Alles Banane
Gesundheitsminister Jens Spahn gerät nicht nur in Sachen Pandemie-Strategie ins Schlingern
Vier vor eins sitzt Jens Spahn ziemlich allein da. Im Bundestag. Hätte wer eine Illustration bestellt für die Lage des deutschen Bundesgesundheitsministers: voilà. Man kann das ein bisschen unfair nennen, einerseits – weil in der Fragestunde des Parlaments die Regierungsbank grundsätzlich spärlich besetzt ist. Andererseits: Zu Spahns größten Vorzügen gehört Fairness nicht.
Er hat Qualitäten. Der Karikaturist des Berliner „Tagesspiegel“etwa liebt Spahns Kinn. Auf Klaus Stuttmanns Zeichnungen bricht es sich Bahn wie ein gepanzerter Dampfer im Eis. Nicht sehr viel anders hat Spahn Karriere gemacht.
Mit 22 saß er im Bundestag, mit 35 wurde er Staatssekretär und mit 38 Minister. Nicht, dass seine Parteifreundin und Kanzlerin Angela Merkel ihn wirklich in ihrem letzten Kabinett gewollt haben würde. Sie kam einfach nicht an ihm vorbei.
Als dann die Pandemie begann, lobte sie ihn. Öffentlich. „Einen tollen Job“mache er, man arbeite „im Kabinett immer super zusammen“. Das war am 11. März 2020 – und aktuell dürfte Spahn das mit der Kooperation
ganz anders sehen. Erst am Montag wieder hat Merkel ihm die Tour vermasselt. Wegen unzulänglicher Vorbereitung stoppte sie die Schnelltests, die er für 1. März versprochen hatte.
Vom Heilsbringer zum Buhmann
Neun Monate vor der Bundestagswahl ist das für Spahn eine mittelkleine Katastrophe. Noch im November wurde ihm zugetraut, es als Merkels direkter Nachfolger ins Kanzleramt zu schaffen. Jetzt steht er als aufgeblasenes Großmaul da, dem sie die Luft ablässt.
Die Konkurrenz jubelt. Und feixt. Und zieht Profit. „Armutszeugnis“ätzt die Parlamentarische Geschäftsführerin der oppositionellen Grünen, Britta Haßelmann, am Mittwochmorgen. „Per Twitter kann man dieses Land nicht regieren“, stichelt ihr SPD-Pendant Carsten Schneider ohne jede Spur von koalitionsinternem Erbarmen: „Wenn ich etwas ankündige, muss ich auch einen Plan haben.“Dabei ist es nicht so, dass Spahn keinen hätte. Er endet in der Willy-BrandtStraße 1, Berlin, am Schreibtisch im Büro in der siebenten Etage. Vom Gesundheitsministerium ins Kanzleramt sind es eineinhalb Kilometer. Allerdings liegen auf diesem scheinbar kurzen Weg jede Menge Stolpersteine. Manche so groß, dass sie ohne eine gewisse Überheblichkeit eigentlich nicht zu übersehen sind.
Ehe gestern Mittag die Fragestunde der Abgeordneten an die Regierung beginnt – für die diesmal Spahn antworten wird – geht das Gerücht, er habe beim Kabinettsfrühstück
Merkel gefragt, was er denn nun sagen könne zu den Schnelltests. Die aber sind dann gar nicht das heikelste Thema auf dem
Regierungsviertel-Tapet – obwohl das Parlament durchaus versucht, Spahn zu grillen. Noch am Vormittag nämlich meldet der „Tagesspiegel“,
Leib- und Magenblatt AltWestberlins: „Spahn lässt offenbar Journalisten ausforschen“. Es gehe außer um solche des eigenen Hau
Wenn ich etwas ankündige, muss ich auch einen Plan haben. Carsten Schneider, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD
ses auch um Kollegen von „Spiegel“, „Bild“und „Stern“, die zu Spahns Immobiliengeschäften in der Hauptstadt recherchieren. tere kommen tendenziell aus der WASG, aus dem Westen – und sind für Prinzipien statt für Regieren. Bei Letzteren ist es andersherum – und sie kommen tendenziell aus dem Osten und aus der PDS. In den sämtlichen Doppelspitzen – auch der Fraktion – bildet sich diese Dauerkontroverse ab.
Wieso sollte mit den Neuen alles besser werden? Hennig-Wellsow stammt aus dem Osten, ist Parteiund Fraktionschefin in Thüringen – dem einzigen Bundesland mit einem linken Ministerpräsidenten: Bodo Ramelow. Der sagt über Hennig-Wellsow nur Gutes – auch wenn sie oft verschiedener Meinung sind. Aber sie hält ihm die Läden zusammen. Das rot-rotgrüne Bündnis in Erfurt – erst mit knapper, nun ohne Mehrheit regierend – hat in gut sechs Jahren nie ernsthaft gewackelt. Wissler wurde schon mit 28 Fraktionschefin im Hessischen Landtag, außerdem ist sie seit 2014 stellvertretende Bundesvorsitzende. Sie gilt längst als das vielleicht größte Talent ihrer Partei.
Pragmatik vor Grundsatz
Anders als die scheidenden Vorsitzenden sind die zwei keine NotKombination. Eher schon – ähnlich
Mit Wohnungs- und Hauskäufen ist Spahn bereits seit dem Sommer schwer im Gerede – und ein wenig auch unter Druck. Gemeinsam mit seinem Ehemann Daniel Funke – vom Journalisten aufgestiegen zum Chef-Lobbyisten des Burda-Medienkonzerns – kaufte er im August eine 300-Quadratmeter-Villa im Nobelbezirk Dahlem. Als Berliner Medien den Millionen-Preis nach Recherchen im Grundbuchamt exakt bezifferten, ließ Spahn ihnen das gerichtlich verbieten. Das stachelte auch andere an – und so meldete der „Stern“im Dezember, dass Spahn eine seiner zwei Berliner Eigentumswohnungen 2017 für eine knappe Million dem früheren Pharma-Manager Markus Leyck Dieken abgekauft habe. Den er dann zwei Jahre später an die Spitze der Gematik GmbH holte, einer mehrheitlich bundeseigenen Gesellschaft, die das Gesundheitswesen digitalisieren soll. Die Opposition kritisiert das als mindestens anrüchig. Spahn bestreitet jeden Zusammenhang.
Imageverlust
Sein so sorgfältig poliertes Image aber hat nun hässliche Schrammen. Schon den Villen-Kauf mitten in der Pandemie – die Millionen Menschen in Existenznöte zwingt – empfanden auch Parteifreunde als instinktlos. Der Wohnungsdeal mit späterem Jobangebot ließ dann manche über Verhältnisse wie in einer Bananenrepublik zürnen. Erst recht jene, die sich an Spahns Urteil über die Einkommensschwächsten erinnerten: „Hartz IV bedeutet keine Armut.“
Und nun also lässt der Minister seine Anwälte beim fürs Grundbuchamt zuständigen Amtsgericht Journalisten ermitteln: „Um wen handelt es sich?“schrieben sie laut „Tagesspiegel“. Gestern scheint es im Regierungsviertel, als fragten sich das zunehmend mehr auch in Sachen Jens Spahn. wie Annalena Baerbock und Robert Habeck bei den Grünen – passgenaue Ergänzungen. Allerdings haben auch sie eine Sollbruchstelle: Regieren – oder Opposition? „Unsere Wählerschaft“, sagt Hennig-Wellsow am Montag, und „ein großer Teil unserer Basis will, dass wir gestalten.“In Erfurt hat sie gelernt und bewiesen, wie das funktionieren kann – auch bei in- und externen Interessenskollisionen. Wissler zieht sich am Sonntag darauf zurück, dass die Linke eine „Regierungsbeteiligung anhand der Inhalte diskutieren“müsse. Perfekte Übereinstimmung klingt anders.
Aber auch Wissler hat schon gezeigt, dass ihr – im Fall des Falles – Pragmatik vor Grundsatz geht. Als Die Linke 2018 am Streit über die Flüchtlingspolitik zu detonieren drohte – Partei-Ikone Sahra Wagenknecht und ihr Ehemann Lafontaine forderten Begrenzung der Zuwanderung: Da hielt Wissler die Partei zusammen. „Wir tragen nicht nur Verantwortung für uns“, mahnte sie den Parteitag. Es gehe auch um „Millionen von Menschen, die uns bei der Bundestagswahl ihre Stimme gegeben haben“.
2017 war gemeint. 2021 – siehe oben…