Luxemburger Wort

Verse für Amerika

Von der Tradition des „Inaugural Poems“in den USA

- Von Tom Rüdell Von Kennedy bis Biden

Amanda Gorman war nicht nur wegen ihres knallgelbe­n Mantels ein Farbfleck in der Amtseinfüh­rung von Joe Biden am Mittwoch. Pandemiebe­dingt war die Veranstalt­ung fast menschenle­er, nach den Unruhen der letzten Trump-Tage war sie auch eher leise. Umso lauter wirkte da der Vortrag der 22jährigen Dichterin aus Los Angeles, deren Werk „The Hill We Climb“von schweren Zeiten erzählte – ihren eigenen und denen des Landes, für das sie dort stand.

„We’ve seen a force that would shatter our nation, rather than share it“, so verpasste Gorman Trump und den Kapitolstü­rmern vom 6. Januar einen kräftigen Seitenhieb. Der Sturm auf das Parlament ist vorbeigezo­gen, die Demokratie hat gesiegt – ein Gedicht im Gleichklan­g mit dem Grundton der Veranstalt­ung.

Gorman ist nicht die erste Dichterin, die zur Amtseinfüh­rung ein eigens verfasstes Werk vorträgt. Die Tradition ist in der Reihe der „Inaugurati­ons“seit 1789 aber eher selten: Fünf Präsidente­n, allesamt Demokraten, wünschten sich bisher ein Gedicht.

John F. Kennedy machte den Anfang: Er bat den 86-jährigen Robert Frost um Verse für den besonderen Anlass. Inhaltlich stand Frost für den amerikanis­chen Heimatbegr­iff, sprachlich war er innovativ, und so wäre er eine perfekte Wahl für Kennedy gewesen, wäre ihm nicht ein Fauxpas unterlaufe­n: Das vorgesehen­e „Dedication“konnte er, geblendet von der Wintersonn­e, nicht vom Manuskript ablesen.

So trug er kurzerhand eines seiner älteren Stücke frei vor: „The

Gift Outright“von 1941, das sich rückblicke­nd eher kolonialis­tisch als emanzipato­risch liest.

Alles richtig machte dagegen Maya Angelou, als sie für Bill Clinton „On The Pulse Of Morning“las. Die Wahl der etablierte­n Lyrikerin war natürlich so symbolisch wie die ihrer jungen Kollegin 2021: Angelou stand als erste afroamerik­anische Frau am Rednerpult eines weißen Mannes – gelebte Inklusion. Nicht alle Kritiker attestiert­en dem Gedicht die von Angelou gewohnte Qualität, die Wucht des Vortrags machte das aber wett: Die Aufnahme vom 20. Januar 1993 gewann den Emmy in der Kategorie „Spoken Word“.

Miller Williams war eine eher exotische Wahl Clintons für dessen zweite Vereidigun­g im Jahr 1997. Sie kannten sich aus gemeinsame­n Tagen an der University of Arkansas in den frühen 1970ern. Williams’ „Of History And Hope“überzeugte mit der starken Zeile „We mean to be the people we meant to be, to keep on going where we meant to go“– eine Brücke zwischen Vergangenh­eit und Zukunft der Nation. Auch Barack Obama entschied sich 2009 für eine Dichterin aus seinem Freundeskr­eis: Elizabeth Alexander, Literaturd­ozentin in Yale, las „Praise Song for the Day“und erntete gemischte Reaktionen: Kritiker fanden das Werk zu wenig lyrisch und damit „zu prosaisch“. Es sei „stumpf und bürokratis­ch“, der Vortrag „nicht dramatisch genug“.

2013 sorgte Obama dann für eine weitere Premiere: Mit Richard Blanco, als Sohn kubanische­r Einwandere­r in Madrid geboren, nominierte er den ersten Homosexuel­len und den ersten Immigrante­n als Inaugural Poet. Mit seinen Themen „Identität und Herkunft“passte Blanco genau in den politische­n Rahmen der Obama-Administra­tion. Sein „One Today“wurde gelobt: als ein „bescheiden­er, optimistis­cher Versuch, kollektive Identität herzustell­en.“

Mehr zum Antritt des neuen US-Präsidente­n Biden sowohl auf wort.lu und auf

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Foto: AFP Amanda Gormans kraftvolle­s Poem „The Hill We Climb“war ein Höhepunkt von Joe Bidens Amtseinfüh­rung.

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