Urteil mit Signalwirkung
Haftstrafe in historischem Prozess um Staatsfolter in Syrien
Koblenz. In dem laut Bundesanwaltschaft weltweit ersten Strafprozess wegen Staatsfolter in Syrien hat das Oberlandesgericht Koblenz gestern einen der zwei Angeklagten zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Der Syrer Eyad A. hatte sich nach Überzeugung der Richter der Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht. Der nach Deutschland geflohene und hier festgenommene 44-Jährige war Agent des staatlichen Allgemeinen Geheimdienstes in Syrien gewesen. Nach Überzeugung des Gerichts hatte er Beihilfe zu Verbrechen in Form von Folter und schwerwiegender Freiheitsberaubung geleistet. Gegen den syrischen Hauptangeklagten Anwar R. (58) soll der im April 2020 begonnene Prozess weiterlaufen.
Die Bundesanwaltschaft hatte gegen den nun verurteilten Eyad A. fünfeinhalb Jahre Haft gefordert, die Verteidigung Freispruch wegen eines entschuldigenden Notstands: Bei Befehlsverweigerung hätte dem Agenten Lebensgefahr
gedroht. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Verteidiger von Eyad A., Hannes Linke, kündigte Revision an.
Oberstaatsanwalt Jasper Klinge von der Bundesanwaltschaft sagte, das weltweit erste derartige Urteil sei ein Signal an Täter, die Menschenrechte mit den Füßen träten, dass sie dauerhaft mit der Ahndung ihrer Verbrechen rechnen müssten – womöglich auch in Deutschland. Das erlaubt das Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sprach von einem wichtigen Signal in Koblenz: Die internationale Gemeinschaft ziehe Täter von Verbrechen in Syrien zur Verantwortung.
Verbrechen mit System
Die Vorsitzende Richterin Anne Kerber sagte in der Urteilsbegründung, der Syrer Eyad A. habe im Herbst 2011 als Mitarbeiter des staatlichen Allgemeinen Geheimdienstes dazu beigetragen, 30 Demonstranten des Arabischen
Frühlings in ein Foltergefängnis in der syrischen Hauptstadt Damaskus zu bringen. Der später nach Deutschland geflohene und hier festgenommene 44-Jährige habe im Wissen um den systematischen Angriff des syrischen Regimes von Präsident Baschar al-Assad auf die Zivilbevölkerung des Bürgerkriegslandes gehandelt.
Die Vorsitzende Richterin Kerber hielt Eyad A. aber zugute, trotz eines Schießbefehls nicht auf Demonstranten geschossen zu haben. Bereits Anfang 2012 habe er sich vom Assad-Regime abgewandt. Er habe auch Angaben gemacht, die zur Anklage gegen den Hauptangeklagten Anwar R. beigetragen hätten. Die Bundesanwaltschaft wirft diesem mutmaßlichen Vernehmungschef im selben Foltergefängnis Verbrechen gegen die Menschlichkeit 2011 und 2012 vor. Sie legt ihm 58-fachen Mord und die Verantwortung für die Folter von mindestens 4 000 Menschen zur Last. Zu Prozessbeginn stritt der einstige Oberst diese Vorwürfe zunächst ab. dpa