Eine Sache der Verteidigung
Prozess um tödliche Messerstiche: Anwalt fordert Freispruch für den Angeklagten
Luxemburg. „Das Schlimmste, das ich mir hätte vorstellen können, ist eine Schlägerei, aber kein Angriff mit einem Messer.“Am siebten Verhandlungstag schilderte der Angeklagte Schritt für Schritt, wie die Auseinandersetzung zwischen ihm und seinem Stiefvater im Dezember 2017 aus seiner Sicht eskalierte und schließlich mit dem Tod des Mannes endete.
Seit Anfang Februar muss sich der heute 26-jährige Ernol D. vor Gericht verantworten, weil er seinem Stiefvater mit einem Messer tödliche Verletzungen zugefügt hat. Ein Tatbestand, der nicht vom Beschuldigten bestritten wird. Allerdings gibt er an, aus Notwehr gehandelt zu haben. Im Raum steht allerdings der Vorwurf, dass dies nicht der Fall gewesen sei. Die Verletzungen, die der Beschuldigte im Brustbereich aufwies, soll er sich selbst nach dem Angriff auf seinen Stiefvater zugefügt haben.
Subjektives Empfinden
Nachdem der junge Mann nach einer durchzechten Nacht kurz vor Mittag nach Hause gekommen war, entbrannte im Flur ein Streit. Laut dem Angeklagten habe sein Stiefvater ihn nach einem Wortwechsel gestoßen, gegen die Tür gedrückt und gewürgt. Wie die vorsitzende Richterin aber mehrmals betonte, seien keine deutlichen Würgemale bei dem Mann festgestellt worden.
Der Angeklagte berief sich allerdings auf sein subjektives Empfinden. Er habe sehr schlecht Luft bekommen. Der Mann habe dann von ihm abgelassen und zu einem Küchenmesser gegriffen, das auf einer Kommode gelegen habe. „Ich habe gedacht, es sei ein Bluff“, so der Angeklagte – auch, weil der Klingenschutz noch auf dem Messer gewesen sei. Das sei aber nicht lange so geblieben. Er habe seinen
Stiefvater beschimpft, dann sei es zum Angriff gekommen, bei dem der Mann ihn mehrmals im Oberkörperbereich verletzt habe. Er habe um sein Leben gefürchtet.
Wie die vorsitzende Richterin betonte, seien diese Verletzungen aber weder tief noch lebensgefährlich gewesen. Der Angeklagte räumte ein, dass dies objektiv so gewesen sei, er in diesem Moment aber subjektiv von etwas anderem ausgegangen sei.
Er habe seinem Angreifer dann aber einen Kopfstoß in den Bauch versetzen, ihn entwaffnen und sich das Messer aneignen können. Er habe ihn abwehren wollen und zunächst am Arm verletzt. Daraufhin habe sein Stiefvater versucht, einen Cutter aus einer Hosentasche zu ziehen. „Jetzt wirst du bluten“, sollen die Wörter des Opfers gewesen sein. Um sich zu verteidigen, habe er zugestochen und ihn im Brustkorb getroffen. Sein Stiefvater habe sich dann aus der Auseinandersetzung zurückgezogen.
Aus Angst vor einem erneuten Angriff sei er dem Opfer ins Wohnzimmer gefolgt. Ein Umstand, der die vorsitzende Richterin zu eindringlichen Nachfragen veranlasste. Auf die Frage, warum er nicht die Flucht ergriffen hätte, sagte der Angeklagte, er habe befürchtet, dass der Mann ihn erneut angreifen würde. Denn er sei noch „agil und vital“gewesen. Erst als er gesehen habe, dass es dem Opfer nicht mehr so gut ging, sei er in die obere Etage gegangen, um seine Wunden zu versorgen.
Laut dem Strafverteidiger des Angeklagten würde kein Element im Dossier es erlauben, die Schilderungen des Mannes zu widerlegen. So ließen zum Beispiel die Gutachten viele Unklarheiten zum Tatablauf offen. Auch die Zeugenaussagen könnten diese nicht klären. Das Gericht sei nun seit drei Wochen mit einem Zwischenfall befasst, bei dem Entscheidungen in Millisekunden getroffen werden mussten. Sein Mandant habe an jenem Tag zurecht um sein Leben gefürchtet und aus reiner Notwehr seinen Stiefvater erstochen. Er sei deshalb freizusprechen.