Ein Haftbefehl, ein Rücktritt und ein Kickboxer
Auch wenn es nach dem Rücktritt des georgischen Premiers schon einen Nachfolgekandidaten gibt, geht die Konfrontation weiter
Der Kandidat gab sich entschlossen: „Kurz gesagt: Wir werden sehr bald die Ordnung und das Gleichgewicht wiederherstellen, die für unser Land notwendig sind.“Am Donnerstagabend präsentierte die Regierungspartei „Georgischer Traum“Verteidigungsminister Irakli Garibaschwili als künftigen Premier. Garibaschwilis Wahl im Parlament gilt als Formsache, weil der „Georgische Traum“die absolute Mehrheit besitzt. Und weil ein Großteil der Oppositionsabgeordneten die Arbeit verweigert – aus Protest gegen den ihrer Meinung nach unfairen Wahlsieg der Mehrheitspartei im Oktober 2020.
Aber nach Ansicht der meisten Beobachter ist die politische Dauerkrise in Georgien damit nicht gelöst. Zahlreiche Oppositionspolitiker und ihre Anhänger haben sich im Hauptquartier der Partei „Einige Nationalbewegung“(ENB) verbarrikadiert, sie wollen verhindern, dass die Polizei deren Führer Nika Melia verhaftet. Die Staatsanwaltschaft macht Melia, der als einer der grimmigsten Kritiker
der Regierung gilt, für Straßenunruhen in der Hauptstadt Tiflis im Sommer 2019 verantwortlich.
Dessen Schuld ist aber keineswegs bewiesen. Und Garibaschwili löst als Premier seinen Parteigenossen Georgi Gacharia ab, der am Donnerstag eben wegen dieses Haftbefehls seinen Rücktritt verkündete: „Ich hoffe, das mindert die Polarisierung im Land“, twitterte Gacharia.
Umstrittener Nachfolger
Garibaschwili war gegen eine Festnahme, weil dabei blutige Auseinandersetzungen der Einsatzpolizei mit den Oppositionellen drohten. Und kurz darauf gab das Innenministerium bekannt, wegen des Rücktritts des Premiers und damit der kompletten Regierung werde man die Ausführung des Haftbefehls verschieben. „Ein großer Sieg der georgischen Opposition“, frohlockte der exilierte Expräsident Michail Saakaschwili auf Facebook.
Aber in Tiflis befürchten viele, Garibaschwilis Amtsantritt werde den Konflikt nur verschärfen. „Dieser Premier in spe ist bekannt für seine sehr harte Einstellung gegenüber der Opposition“, sagt Lewan Berdsenischwili, Mitbegründer der liberalen „Republikanischen Partei“. Dem früheren Kickboxer Garibaschwili, der schon von 2013 bis 2015 Regierungschef war, fehle jede politische Kompetenz und Unterstützung in der Gesellschaft. Und der Politologe Nika Tschitadse erzählte der russischen Agentur Sputnik, Garibaschwili habe als Premier 2015 gewalttätige
Attacken auf Büros der ENB mit den Worten kommentiert, das sei die adäquate Antwort auf deren Tätigkeit.
Die Opposition ruft den „Georgischen Traum“jetzt zu Verhandlungen über Neuwahlen auf. Sie hofft auf den Einfluss des Westens. Mehrere Botschafter kritisierten bereits den Haftbefehl gegen Melia. Das US-State Departement forderte die georgischen Behörden gestern auf, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit treu zu bleiben und auch bei Strafverfahren keine politische Voreingenommenheit zuzulassen. „Neuwahlen wären eine Lösung“, sagt Berdsenischwili. „Wohl keine Partei bekäme die absolute Mehrheit, so dass die Gewinner lernen müssten, im Rahmen einer Koalition Kompromisse zu finden.“
Dieser Premier in spe ist bekannt für seine sehr harte Einstellung gegenüber der Opposition. Lewan Berdsenischwili, Mitbegründer der liberalen „Republikanischen Partei“