Auf zu großem Fuß leben
Stellen Sie sich vor, Sie haben in Ihrer Vorratskammer Lebensmittel für ein ganzes Jahr gebunkert und am 15. Februar ist alles verzehrt. Unvorstellbar – und doch wahr. Denn genauso verhält es sich mit Luxemburg und dem Verbrauch seiner natürlichen Ressourcen. Am 15. Februar waren diese laut Global Footprint Network, das den ökologischen Fußabdruck der Staaten berechnet, aufgebraucht. So dass Luxemburg nun seit Mitte dieses Monats auf Pump lebt. Rücksichtsloseren Raubbau an seinen Ressourcen betreibt nur Katar.
Das ist ein Spitzenplatz, auf den Luxemburg nicht stolz sein kann. Ein Lebensstil, der dem Verbrauch von acht Planeten entspricht, ist nicht nachhaltig. Das ist Egoismus in reinster Form, ausgerichtet auf das Hier und Jetzt. Da macht auch der Rechentrick des Nachhaltigkeitsrates, den Fußabdruck durch das Ausklammern von Grenzverkehr und Tanktourismus zu schrumpfen, die Sache nicht besser. Es lenkt bloß vom dringenden Handlungsbedarf ab.
Da darf es nicht weiter verwundern, dass aus dem politischen Milieu kaum Reaktionen wahrzunehmen sind.
Denn so sehr sich Regierung und Parlament vor zwei Wochen in einträchtig-harmonischer Blockbildung über die „OpenLux“-Schlagzeile eines zu großen Finanzplatzes für ein kleines Land aufregten – der zu große ökologische Fußabdruck dieses kleinen Landes löst in etwa die Reaktion aus, als wenn irgendwo in der weißen Weite der Arktis ein Eskimo von seinem Schlitten gestürzt wäre.
Diese Haltung kann dahingehend interpretiert werden, dass das schlechte Gewissen die Politik plagt: Der Riesen-Fußabdruck des Zwergstaates führt vor Augen, dass die Hausaufgaben hin zu einem nachhaltigeren Lebenswandel bis dato auf die lange Bank geschoben wurden, seit Ende 2013 auch von Blau-RotGrün. Selbst wenn der jetzigen Regierung unter grünem Impuls zugute gehalten werden kann, dass mit der CO2Steuer samt Verursacherprinzip Rahmenbedingungen für ein nachhaltigeres Jahrzehnt geschaffen worden sind: Allein in der Energie- und Klimapolitik bleibt von den Ambitionen bis zu den Zielen ein weiter Weg zurückzulegen.
Und über allem thront die Wachstumsfrage. Unbeantwortet. Sie wurde zwar in der letzten Legislaturperiode von Nachhaltigkeitsminister François Bausch (Déi Gréng) aufgeworfen und „Wachstum“wurde in anschließenden Auseinandersetzungen mit Adjektiven wie „qualitativ“oder „selektiv“geschmückt. Stand Februar 2021 bleibt jedoch die Feststellung, dass Luxemburg auf ein Wachstum angewiesen ist, das „quantitativ“ist – die sakrosankten vier Prozent –, damit sein Sozialmodell nicht kollabiert. Die Entkoppelung der Sozialleistungen vom Wachstum – 2020 auch vom Nachhaltigkeitsrat in dessen eingehender Analyse zum ökologischen Fußabdruck formuliert – hat nicht ansatzweise stattgefunden. Und sie wird auch kurzfristig nicht zu den Prioritäten der politischen Agenda gehören. Denn es bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten, um davon auszugehen, dass das Post-Corona-Wachstum quantitativen Charakter haben wird – weil sich nur dann das arg strapazierte Sozialmodell erholen kann. Luxemburg lebt weiter auf zu großem Öko-Fuß.
Wachstum bleibt quantitativ, damit das Sozialmodell nicht kollabiert.
Kontakt: marc.schlammes@wort.lu