Luxemburger Wort

Kein Ende in Sicht

NATO vertagt Entscheidu­ng über Afghanista­n-Einsatz

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Brüssel/Kabul. Die NATO hat die Entscheidu­ng über das Ende ihres Einsatzes in Afghanista­n offiziell vertagt. Man habe keinen endgültige­n Beschluss über die zukünftige Präsenz in dem Krisenland gefasst, erklärte Generalsek­retär Jens Stoltenber­g gestern nach Beratungen mit den Verteidigu­ngsministe­rn der 30 Bündnissta­aten. Die rund 10 000 Soldaten aus NATOLänder­n und Partnernat­ionen werden damit vorerst in dem Krisenland bleiben, um die demokratis­ch gewählte Regierung durch die Ausbildung und Beratung von Sicherheit­skräften zu unterstütz­en.

Den internatio­nalen Truppen könnten nun wieder Angriffe und Anschläge der militant-islamistis­chen Taliban drohen. Grund ist, dass den Aufständis­chen von den USA über das sogenannte DohaAbkomm­en ein Abzug aller ausländisc­hen Soldaten bis Ende April in Aussicht gestellt worden ist, um sie zu Friedensge­sprächen und einer Reduzierun­g der Gewalt in dem Land zu bewegen.

Taliban drohen mit „großem Krieg“Mit der Entscheidu­ng, jetzt noch keinen Rückzug anzuordnen, gilt es allerdings als so gut wie sicher, dass NATO-Truppen länger in Afghanista­n sein werden. Grund dafür ist, dass ein geordneter Rückzug hochkomple­x ist und mindestens zwei Monate dauern dürfte. Die Taliban hatten zuletzt mitgeteilt, jeder, der eine „Verlängeru­ng der Kriege und der Besatzung“anstrebe, werde dafür haftbar gemacht werden. Bereits Anfang Februar hatten sie gedroht, eine Aufkündigu­ng des Doha-Abkommens werde „zu einem großen Krieg führen“. Als noch größeres Risiko wird von den Alliierten aber gesehen, dass die Taliban kurz nach einem vollständi­gen Truppenabz­ug mit Waffengewa­lt die Macht in Afghanista­n übernehmen. Für die junge Demokratie in Afghanista­n und Fortschrit­te bei Frauenrech­ten oder Medienfrei­heit wäre eine solche Entwicklun­g vermutlich der Todesstoß. Zudem drohte Afghanista­n nach westlicher Lesart wieder ein Rückzugsor­t für internatio­nale Terroriste­n zu werden, die Angriffe auf NATO-Länder planen. Für die NATO wäre das ein Desaster: Ein fast zwei Jahrzehnte langer Einsatz mit Tausenden Todesopfer­n wäre dann quasi umsonst gewesen.

Nach Angaben aus Bündniskre­isen soll noch versucht werden, die Taliban dazu zu bewegen, eine Verschiebu­ng der Frist für den Truppenabz­ug zu akzeptiere­n – offiziell prüft die neue US-Regierung zudem noch immer einen möglichen Abzug bis Ende April.

Ob diese Strategie funktionie­rt, ist aber völlig offen. Nach Einschätzu­ng von Experten könnten die Taliban versucht sein, die Friedensve­rhandlunge­n zu beenden und auf eine militärisc­he Lösung des Konflikts zu setzen. Sie könnten darauf spekuliere­n, dass die NATO-Staaten ihren Einsatz am Hindukusch nicht noch einmal umfassend ausweiten wollen.

Der Krieg in Afghanista­n ist mittlerwei­le der längste in der Geschichte des Landes. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 waren von den Amerikaner­n angeführte Truppen dort einmarschi­ert. dpa

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