Ein ungesühntes Verbrechen
Homejacking-Prozess: Erst der Schriftsatz bringt Klarheit ins Urteil von vorvergangener Woche
Luxemburg. Es mutet kurios an, ergibt aber Sinn: Eine Urteilsverkündung in einem Strafprozess beginnt in den meisten Fällen mit einem Freispruch. Der Angeklagte wird von jenen Tatvorwürfen, die ihm nicht nachweislich angelastet werden können, freigesprochen. Erst dann folgt, gegebenenfalls, die Verurteilung – wegen der Verbrechen und Delikte, die die Richter zu seinen Lasten zurückbehalten haben – und das Strafmaß.
Jeweils 15 Jahre lautet dieses etwa vergangene Woche in erster Instanz für zwei Männer aus Paris, denen die Staatsanwaltschaft drei Homejackings und mehrere Einbrüche im Jahr 2017 in Luxemburg vorwirft. Welche der insgesamt neun Tatvorwürfe die Kriminalkammer letztlich als erwiesen ansieht und welche nicht, bleibt bei der Urteilsverkündung unklar.
Als einer der beiden Beschuldigten bemängelt, dass er nicht verstanden habe, wessen er nun für schuldig befunden wurde, verweist die vorsitzende Richterin ihn auf das schriftliche Urteil, das nun mehr als eine Woche später auch dem „Luxemburger Wort“vorliegt. Eine Analyse des Schriftsatzes zeigt, dass Richter auch in komplexen Indizienprozessen, wo der richterlichen Überzeugung entscheidende Bedeutung zukommt, nicht einfach nur dem Anschein von Schuld folgen, sondern dort Grenzen setzen, wo die Strafverfolgung Beweise schuldig bleibt.
Freispruch für Hesperingen-Tat
Die Folge: Opfer von Straftaten können mit ihrem Wunsch nach Gerechtigkeit und Sühne beim Recht auf der Strecke bleiben. So auch in diesem Homejacking-Prozess. Von den drei Überfällen, um die es im Verfahren geht, wird nämlich einer nicht zurückbehalten: Zwei Männer dringen am 29. Januar 2017 kurz vor Mitternacht in ein Einfamilienhaus in der Route de Thionville in Hesperingen ein. Dort bedrohen sie eine junge Mutter und deren zwei schlafende Kleinkinder mit einem Messer, sie schlagen die Frau mit einer Pfeffersprayflasche von der Größe eines Handfeuerlöschers auf den Kopf und erzwingen so die Herausgabe von Wertsachen.
Während der erste Beschuldigte, Yasinne E., für diese Tat ein Alibi vorweisen kann – er genießt zu diesem Zeitpunkt die Gastfreundschaft einer französischen Haftanstalt – sehen die Richter nun auch Zweifel an der Tatbeteiligung von Bilal H., dem zweiten Beschuldigten. Es gebe kein Element im Dossier, das belege, dass sich Bilal H. zur Tatzeit tatsächlich in Luxemburg aufgehalten hat. Die alleinige Täterbeschreibung des Opfers reiche nicht aus, um eine Tatbeteiligung zu belegen und auch das Auto, das in Tatortnähe aufgefallen sei, habe nicht als jenes identifiziert werden können, das H. zur damaligen Zeit benutzt habe.
Tatsächlich ist es so, dass für alle Taten, welche die Richter in ihrem Urteil zurückbehalten, eine Auswertung der Handydaten der Beschuldigten in die Indizienkette aufgenommen wurde. Daraus geht hervor, dass sie jedes Mal zur Tatzeit
von Paris nach Thionville gekommen sind. Zudem hat sich gezeigt, dass die Verdächtigen ihre Handys vor dem Grenzübertritt nach Luxemburg aus- und bei ihrer Rückkehr wieder einschalten.
Da die beiden Tatverdächtigen aber erst mehr als elf Monate nach der Tat in Hesperingen ins Visier der Ermittler geraten, können die Mobilfunkdaten nicht mehr nachvollzogen werden. Diese werden nämlich aus Datenschutzgründen nach sechs Monaten gelöscht.
Einen Freispruch gibt es für die Angeklagten auch bei einem der vier Einbrüche, die ihnen in der
Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November 2017 vorgeworfen wurden. Im Gegensatz zu anderen Taten haben die Täter hier weder Fußspuren hinterlassen, die ihnen zugeordnet werden können, noch sind sie auf Überwachungsvideos zu erkennen. Im Urteil halten die Richter fest, dass die zeitliche und räumliche Nähe zu anderen Taten als Schuldnachweis nicht ausreicht.
Die Überzeugung der Richter
Die von den Ermittlern erstellte Indizienkette bei den Homejackings in Belair und Strassen lässt für die Kriminalkammer keinen Zweifel an der Schuld von Bilal H. und Yassine E., obwohl die Beschuldigten die Taten vehement bestreiten.
In einem Strafprozess liegt es in der Hand der Staatsanwaltschaft, die Beweislast zu erbringen. Bei der Klärung der Schuldfrage gesteht die Strafprozessordnung den Richtern aber die Freiheit zu, Beweise frei einzuschätzen und ihre feste Überzeugung ebenso frei anhand aller Elemente aus dem Verfahren zu bilden. Kurz: Wenn materielle Beweise
fehlen, kann das Gericht einen Angeklagten auch aufgrund von Indizien verurteilen, wenn diese keinen Zweifel an der Schuld lassen.
Darauf beruft sich die Kriminalkammer auch in ihrem Urteil im Homejacking-Prozess. Beim Überfall auf das über 80-jährige Ehepaar am 25. Oktober 2017 in Belair, sehen die Richter etwa keinen Zweifel daran, dass die beiden Beschuldigten die späteren Opfer in einem Einkaufszentrum am Stadtrand regelrecht beschattet haben. Außerdem werten sie die DNSSpur von Yassine E. auf der Weste eines der Opfer im Kontext der gesamten Ermittlungserkenntnisse als erdrückenden Beweis. Diese Spur könne kein Produkt des Zufalls sein und müsse beim Überfall übertragen worden sein, heißt es im Urteil.
Zu viele Übereinstimmungen
Auch beim Raubüberfall auf eine 74-jährige Frau am 17. Dezember 2017 in Strassen bleiben trotz fehlender handfester Beweise die Indizien Trumpf. Die Angeklagten waren in der Gegend, ihr Wagen wurde von Zeugen in der Nähe des Tatorts gesehen. Die Beschreibung des Opfers passt perfekt auf die Ausrüstung, welche die Schweizer Polizei bei einer Kontrolle der Angeklagten sicherstellte. Auf dem Handy von Bilal H. wird das Foto einer Uhr entdeckt, ein Einzelstück, das beim Raub entwendet wurde. Und die Vorgehensweise bei dieser Tat passt in das übliche Tatmuster der Angeklagten.
Auch wenn diese Elemente für sich kaum Beweiskraft hätten, stünden sie aber in einer derartig klaren Verbindung, dass sie keinen Zweifel an der Täterschaft der Angeklagten lasse, befinden die Richter.
In ihrem Urteil halten sie neben den Taten – Einbrüche und Diebstähle – auch erschwerende Umstände fest: Die beiden Raubüberfälle wurden in bewohnten Häusern begangen, einer davon nachts. Es wurden Waffen gezeigt und benutzt. Es wurde Opfern Gewalt angetan. Die Taten wurden gemeinschaftlich von mehreren Tätern begangen und die Täter agierten als kriminelle Vereinigung – ein eigenständiger Tatbestand.
Strafmaß: bis zu 25 Jahre möglich
Beim Zusammentreffen von mehreren Straftaten werden diese im Luxemburger Strafrecht prinzipiell nicht addiert. Das Strafmaß wird anhand der Straftat bestimmt, für die die höchste Strafe droht. Im Homejacking-Prozess ist es das der gewaltsame Diebstahl mit mindestens zwei erschwerenden Umständen: 15 bis 20 Jahre Haft. Da die den Angeklagten vorgeworfenen Verbrechen in Tateinheit erfolgt sind, kann die Höchststrafe gar um fünf Jahre auf 25 Jahre erhöht werden.
Die Richter entschieden letztlich aber die beiden Beschuldigten zu einer Gefängnisstrafe von jeweils 15 Jahren zu verurteilen und verwiesen dabei auf die Schwere der Taten, den Umfang der verursachten Störung der öffentlichen Ordnung und auf das Ausbleiben von Reue bei den Angeklagten.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Alle Parteien können binnen 40 Tagen Berufung einlegen.
Auch in einem Indizienprozess müssen Richter dort Grenzen setzen, wo die Beweislage unzureichend ist.