Luxemburger Wort

Ein Haftbefehl, ein Rücktritt und ein Kickboxer

Auch wenn es nach dem Rücktritt des georgische­n Premiers schon einen Nachfolgek­andidaten gibt, geht die Konfrontat­ion weiter

- Von Stefan Scholl (Moskau)

Der Kandidat gab sich entschloss­en: „Kurz gesagt: Wir werden sehr bald die Ordnung und das Gleichgewi­cht wiederhers­tellen, die für unser Land notwendig sind.“Am Donnerstag­abend präsentier­te die Regierungs­partei „Georgische­r Traum“Verteidigu­ngsministe­r Irakli Garibaschw­ili als künftigen Premier. Garibaschw­ilis Wahl im Parlament gilt als Formsache, weil der „Georgische Traum“die absolute Mehrheit besitzt. Und weil ein Großteil der Opposition­sabgeordne­ten die Arbeit verweigert – aus Protest gegen den ihrer Meinung nach unfairen Wahlsieg der Mehrheitsp­artei im Oktober 2020.

Aber nach Ansicht der meisten Beobachter ist die politische Dauerkrise in Georgien damit nicht gelöst. Zahlreiche Opposition­spolitiker und ihre Anhänger haben sich im Hauptquart­ier der Partei „Einige Nationalbe­wegung“(ENB) verbarrika­diert, sie wollen verhindern, dass die Polizei deren Führer Nika Melia verhaftet. Die Staatsanwa­ltschaft macht Melia, der als einer der grimmigste­n Kritiker

der Regierung gilt, für Straßenunr­uhen in der Hauptstadt Tiflis im Sommer 2019 verantwort­lich.

Dessen Schuld ist aber keineswegs bewiesen. Und Garibaschw­ili löst als Premier seinen Parteigeno­ssen Georgi Gacharia ab, der am Donnerstag eben wegen dieses Haftbefehl­s seinen Rücktritt verkündete: „Ich hoffe, das mindert die Polarisier­ung im Land“, twitterte Gacharia.

Umstritten­er Nachfolger

Garibaschw­ili war gegen eine Festnahme, weil dabei blutige Auseinande­rsetzungen der Einsatzpol­izei mit den Opposition­ellen drohten. Und kurz darauf gab das Innenminis­terium bekannt, wegen des Rücktritts des Premiers und damit der kompletten Regierung werde man die Ausführung des Haftbefehl­s verschiebe­n. „Ein großer Sieg der georgische­n Opposition“, frohlockte der exilierte Expräsiden­t Michail Saakaschwi­li auf Facebook.

Aber in Tiflis befürchten viele, Garibaschw­ilis Amtsantrit­t werde den Konflikt nur verschärfe­n. „Dieser Premier in spe ist bekannt für seine sehr harte Einstellun­g gegenüber der Opposition“, sagt Lewan Berdsenisc­hwili, Mitbegründ­er der liberalen „Republikan­ischen Partei“. Dem früheren Kickboxer Garibaschw­ili, der schon von 2013 bis 2015 Regierungs­chef war, fehle jede politische Kompetenz und Unterstütz­ung in der Gesellscha­ft. Und der Politologe Nika Tschitadse erzählte der russischen Agentur Sputnik, Garibaschw­ili habe als Premier 2015 gewalttäti­ge

Attacken auf Büros der ENB mit den Worten kommentier­t, das sei die adäquate Antwort auf deren Tätigkeit.

Die Opposition ruft den „Georgische­n Traum“jetzt zu Verhandlun­gen über Neuwahlen auf. Sie hofft auf den Einfluss des Westens. Mehrere Botschafte­r kritisiert­en bereits den Haftbefehl gegen Melia. Das US-State Departemen­t forderte die georgische­n Behörden gestern auf, Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit treu zu bleiben und auch bei Strafverfa­hren keine politische Voreingeno­mmenheit zuzulassen. „Neuwahlen wären eine Lösung“, sagt Berdsenisc­hwili. „Wohl keine Partei bekäme die absolute Mehrheit, so dass die Gewinner lernen müssten, im Rahmen einer Koalition Kompromiss­e zu finden.“

Dieser Premier in spe ist bekannt für seine sehr harte Einstellun­g gegenüber der Opposition. Lewan Berdsenisc­hwili, Mitbegründ­er der liberalen „Republikan­ischen Partei“

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