Digitalisierung – Mythos und Wahrheit
Wegen der Pandemie digitalisieren sich die Luxemburger Betriebe – auf unterschiedlichem Niveau
Für viele Unternehmen, vor allem kleinere, war der Begriff „Digitalisierung“noch bis vor kurzem etwas Theoretisches. „Auf der anderen Seite“, sagt Anne Majerus, Chef de service eHandwierk der Chambre des Métiers, „können kleine Unternehmen Digitalisierung oft aber schneller umsetzen, weil sie auch agiler sind.“
Waren die Betriebe zu Beginn der Pandemie vor allem darauf bedacht, das Geld zusammenzuhalten und die Flaute zu überstehen, so melden sich in letzter Zeit immer mehr Unternehmen bei Majerus und ihrem Team. Hier erhalten die Firmen eine Analyse, was digitalisiert werden kann sowie Tipps, wie; auch bietet der Staat den Firmen finanzielle Unterstützung zur Digitalisierung. „Die Krise dauert ja jetzt schon lange, und es hat ein Wandel im Denken stattgefunden. Wer früher dachte: was bringt meinem Betrieb Digitalisierung, der denkt inzwischen anders“, konstatiert Majerus: Der rein praktische Nutzen der Digitalisierung „ist vielen klarer geworden.“
Während die einen von ihren Digitalisierungsbemühungen profitierten und nun Tools nutzen, die zuvor eher unbeachtetes Beiwerk waren, wurden andere Unternehmen ausgebremst, hatte sie doch nie gedacht, dass „Digitalisierung“auch für sie einmal von Bedeutung sein könnte. Wer sich vorher nur theoretisch vorstellen konnte, was „Digital Lëtzebuerg“und „Industrie 4.0“bedeuten, der erfuhr mit der Pandemie ganz konkret, was Digitalisierung kann und nicht kann. Und manch einer, der vorher glaubte, bereits „gut digitalisiert“zu sein, wurde in den letzten Monaten eines Besseren belehrt.
Wahrscheinlich werden Geschäfte nach der Pandemie fortfahren, ein Onlineangebot bereitzuhalten; doch vor allem kleine Unternehmen, die vom direkten Kontakt zum Kunden und Lieferanten profitieren, tun sich oft schwer mit der Digitalisierung. Große Unternehmen können Digitalisierungsbeauftragte ernennen und entsprechende Budgets bereitstellen. Das kleine Handwerksoder Dienstleistungsunternehmen kann das nicht. Versicherungsunternehmen und Banken hatten bereits vorher Online-Tools lanciert, um den Kundenkontakt zu halten, das geht bis zu Livechats und Videoberatung. Reiseunternehmen oder Handwerker haben das nur selten.
Eine Befragung des Digitalverbands Bitkom im November in Deutschland hat ergeben, dass 97 Prozent der Unternehmen die Digitalisierung vor allem als Chance für das eigene Unternehmen sehen. In Luxemburg dürfte es nicht viel anders sein. Zumal viele Unternehmen nach den langen Monaten mit erheblichen Einnahmeausfällen geschwächt aus der Krise hervorgehen werden.
Es fing mit dem ersten Lockdown Anfang 2020 an, als manches Unternehmen für seine Mitarbeiter Laptops und Tablets orderte oder ein Intranet aufgebaute, um das mobile Arbeiten zu ermöglichen. Fast alle Unternehmen nutzen seit der Corona-Pandemie Videokonferenzen von Whatsapp über Teams bis Slack und Skype. Und in vielen Branchen hört man, dass das weitgehend auch nach der Pandemie beibehalten werden soll: extra nach London fliegen, nur um einer halbstündigen Präsentation beizuwohnen, das tun sich – auch mit Brexit und Zollerklärungen – viele nicht mehr an.
Investieren mit leeren Kassen
Das Problem: Vielen Unternehmen fehlen jetzt die finanziellen Ressourcen für den bislang nicht eingeplanten Ausgabenposten „Digitalisierung“. Während es Tools für Videokonferenzen etliche auf dem Markt gibt, wird es schwerer, digital Waren, Muster oder Pläne zu präsentieren, Online-Messen zu veranstalten oder gemeinsam von verschiedenen Standorten aus an einem Projekt zu arbeiten. Auch das ist vielfach eine Frage der finanziellen Mittel.
„Corona hat bewirkt, dass sich viele Unternehmen mit dem Thema Digitalisierung auseinandersetzen mussten“, sagt Laurent Lucius, Entrepreneurship Project Coordinator des House of Entrepreneurship der Luxemburger Handelskammer. So hätten in den letzten Monaten viele Unternehmen eine Internetseite aufgebaut oder damit begonnen, sie zu nutzen – vor allem, um den Kontakt zu den Kunden zu halten. Auch die Telearbeit erwies sich als produktiv. „Die Telearbeit funktioniert. Man braucht aber auch die richtigen Tools dazu“, gibt Lucius zu bedenken. Geht man also mit der Digitalisierung weiter und nutzt sie dazu, die internen Unternehmensabläufe zu vereinfachen, sind dafür mitunter stattliche Investitionen nötig. Für viele Betriebe habe es in Zeiten leerer Kassen einen bitteren Beigeschmack, ausgerechnet jetzt in die Digitalisierung zu investieren. Genau das führe jedoch dazu, dass die Unternehmen in Zukunft effektiver wären und mit Digitalisierung auch Kosten sparten. „Wir stellen aber fest, dass jetzt gerade kleine Firmen viel in Digitalisierung investieren“, sagt Lucius. Einfach umzusetzen sei die Nutzung digitaler Kommunikationskanäle, um Kunden zu erreichen, komplexer sei hingegen, das Unternehmen digital umzubauen, um die Prozessabläufe zu verschlanken: „Das bedarf einer richtigen Digitalisierungsstrategie“. Da kleine Unternehmen das nur schwer können – und bislang oft auch dachten, Digitalisierung bräuchten sie nicht – unterstützen Handwerksund Handelskammer die Firmen dabei, und auch der Staat: Zusammen mit der Agentur Luxinnovation bietet die Kammer beispielsweise das Digitalisierungpaket „Fit4Digital“für kleine und mittlere Unternehmen an, das der Staat mit 5 000 Euro bezuschusst.
Noch am Anfang
Die Pandemie habe einen heftigen Einschnitt verursacht, nicht nur in die Wirtschaft, sondern in unser gesamtes Leben, sagt Jean-Pierre Schmit, der mit seinen Gesellschaften Jemmic und Maps Unternehmen digitalisiert. Manche durch die Pandemie ausgelöste Veränderung habe Bestand, andere nicht. So werden laut Schmit künftig mehr berufliche Meetings online stattfinden; auch wenn dadurch sozialer Kontakt verloren gehe.
Formulare statt auf Papier als PDF, das sei noch keine Digitalisierung, so sieht es Schmit, genauso wenig wenn Mitarbeiter nun im Homeoffice statt im Büro PDFs ausfüllten. „Die Pandemie erweist sich hier als Katalysator“, sagt Schmit. Wer anpassungsfähig sei, für den erweise sich die Entwicklung als positiv; wer strukturell schwerfällig sei, für den beschleunige sich der Niedergang.
„Die Digitalisierung, die wir zu Beginn der Pandemie sahen, war letztlich aber nur ein Aufarbeiten digitaler Rückstände“, sagt Schmit und meint damit Maßnahmen, die Unternehmen bislang aufgeschoben hatten und von denen sie in der Krise sahen, dass sie wichtig sind, um den Kundenkontakt nicht abreißen zu lassen.
„Viele Unternehmen beginnen aber jetzt, ihre Projekte auszurollen, um die Digitalisierung richtig – also strategisch überlegt – umzusetzen“, stellt Schmit fest. „Denn mit Automatisierung und dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz schafft die Digitalisierung einen Mehrwert“. Das kann bei der Investmentfirma genauso sein wie beim Friseur – zum Beispiel bei der Terminvergabe oder der Kontrolle der Heizkosten.
Zwar würden angesichts der Konjunkturkrise manche Firmen jetzt weniger Geld für die Digitalisierung in die Hand nehmen als sie müssten, doch insgesamt lasse die Pandemie die Digitalisierung, die sonst im Zeitraum der nächsten fünf Jahre stattgefunden hätte, nun in anderthalb Jahren stattfinden. Eine Spaltung in diejenigen, die sich digitalisieren und jene, die abgehängt werden, sieht Schmit (noch) nicht. Auf dem Weg der Digitalisierung befinden sich die meisten Unternehmen dazwischen – weder abgehängt, aber auch noch nicht angekommen.
Vieles, was wir bislang sahen, war nur ein Aufholen digitaler Rückstände. Jean-Pierre Schmit, Digitalunternehmer