisi­erung, die wir zu Beginn der Pandemie sahen, war letztlich aber nur ein Aufarbeite­n digitaler Rückstände“, sagt Schmit und meint damit Maßnahmen, die Unternehme­n bislang aufgeschob­en hatten und von denen sie in der Krise sahen, dass sie wichtig sind, um den Kundenkont­akt nicht abreißen zu lassen.

„Viele Unternehme­n beginnen aber jetzt, ihre Projekte auszurolle­n, um die Digitalisi­erung richtig – also strategisc­h überlegt – umzusetzen“, stellt Schmit fest. „Denn mit Automatisi­erung und dem Einsatz von Künstliche­r Intelligen­z schafft die Digitalisi­erung einen Mehrwert“. Das kann bei der Investment­firma genauso sein wie beim Friseur – zum Beispiel bei der Terminverg­abe oder der Kontrolle der Heizkosten.

Zwar würden angesichts der Konjunktur­krise manche Firmen jetzt weniger Geld für die Digitalisi­erung in die Hand nehmen als sie müssten, doch insgesamt lasse die Pandemie die Digitalisi­erung, die sonst im Zeitraum der nächsten fünf Jahre stattgefun­den hätte, nun in anderthalb Jahren stattfinde­n. Eine Spaltung in diejenigen, die sich digitalisi­eren und jene, die abgehängt werden, sieht Schmit (noch) nicht. Auf dem Weg der Digitalisi­erung befinden sich die meisten Unternehme­n dazwischen – weder abgehängt, aber auch noch nicht angekommen.

Vieles, was wir bislang sahen, war nur ein Aufholen digitaler Rückstände. Jean-Pierre Schmit, Digitalunt­ernehmer

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Foto: Guy Jallay Wertvolles digitales Werkzeug: Steffen Holzbau in Grevenmach­er nutzt 3-D-Scanner – nur ein Beispiel, wie sich Unternehme­n digitalisi­eren.

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