Eine Welt aus Spinnweben
Guy Helmingers Abrechnung mit der „Art, wie in Luxemburg mit Kunst umgegangen wird“
Legt man, nach einer ebenso spannenden wie kurzweiligen und dabei gleichsam betroffen machenden Lektüre, das neue Buch von Guy Helminger aus der Hand, dann hat man sich längst für den Autor entschieden und seine Sicht auf den Lauf der Dinge, wie sie in Fragen des Umgangs mit der Kunst in diesem Land – aber nicht nur … – nun einmal üblich sind. Vor allem wird dem Leser bewusst, wie sehr ohne dieses Buch jene Affäre, die vor nicht allzu langer Zeit die Gemüter in Luxemburg so sehr bewegte, im erprobten und immer wieder erfolgreichen Schulterschluss von Politik und medialer Unterhaltungsindustrie den Abgründen des Vergessens übergeben worden wäre.
Ein Akt der Selbstbefreiung
Denn auch in ihrer fiktionalen Verbrämung leuchtet hinter dieser von Guy Helminger geschickt und fantasievoll als Lebensbeichte eines von den Luxemburger Realitäten leidvoll geprüften Schriftstellers erzählten Geschichte, hinter dem er unschwer selbst zu erkennen ist, jene unselige Affäre auf, die weniger dem vormaligen, durch ein stümperhaftes RTL-Interview zur Weißglut getriebenen Mudam-Direktor anzulasten war als skandalöse journalistische Praktiken und einen obskuren politischen Umgang mit einem bei der Steuerung der nationalen Kunstdefinition ungeliebten Exponenten belegte. So lässt „Die Lombardi-Affäre“wieder aufleben, was manche vielleicht schon etwas voreilig aus der kleinen, heilen Luxemburger Welt geschafft glaubten, und inszeniert dabei in ihrer raffinierten und ebenso schonungslosen literarischen Übersteigerung, die engen, dunklen, von inzestuöser Provinzialität vorbestimmten Dimensionen nationaler Kleingeistigkeit im Umgang mit Kunst und Kultur.
Bereits im Eingangskapitel seines Romans verweist der Autor auf „eine Welt aus Spinnweben, die ignoriert wird, damit man sich komfortabel hinter dem Zufall verstecken kann“. Eine Welt, deren Vielzahl an Fäden die Ursprünge schicksalhafter Vorgänge verbirgt und in der doch alles bei näherem Hinsehen und in der Wahrnehmung
ihrer Zusammenhänge auf einmal „einen völlig neuen Sinn“bekommt. So verhält es sich auch mit der Geschichte des Schriftstellers Georges Husen, der dem Polizeipsychologen Dr. Laurent die Hintergründe seiner Tat plausibel zu machen versucht. Indem er, aus scheinbar heiterem Himmel seinem Nachbarn Klaus Bernaz mit einem Küchenmesser die Halsschlagader durchtrennte, vollzog er nämlich einen Akt persönlicher Rebellion gegen einen Zustand, den er so nicht länger hinnehmen konnte und wollte. Ein gewaltvoll-fataler Schnitt als Akt der Selbstbefreiung aus so vielen, nicht länger hinnehmbaren Verstrickungen,
mit dem „ich so viele Fäden des Spinnennetzes durchtrennt (habe), dass zumindest meine Geschichte neu geschrieben werden muss“.
Die Verstrickungen des Georges Husen, die ihn als kurzzeitigen, schnell frustrierten Moderator einer Kultursendung im Luxemburger Staatsfernsehen hinter die Kulissen eines fragwürdigen medialen Umgangs mit der Kunst blicken lassen, offenbaren ihm das Ausmaß jener Welt aus Spinnweben und den Zustand eines Landes, „wo das Geld der Kitt von allem ist“. So erlebt er auch in seinen hausinternen Verzweigungen den Skandal um das manipulierte
TV-Interview des Museumsdirektors, ohne den „Luxemburg ein blinder Fleck auf der Kunstlandkarte der Welt“wäre, als gezielte Verschwörung von Politik und Medien gegen die zeitgenössische Kunst in Luxemburg, als einen „Sumpf aus Boulevard, Schmierenpolitik und voreiliger Verdammung, der diesem Land massiv geschadet hat“.
Ein starkes Buch
In „Die Lombardi-Affäre“findet der Leser all das wieder, was er an Guy Helmingers Sprache und Erzählstil schätzen gelernt hat: Subtilität und Wucht zugleich, sowie jener verspielte Hang zur narrativen Digression in versteckte fiktionale Lebenswelten, die durch die biografischen Prismen seiner durchaus überzeugenden und nahe gehenden Figuren zeitliche, geografische und erzählerische Zusammenhänge offenbaren. Von den Reisfeldern Chinas über die Religionskriege Frankreichs und die Emigrationswege italienischer Auswanderer bis zu heimlichen Luxemburger Verschwörungstreffen bei Kaffee und Apfelkuchen spannt sich die in jeder Hinsicht schlüssige Handlung, der der Autor durch seine nachvollziehbare Verzweiflung angesichts „der Art, wie in diesem Land mit Kultur umgegangen wird“, jene besondere Prise Authentizität beimischt, die nicht nur für eingeweihte Leser aus diesem Roman ein starkes Buch macht.
Guy Helminger: „Die LombardiAffäre“,
Verlag capybarabooks,
136 Seiten,
17,95 Euro