„Im günstigsten Fall verschwindet Corona von der Bildfläche“
Der Immunologe Prof. Claude Muller ist begeistert von der Wirksamkeit der neuen Impfstoffe und zeichnet ein optimistisches Bild für die Zeit nach der staatlichen Impfkampagne
Esch/Alzette. 3,1 Prozent der Luxemburger Bevölkerung haben sie schon bekommen, die Spritze, die vor der Covid-Erkrankung schützt. Nach einem schleppenden Anlauf in den Wochen nach der Zulassung des ersten Impfstoffs liegt Luxemburg damit im europäischen Mittelfeld. Und auch wenn das Ziel einer durchgeimpften Gesellschaft noch fern scheint, weckt der Impffortschritt Hoffnung auf ein Ende von Betriebssschließungen, Homeoffice und Distanzunterricht. Der Immunologe Claude Muller, Professor am Luxembourg Institute of Health in Esch/Alzette, macht mit seiner Einschätzung Mut. Die Pandemie sei nach heutigem Stand durch die Impfung in den Griff zu bekommen, meint er. Das heißt aber nicht, dass das Virus völlig verschwindet.
Das Corona-Virus konnte sich zu Beginn des letzten Jahres vor allem deshalb so rasend schnell über den Globus ausbreiten, weil noch kein Mensch dagegen Abwehrkräfte aufgebaut hatte. Hinter den Impfkampagnen steht das Ziel, so viele Menschen vor Sars-CoV-2 zu schützen, dass das Virus nur noch wenige Opfer findet und die Pandemie zum Stillstand kommt.
Junge Bevölkerung
Um eine Herdenimmunität zu erreichen, gehen Wissenschaftler davon aus, dass mindestens 70 Prozent der Bevölkerung geschützt sein müssen. Manche Quellen geben sogar 80 Prozent als Ziel an. Speziell für Luxemburg mit seiner besonderen Bevölkerungsstruktur
Claude Muller hält die neuen Vakzine für eine gute Waffe gegen die Pandemie. wird es jedoch nicht leicht werden, solch hohe Werte zu erreichen. So sind die derzeit angewendeten Impfstoffe erst ab einem Alter von 16 Jahren (Biontech) oder 18 Jahren (Moderna und AstraZeneca) zugelassen. Weil das Großherzogtum eine vergleichsweise junge Bevölkerung hat, sind dadurch von vorneherein Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre – immerhin 18 Prozent der Bevölkerung – ausgeschlossen. Das gleiche gilt für Schwangere, rund ein Prozent der Bevölkerung, die sich ebenfalls nicht impfen lassen dürfen und Patienten mit bestimmten Krankheiten oder Allergiker, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden.
Hinzu kommt noch eine unbekannte Zahl von Menschen, die sich aufgrund von Vorbehalten
oder Bedenken nicht impfen lassen wollen. Gebremst wird das Infektionsgeschehen indessen vom Anteil der Bevölkerung, der bereits Antikörper gebildet hat. In Luxemburg sind das sieben Prozent der Bevölkerung.
Bald auch für Kinder
Impfstoffexperte Claude Muller ist zuversichtlich, dass sich das Problem der fehlenden Zulassung für Kinder und Schwangere schon bald lösen wird. „Es gibt keinen wissenschaftlichen Grund, zu befürchten, dass Kinder ein erhöhtes Risiko durch die Impfung hätten“, meint er. Die drei Hersteller Biontech, Moderna und AstraZeneca haben bereits Studien mit Kindern ab zwölf Jahren begonnen.
Die gleiche Entwicklung zeichnet sich auch für die Gruppe der schwangeren Frauen ab, denkt Claude Muller. „Das ist das ganz normale Vorgehen, dass ein neuer Impfstoff für Schwangere zunächst nicht zugelassen ist.“
Muller hält ohnehin nicht viel vom Konzept der Herdenimmunität, die ab einem bestimmten Prozentsatz erreicht ist. In vielen Ländern werde es bis dahin einige Jahre dauern. Den Zustand im kommenden Herbst, wenn in Luxemburg voraussichtlich jeder geimpft ist, der die Impfung wünscht, bringt Muller auf eine ganz einfache Formel: „Wer geimpft ist, ist geschützt. Wer nicht geimpft ist, ist nicht geschützt.“
Im günstigsten Fall, so der Immunologe, könnte das Virus gegen Jahresende weitgehend von der Bildfläche verschwinden. „Es wird dann zwar immer noch zu vereinzelten Outbreaks unter den Ungeimpften kommen. Es könnte aber sein, dass man gar nicht viel davon mitbekommt, zum Beispiel wenn sich Gruppen im Alter von 20 bis 40 Jahren infizieren.“
Eine weitere Besonderheit in Luxemburg sind die über 200 000 Grenzgänger, die vor der Pandemie werktäglich ins Land pendelten und dies teilweise noch immer tun. Über deren Impfbereitschaft gibt es zwar noch keine gesicherten Angaben, lediglich Zahlen aus dem Pflegesektor liegen vor. So ließen sich Altenpflegerinnen und Krankenschwestern aus Ostfrankreich und der Wallonie nur zu mageren 40 Prozent impfen. In Rheinland-Pfalz waren es 90 Prozent, in Flandern 80 Prozent. „Es liegt auf der Hand, dass sich nicht geimpfte Luxemburger am Arbeitsplatz oder in Geschäften bei Grenzgängern anstecken können, wenn die Impfbereitschaft nicht deutlich zunimmt“, sagt Claude Muller.
Äußerst wirkungsvoll
Voll des Lobes ist Claude Muller, WHO-Experte für Masern und Röteln, über die neu zugelassenen Corona-Impfstoffe. Noch selten seien derart wirkungsvolle Vakzine auf den Markt gekommen.
Bei der in der Öffentlichkeit viel diskutierten Gefahr durch Virusmutationen warnt Claude Muller vor Panik: „Dem ersten Anschein nach wirkt der Impfstoff gut gegen die britische Variante, nicht so gut gegen die südafrikanische und noch weniger gegen die brasilianische Variante. Trotz alledem: Auch bei diesen Mutationen bin ich optimistisch, dass die derzeitige Impfung Todesfälle und schwere Krankheitsverläufe verhindert. Wir müssen deshalb zügig fortfahren mit den Impfungen. Die Varianten sind kein Grund, sich nicht impfen zu lassen.“Zudem werde die PharmaIndustrie den Impfstoff an die neuen Mutationen anpassen, wie das bei der Grippe üblich ist. Es sei auch ein „Cocktail“von Wirkstoffen gegen mehrere Varianten – in einer Dosis verabreicht – denkbar. Die mRNA-Impfstoffe sind da anpassungsfähig.
Spätestens wenn alle Impfwilligen die begehrte Spritze bekommen haben, ist nach Meinung des Immunologen der Moment gekommen, die vielfältigen Einschränkungen aufzuheben. Für Geimpfte wird sich das Leben schon früher normalisieren. „Der Staat hat dann seine Aufgabe erledigt, die Bevölkerung vor dem Virus zu schützen. Wer sich gegen die Impfung entscheidet, tut das auf eigenes Risiko.“
Wenn alle geimpft sind, die das wünschen, wird sich das Leben normalisieren. Immunologe Claude Muller