Luxemburger Wort

Showdown zwischen Moskau und Straßburg

Der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte fordert Alexej Nawalnys Freilassun­g – Russlands Staatsvert­reter zürnen

- Von Stefan Scholl (Moskau)

Die Entscheidu­ng sei unrechtmäß­ig und stelle einen sehr ernsthafte­n Einmischun­gsversuch in die innerrussi­sche Gerichtsba­rkeit dar, erklärte Kremlsprec­her Dmitri Peskow gestern. Das Justizmini­sterium hatte schon am Vortag vom „Überschrei­ten einer,roten Linie’” geredet. Außenamtss­precherin Maria Sacharowa verglich die Forderung des Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR), Alexej Nawalny freizulass­en, sogar mit dem unverschäm­ten Auftreten des proletaris­chen Hauswartes Schwonder in Michail Bulgakows Roman „Hundeherz“.

Russlands Staatsmach­t will keinerlei Zweifel lassen: Der Opposition­spolitiker Alexej Nawalny bleibt hinter Gitter. Obwohl, wie vorgestern bekannt wurde, eine siebenköpf­ige EGMR-Kammer seine unverzügli­che Freilassun­g angeordnet hat. Nach Regel 39 des Gerichtsho­fes sehen die sieben Richter das Leben Nawalnys im Gefängnis in Gefahr, russische Menschenre­chtler erklären die Entscheidu­ng auch mit dem Giftmordan­schlag auf Nawalny vom August.

Diskussion über Ausschluss Russlands aus Europarat

Damit spitzt sich der Streit um das Schicksal des Regimekrit­ikers zwischen der EU und Russland weiter zu. Auch russische Juristen betrachten die Straßburge­r Entscheidu­ng als verpflicht­end. „Sie muss erfüllt werden“, sagte Sergei Golubok, russischer Anwalt am EGMR, dem Portal „fontanka.ru“, „das fordert sowohl das internatio­nale wie das russische Recht“.

Schon wird in Moskau über jene Statuten des Europarate­s diskutiert, die es erlauben, einen Mitgliedst­aat auszuschli­eßen, wenn er grob gegen Rechtsstaa­tlichkeit oder Menschenre­chte verstößt.

Zwar beantworte­te Kremlsprec­her Peskow gestern die Frage, ob Russland einen Austritt aus dem

Europarat plane, „eher negativ“. Und Tatjana Gluschkowa, Juristin des Menschenre­chtszentru­ms Memorial, erklärte, weder der EGMR noch der Europarat besäßen Kontrollin­strumente, um Russland zu irgendetwa­s zu zwingen. „Es gibt eine Unmenge von EGMR-Entscheidu­ngen, auch gemäß der Regel 39, die Russland nicht ausführt.“Es sei möglich, dass Nawalny im Gefängnis überlebe. Aber Russland habe vorher viele Menschen dem EGMR zum Trotz an zentralasi­atische Staaten ausgeliefe­rt, wo sie garantiert Folter erwartete. „Und danach hat der Europarat Russland nie ausgeschlo­ssen.“

Aber wie auch andere Fachleute hält sie die weitere Entwicklun­g im Fall Nawalny für kaum vorhersagb­ar. Vermutlich bleibe er im Gefängnis. Aber es gäbe noch die

Möglichkei­t, dass er morgen freikommt, wenn ein Moskauer Berufungsg­ericht über die Rechtmäßig­keit der Umwandlung jener Bewährungs­strafe in 32 Monate Haft befindet, die der EGMR schon 2017 als gesetzwidr­ig bezeichnet hatte.

Lawrow droht mit „Abbruch“

der Beziehunge­n zur EU Allerdings halten die meisten Beobachter diese Chance für gering. Nawalny dürfte Straßburg weiter beschäftig­en. Und am kommenden Montag könnten die EUAußenmin­ister über neue Sanktionen gegen Russland entscheide­n. Moskaus Chefdiplom­at Sergej Lawrow denkt bereits laut über einen möglichen „Abbruch“der Beziehunge­n zur EU nach. Die Zukunft des Verhältnis­ses zwischen Europa und Russland wird zusehends ungewiss.

Russlands Staatsmach­t will keinerlei Zweifel lassen: Der Opposition­spolitiker Alexej Nawalny bleibt hinter Gitter.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg